Auktionsvorbericht: Schwelgen in Kunst
London. In zwei Saal- und einer Onlineauktion offeriert das Haus insgesamt 250 Objekte ihrer weitreichenden und eindrucksvollen Sammlung, die mit Hilfe ausgesuchter Berater zusammenstellt wurde. Die Lose befanden sich als Herzstück ihrer Kollektion in ihrem Londoner Apartment. Ihr Gesamtwert wird auf über 60 Millionen Pfund geschätzt. Sollte diese Summe erreicht werden, wäre das das beste Ergebnis, das das Haus je in Europa für eine Einzelsammlung erzielte.
Mehr als ein halbes Jahrhundert sammelte Karpidas Meisterwerke von Hans Bellmer, Max Ernst, Yves Tanguy, René Magritte, Leonora Carrington, Salvador Dalí, Pablo Picasso, Andy Warhol, Jeff Koons und vielen anderen. Aber nicht nur Bilder und Skulpturen erregten ihre Aufmerksamkeit: Sie wollte auch mit Künstlermöbeln leben. Neben Objekten von Diego Giacometti und anderen beauftragte sie eine Reihe von Einzelstücken vom Ehepaar Claude und François-Xavier Lalanne, von Mattia Bonetti und André Dubreuil. Ihr Interesse, die häusliche Umgebung originell zu gestalten, dabei direkt mit Künstlern zusammenzuarbeiten und Spitzenwerke des 20. Jahrhunderts zu integrieren, macht die Einzigartigkeit ihrer Sammlung aus. Unterstützt wurde sie von den Innenarchitekten Jacques Grange und Francis Sultana.
Vor allem ihre Werke des Surrealismus, sowohl auf Auktionen als auch bei Händlern erstanden, weisen exquisite Provenienzen auf, die von Künstlern wie André Breton und William Copley bis hin zu Sammlern wie Sir Roland Penrose und Julian Levy reichen. Spitzenlos der Auktion ist René Magrittes Gemälde „La Statue volante“ von 1958, das mit einer Schätzung von 9 bis 12 Millionen Pfund ins Rennen geht. Karpidas kaufte das Bild 1985 vom bedeutenden Galeristen und Sammler Alexander Iolas, der ihr Mentor wurde. Es finden sich aber auch intime Zeichnungen von Max Ernst und Collagen von Hannah Höch in ihrer Sammlung, ebenso jüngere Kunst: so Plastiken von Louise Bourgeois und Rebecca Warren und humoristische Tiermotive von Niki de Saint Phalle. Da fast das gesamte Inventar des Hauses zum Verkauf kommt, gibt sich der individuelle Stil der Sammlerin während der Vorbesichtigung ab dem 8. September sicherlich gut zu erkennen, bevor die Arbeiten wohl über die ganze Welt verstreut werden.
Über die Biografie der heute 81-jährigen Karpidas ist recht wenig bekannt. Geboren in Manchester, besuchte sie eine Schule für Sekretärinnen in London, bevor sie in Griechenland eine Modenboutique eröffnete. Dort traf sie ihren Ehemann, den Schiffsmagnaten Constantine Karpidas. Zur Kunst fand sie in den 1970er-Jahren. Nicht umsonst wird sie oft mit der legendären Sammlerin Peggy Guggenheim verglichen. Jeden Sommer lud sie nach Hydra in ihr Haus ein, wo sie auch einen Ausstellungsraum betrieb. Dort versammelten sich Künstler, Kuratoren, Sammler, Kritiker und Freunde. Die letzte Ausstellung des „Hydra Workshop“ fand 2017 statt. Die Sammlung aus Hydra kam bereits 2023 bei Sotheby’s in Paris zur Auktion, wobei mit einem Umsatz von 35,6 Millionen Euro die Schätzung verdoppelt und ein Weltrekord für Claude Lalanne erzielt werden konnte. Aber Karpidas ist nicht nur eine Sammlerin, sondern auch eine großzügige Stifterin. Schon 2015 schenkte sie dem Whitworth Museum in ihrer Geburtsstadt 90 Werke zeitgenössischer Kunst und spendete der dortigen Universität bedeutende Summen.
Die Auktion findet in keinem einfachen Klima statt. Der Kunstmarkt ist allgemein in einer Krise und die Auktionshäuser sahen ihre Umsätze radikal zurückgehen. Auch Sotheby’s selbst steht seit einiger Zeit aufgrund von Stellenstreichungen im letzten Jahr und dem Weggang bedeutender Experten unter Beobachtung. Der „New Yorker“ widmete sich in dieser Woche ausführlich dem umstrittenen Führungsstil des recht neuen Eigentümers Patrick Drahi.
Aber dennoch gibt es guten Grund zur Hoffnung. In der Auktion sind viele attraktive, erstklassig dokumentierte Meisterwerke im sechsstelligen Bereich. Der Surrealismus erlebt seit Jahren einen Aufschwung, und dass die Arbeiten aus einem gelebten Kontext stammen, verstärkt nur noch ihre Attraktivität. Daneben gibt es aber auch erschwingliche Stücke, die bei 500 Pfund beginnen – darunter Designobjekte, die neue Käuferschichten ansprechen, aber auch Arbeiten von Zeitgenossen im vierstelligen Bereich. Die Verteilung der Lose auf verschiedene Auktionen, darunter eine leicht zugängliche Onlineauktion, sollte es zudem vielen Interessen leicht machen, sich ein Stück Sammlergeschichte zu ergattern. Und wer sich nicht engagieren will, kann immer noch auf das Buch „Pauline Karpidas: The London Collection“ zurückgreifen. Das kostet nur 60 Pfund.
» Lesen Sie auch: Künstlerinnen beleben die Londoner Sommersaison