Deutschland und Griechenland: Die vergiftete Freundschaft

Eine Ein-Euro-Münze auf einer Fahne der Europaeischen Union, während im Hintergrund eine griechische (M.) und eine deutsche Fahne liegen.
Athen. „Wer ist Herr Schäuble?“ fragt Karolos Papoulias. „Ich lasse nicht zu, dass Herr Schäuble meine Heimat beschimpft.“ Papoulias ist Präsident der Hellenischen Republik. Wenn der 83-jährige Grieche so spricht, wird man hellhörig. Denn seine Biografie ist eng mit Deutschland verwoben.
Deutsche und Griechen waren gute Freunde. Dann kam die Schuldenkrise. Sie hat das Verhältnis der beiden Völker vergiftet. Angela Merkel ist die unbeliebteste ausländische Politikerin in Griechenland. Fast 84 Prozent haben eine schlechte Meinung von der deutschen Kanzlerin. Viele werfen ihr vor, sie habe mit ihrem anfänglichen Zögern bei den Hilfskrediten das Land erst richtig in die Krise gestürzt. Und es ist Merkel, die mit immer neuen Spardiktaten Griechenlands Wirtschaft noch tiefer in die Rezession und die Menschen ins Elend treibt. Merkel will sie bestrafen, so sehen es viele Griechen.
Papoulias kennt Deutschland und die Deutschen. Er hat sieben Jahrzehnte deutsch-griechischer Geschichte gelebt, mit allen Wendungen. Als 14-Jähriger schloss er sich in seiner nordgriechischen Heimat Epirus nahe der Grenze zu Albanien der griechischen Volksbefreiungsarmee an. Er kämpfte gegen die deutschen Besatzer, die sein Land überfallen hatten. Aber Deutschland war es dann auch, das dem Jurastudenten Papoulias in den 60er-Jahren Asyl gewährte, als in Athen die Obristen putschten. Aus dem einstigen Widerstandskämpfer wurde ein Freund der Deutschen. Aber wer Papoulias heute begegnet, trifft einen besorgten, verbitterten Mann.
„Unfair“ sei die pauschale Kritik aus Deutschland, sagt der griechische Intellektuelle und Autor Nikos Dimou, der Ende der 50er-Jahre in München Philosophie und Psychologie studierte. „Wir haben nicht dieselbe Vorgeschichte wie die Deutschen. Wir sind eine sehr junge Nation, und wir haben immer unter einem allmächtigen Staat gelebt. Es gab nie ein Bürgertum, die Gesellschaft war sehr lange feudal geprägt. Man kann ein Land, das eigentlich erst 100 Jahre Geschichte hat und davon nur 30 Jahre ungestörten demokratischen Lebens, nicht mit denselben Maßstäben messen wie die europäischen Länder. Man muss kritisieren, aber man muss auch verstehen.“
Doch gerade am Verstehen scheint es zu hapern, vor allem auf deutscher Seite. Das liege an der deutschen Denkweise, meint der Schriftsteller Petros Markaris: „Die Deutschen verstehen den Süden nicht. Sie lieben Länder wie Italien, Spanien oder Griechenland, und sie machen gern in diesen Ländern Urlaub, aber sie begreifen die Mentalität des Südens nicht. Die Franzosen haben dafür viel mehr Verständnis.“
Die Zerrüttung zwischen Deutschen und Griechen ist besonders bedrückend, wenn man bedenkt, dass es zwischen wenigen Völkern in Europa so enge Bindungen gab wie zwischen Deutschen und Griechen. Schiller fühlte sich „in Arkadien geboren“, Goethe inszenierte dort seinen „Faust“. Der deutsche Dichterfürst kam zwar nur bis Italien, ließ aber seine Iphigenie „das Land der Griechen mit der Seele suchen“. Für die deutschen Klassiker war Griechenland gleichbedeutend mit dem Ideal der Humanität. Winckelmann prägte für Generationen Deutscher das Bild von der Antike – glorifiziert, aber glanzvoll. Curtius grub die Ruinen von Olympia aus. Deutsche Philhellenen unterstützten Anfang des 19. Jahrhunderts den Aufstand der Griechen gegen die osmanischen Herrscher. Nach der Befreiung wurde ein Deutscher, Otto von Wittelsbach, erster König der Hellenen. In seine Regentschaft fällt allerdings die erste griechische Staatspleite. In besserer Erinnerung haben die Griechen den Namensvetter Otto Rehhagel, der das Land 2004 auf den Olymp der Fußball-Europameisterschaft führte.
Dunkelstes Kapitel der deutsch-griechischen Geschichte ist die Nazi-Besatzung im Zweiten Weltkrieg. Kaum ein Volk hat sich so tapfer wie die Griechen gegen die deutschen Besatzer aufgelehnt. In wenigen Ländern haben Wehrmacht und SS deshalb so furchtbar gewütet wie in Griechenland. Aber spontaner als andere Völker reichten die Griechen nach dem Krieg den Deutschen die Hand zur Versöhnung. 1952 öffnete in Athen das erste Goethe-Institut im Ausland. Seinen ersten Staatsbesuch absolvierte Bundespräsident Theodor Heuss 1956 in Griechenland. Konrad Adenauer sagte 1961 in seiner Weihnachtsansprache über die alten Griechen: „Das Geniale war, dass sie mit unfehlbarer Genauigkeit das Grundlegende, das Wesentliche, die reine Idee entdeckten. Auf die Griechen geht jede unserer geistigen Tätigkeiten zurück.“ Deutschland erlebte damals sein Wirtschaftswunder, Griechenland war dagegen ein armes Land. Hunderttausende Griechen wanderten in den 60er-Jahren aus, die meisten nach Deutschland. Diese Migration gab der Freundschaft zwischen beiden Völkern eine neue, menschliche Dimension.
Den Betritt Griechenlands zur EWG 1981 feierten viele als „Rückkehr Europas zu seinen Wurzeln“. Und der Euro sollte zwei Jahrzehnte später jene Klammer sein, die dieses Europa zusammenhielt. Doch jetzt ist es ausgerechnet die gemeinsame Währung, die Griechen und Deutsche entzweit. Zwei Länder, zwei Extreme: hier der Exportmeister Deutschland, der seine Produktivität in den vergangenen Jahren immer weiter steigerte – dank Lohnverzichts, aber auch dank des Euros, dort der Pleitestaat Griechenland, der ständig an Wettbewerbsfähigkeit verliert – auch wegen der Währungsunion.
Die Griechen gäben seit Jahrzehnten mehr aus, als sie verdienten, lautet ein berechtigter Vorwurf. Doch daran haben die Deutschen besonders gut verdient. Miele-Waschmaschinen, Grundig-Radios, ein Opel Olympia: Das waren schon in den 60er-Jahren begehrte Statussymbole in Griechenland – auch wenn sie für die meisten Menschen unbezahlbar blieben. Mit dem Beitritt zur EWG 1981 schlug die große Stunde der deutschen Exporteure, die Zollschranken fielen. Die Einführung des Euros gab den Ausfuhren nach Griechenland noch einmal einen kräftigen Schub. Sie haben sich zwischen 2002 und 2008 mehr als verdoppelt.
Auch die Vertreter der deutschen Rüstungsindustrie gaben sich in Athen die Klinke in die Hand. Die Griechen waren lange ihre besten Kunden: Panzer und Geländewagen, Unimogs und U-Boote, Fregatten und Granaten. Selbst als die griechische Finanzmisere längst offensichtlich war, kam Kanzlerin Merkel nach Athen und drängte den damaligen Premier Kostas Karamanlis zum Kauf milliardenschwerer Eurofighter. Und wenn die Griechen mit einem Kauf zögerten, halfen deutsche Firmen wie Siemens oder Ferrostaal mit Schmiergeldern nach. Die wurden auf die Rechnungen draufgeschlagen. Das relativiert aus Sicht vieler Griechen den Vorwurf, Griechenland sei besonders korrupt. Das mag zwar zutreffen. Aber deutsche Firmen verstanden es besonders gut, auch davon zu profitieren.
Während viele Deutsche jetzt in gereiztem Ton fragen, warum sie für Griechenlands Schulden zahlen sollen, erinnert der 88-jährige griechische Widerstandskämpfer Manolis Glezos an eine andere Schuld: 108 Milliarden Euro müsse Deutschland den Griechen als Reparationen für die im Zweiten Weltkrieg angerichteten Gräuel und Verwüstungen zahlen, rechnet er akribisch vor. In den Besatzungsjahren beschlagnahmte die Wehrmacht nicht nur Brennstoffe und Lebensmittel, was 300.000 griechische Zivilisten erfrieren und verhungern ließ. Sie bürdeten den Griechen mit einer Zwangsanleihe bei der Bank von Griechenland auch noch die Kosten der Besatzung auf.






Am vergangenen Sonntag demonstrierte Manolis Glezos mit Zehntausenden auf dem Athener Syntagmaplatz gegen das „Spardiktat“, für das viele Griechen vor allem die deutsche Regierung verantwortlich machen. Glezos ist in Griechenland ein Volksheld, seit er als 18-Jähriger in der Nacht zum 30. Mai 1941 auf die Akropolis kletterte und die Hakenkreuzfahne herunterriss, die deutsche Besatzer dort zuvor gehisst hatten.
Sie wollen nicht weichen, die düsteren Schatten der Geschichte, die man so gern vergessen möchte.





