Ian Shapiro: „Die großen Parteien leiden an zu viel Demokratie“
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Yale-Politologe Ian Shapiro„Im Westen leiden die großen Parteien an zu viel Demokratie“
Für den Yale-Politologen Ian Shapiro steckt der Westen in einer hausgemachten Krise. Innerparteiliche Demokratie hätte Populisten erst stark gemacht.
Ian Shapiro sieht die westlichen Demokratien in einer hausgemachten Krise.
(Foto: Jörg Block für Handelsblatt)
BerlinAls Amerikaner kann Ian Shapiro zu Hause die Auswirkungen des Populismus auf die Demokratie wie in einem großen Labor beobachten. Bei seinem Besuch an der American Academy in Berlin zeigt der in Yale lehrende Politikwissenschaftler, dass er sich auch in der deutschen Parteienlandschaft bestens auskennt. Shapiro veröffentlicht im August zusammen mit seiner Kollegin, der Yale-Professorin Frances Rosenbluth, ein neues Buch zum Zustand westlicher Demokratien, Titel: „Democratic Competition: The Good, the Bad, and the Ugly“.
Herr Shapiro, die traditionellen Parteien in Europa und den USA stecken in einer tiefen Identitätskrise. Woran liegt das? Die großen Parteien leiden überspitzt gesagt an zu viel Demokratie.
Wie meinen Sie das? Die wachsenden internen Kontrollen in demokratischen Parteien – wie etwa die Mitgliederbefragungen bei der SPD – führen zu zwei Fehlentwicklungen: Erstens, sie machen es den Parteien schwerer, sich auf ein Programm zu einigen und dieses dann auch umzusetzen. Zudem entsteht ein parteiinterner Wettbewerb, der tendenziell dazu führt, dass jede Fraktion vor allem ihre Klientel im Blick hat.
Wettbewerb um Ideen und Programme ist doch eine gute Sache. Ja, wenn er zwischen den Parteien stattfindet, ist das für die Demokratie gesund. Zu viel parteiinterner Wettbewerb führt hingegen zu Zersplitterung des politischen Spektrums und kann so die Regierungsarbeit behindern.
In Deutschland gab es doch durch die Gründung der Grünen und heute durch die AfD mehr politischen Wettbewerb auch zwischen den Parteien. Die Demokratie funktioniert am besten mit zwei großen, miteinander konkurrierenden Parteien.
Warum? Jede Partei weiß dann, dass die Gegenseite gewinnt, wenn sie nicht selbst die meisten Stimmen holt. Das schafft den Anreiz, so viele Stimmen wie möglich auch an den politischen Rändern einzusammeln. Das schafft man nur mit einem breiten politischen Programm. In einem Mehrparteiensystem mit Koalitionsregierungen fehlt dieser Anreiz für die großen Parteien.
In Deutschland gab es lange zwei starke Volksparteien. Heute nicht mehr. Was ist schiefgelaufen? Es wurden auf der linken und rechten Seite des politischen Spektrums unterschiedliche Fehler gemacht, nicht nur in Deutschland, sondern in vielen westlichen Demokratien. Dadurch, dass die organisierte Arbeiterbewegung in den 70er-Jahren stetig schwächer wurde, kam es zunächst zu einer Zersplitterung bei den Linken.
Vita Ian Shapiro
Der 61 Jahre alte Ian Shapiro lehrt Politik- und Rechtswissenschaft an der amerikanischen Eliteuniversität Yale nördlich von New York. Er gilt als einer der einflussreichsten Autoren in der Demokratieforschung.
Shapiros neuestes Werk „Democratic Competition“ beschäftigt sich mit der Krise westlicher Demokratien. Es soll im August im Handel erhältlich sein.
Und was ist mit den Rechten? Die Mitte-rechts-Parteien dachten, sie könnten die heimatlos gewordenen Wähler aus der Arbeiterschaft einsammeln, rückten weiter nach links und vergaßen dabei völlig, dass sie damit ihre eigenen Wähler im rechten Spektrum verärgern würden. Franz Josef Strauß hat davor gewarnt, als er sagte, rechts von der Union dürfe es niemals eine Partei geben. Dieser Rat wurde jedoch ignoriert.
Ist die Große Koalition in Deutschland – aus Union und SPD – also aus Ihrer Sicht schlecht für die Demokratie? Ja. Eine Mitte-rechts-Koalition wäre besser gewesen. Dann hätte auch die SPD eine Chance gehabt, sich neu zu formieren.
Der CDU fehlte dazu der Mut? Die CDU hat es sich in der Mitte bequem gemacht und scheut den programmatischen Wettbewerb.
Ist die Parteienkrise ein neues Phänomen? Nein, die Krise hat in Europa bereits in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts begonnen, als der politische Nachkriegskonsens durch die wirtschaftliche Stagnation ins Wanken geriet. Die Einkommen der Mittelschichten stiegen kaum noch, und die Aufstiegschancen wurden geringer. Später kamen dann der Lohndruck durch die Globalisierung und die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes durch die digitale Revolution hinzu. Die demokratischen Parteien haben darauf bis heute keine Antwort gefunden und so den Unmut vieler Bürger auf sich gezogen.
Und das hat letztendlich zu einer Krise der Demokratie geführt? Ja, die Leute sind wütend und suchen einen Sündenbock. Viele machen das politische System für die Misere verantwortlich. Die Parteien haben darauf mit mehr direkter parteiinterner Demokratie reagiert und damit dem Unmut ein Ventil gegeben. Das führt in einen Teufelskreis.
Welche Rolle spielen die sozialen Medien dabei? Sie verstärken den Trend zum Extremismus, weil Gleichgesinnte bei ihnen mehr und mehr unter sich bleiben. Der politische Wettbewerb von Ideen wird geschwächt.
Ian Shapiro
„China bietet wirtschaftlich keine Alternative zum Kapitalismus.“
(Foto: Ian Shapiro)
Ist der derzeitige Populismus der Höhepunkt der Parteienkrise? Das ist schwer zu sagen. Im Moment versuchen die traditionellen Parteien, den Unmut der Bürger aufzunehmen. Besser wäre es jedoch, die Ursachen für diesen Unmut zu beseitigen.
Warum haben Politikwissenschaftler diese Entwicklungen nicht kommen sehen? Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus 1989 gab es zu Demokratie und Kapitalismus keine Alternative mehr. Einige sprachen gar vom „Ende der Geschichte“. Diese Selbstzufriedenheit hat uns blind für die heutigen Gefahren durch den Populismus gemacht. In den USA ist es Trump, hier ist es die AfD. Wir haben die Gefahr verkannt, weil es scheinbar keine politische Alternative gab.
Populisten hat es doch auch schon früher gegeben. Das ist richtig. Aber bis 1989 gab es mit dem Kommunismus eine gesellschaftspolitische Konkurrenz, die wesentlich dazu beigetragen hat, dass in den westlichen Demokratien ein Wohlfahrtsstaat errichtet wurde. Andernfalls hätte man riskiert, dass die Arbeiter zu den Kommunisten überlaufen.
Könnte das „Modell China“ die neue Alternative zu den westlichen Demokratien sein und so den politischen Wettbewerb im Westen neu beleben? Da bin ich skeptisch. China bietet wirtschaftlich keine Alternative zum Kapitalismus. Zudem glaube ich, dass autoritäre Regime wie in China sehr fehleranfällig sind. Sie unterdrücken den politischen Wettbewerb und damit auch einen wichtigen Mechanismus, neue Informationen zu gewinnen und Fehler zu korrigieren. China steht im Moment nur deshalb so gut da, weil die Wirtschaft lange Zeit um zehn Prozent gewachsen ist. Das ändert sich gerade, und die Verteilungskonflikte in China werden zunehmen.
Wie können die westlichen Demokratien sich erneuern? Das ist ziemlich schwierig. Wenn die großen Parteien erst einmal mehr direkte, dezentrale Demokratie innerhalb ihrer Organisationen eingeführt haben, lässt sich dieser Prozess kaum zurückdrehen. Das gilt vor allem für die SPD, wo die Mitglieder sogar über die Koalitionsvereinbarung abstimmen konnten. Einen Ausweg gibt es nur, wenn die Regierungen die Ursachen für die wirtschaftliche Unzufriedenheit vieler Wähler angehen.
Viele Wähler haben jedoch nicht nur Angst um ihren Job, sondern offenbar auch um ihre kulturelle Identität. Die Flüchtlinge bedrohen vielleicht den Lebensstil, aber nicht den Arbeitsplatz. Ich glaube, dass es vor allem darauf ankommt, die wirtschaftlichen Ängste zu adressieren.
Würde das zu mehr politischem Wettbewerb führen? Ich glaube ja. Wenn die demokratischen Parteien nicht auf die wirtschaftlichen Sorgen der Bürger reagieren, werden nur die Populisten davon profitieren.
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