Ausstellung: Edvard Munch – Schockeffekte für Berlin
Die Darstellung von Menschen in der Natur wurde zu einem Lebensthema.
Foto: MUNCH, Oslo / Halvor BjørngårdBerlin. Seit 120 Jahren ist es ein Fakt der Kunstgeschichte: Internationale Rezeption und Markterfolg des norwegischen Malers Edvard Munch gingen von Berlin aus. Hier feierte er nach einem umkämpften Debüt seine größten Erfolge, hier wurden die Berliner Secession und der Kunstsalon Cassirer zu seinen wichtigsten Wegbereitern.
Es war mehr als eine Initialzündung: Im Jahr 1930 waren Munchs Gemälde und Grafiken in 15 deutschen Museen vertreten. Die Berlinische Galerie zeigt jetzt eine Ausstellung, deren Thema Munchs besonderes Verhältnis zur Kunststadt Berlin ist. Von 1892 bis 1933 fanden hier nicht weniger als 58 Munch-Ausstellungen in Galerien und Ausstellungshäusern statt. Höhepunkt war die Retrospektive von 1927 im Kronprinzenpalais, in der 233 Gemälde figurierten.
Den Beginn von Munchs Karriere prägte ein Skandal. 1892 lud der Verein Berliner Künstler den 1889 bis 1892 in Frankreich geschulten Maler zu einer Einzelausstellung mit 55 Gemälden ein. Zu dieser Zeit hatte Munch schon einige Hauptwerke wie „Drei Mädchen auf einer Brücke“, „Eifersucht“ und „Der Kuss“ geschaffen. Nach acht Tagen wurde die Schau aufgrund des Protests konservativer Künstler geschlossen. Aber das schreckte den Norweger nicht und stärkte seine Publizität.
In den nächsten drei Jahren arbeitete der Künstler überwiegend in Berlin, organisierte in einem Geschäftshaus Unter den Linden eine Soloausstellung, in der er die Urfassung des Gemäldes „Der Schrei“ und die ersten Versionen des vielteiligen Zentralwerks „Lebenfries“ zeigte.
Nach einem längeren Aufenthalt in Paris, wo Munch keinen Erfolg mit seinen Werken hatte, kehrte er immer wieder vorübergehend nach Berlin zurück, wo er 1902 in der „Secession“ mit sensationellem Erfolg 22 Gemälde zum „Lebensfries“ zeigte. In der Ausstellung der Berlinischen Galerie hängen jetzt 14 in den Jahren 1904 bis 1907 entstandene Werke zu diesem Lebensthema, in dem die Darstellung von Menschen in der Natur zu einer Abfolge von Seelenzuständen, einer Figuration von Liebe, enger Gemeinschaft und Isolation von Einzelgängern wird.
Der Maler zeigt 1904 die Jugend als melancholische, isolierte Einzelgänger. Der flächige, dünne Farbenauftrag verstärkt die zum Ausdruck gebrachte seelische Verfassung.
Foto: MUNCH, Oslo / Juri KobayashiAm 17. Januar 1903 wurde im Kunstsalon Cassirer eine große Munch-Ausstellung eröffnet. Neben 22 neuen Bildern zeigte sie das bis dato entstandene gesamte grafische Schaffen des Künstlers. Sie lief leider nur 14 Tage, weil sie nach Paris weiterwanderte, wo nun allmählich Munchs Anerkennung wuchs.
Immer wieder zeigte diese Galerie, die sich dem Impressionismus verschrieben hatte, aber auch die Wiederentdeckung El Grecos förderte, von nun an Werke von Munch. Aber sie blieb nicht die einzige. Auch die Galerien Fritz Gurlitt (Berlin), E. Arnold (Dresden), Thannhauser (München) widmeten sich in den Folgejahren den Werken des Künstlers, der nicht nur als stärkster Exponent der norwegischen Malerei, sondern auch als großer Anreger der deutschen Moderne vor dem Ersten Weltkrieg gefeiert wurde.
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Der Kunsthistoriker Curt Glaser, der dem Künstler zahlreiche erhellende Aufsätze widmete, betonte, dass er durch „die ihm eigentliche Form der Gestaltung seelischen Erlebens der Führer einer jungen Generation von Künstlern“ geworden sei.
Munch war ein Künstler, der sich nicht schonte. Seine Alkoholexzesse und Klinikaufenthalte, sein Absturz nach einer tragischen Liebesbeziehung sind prägender Teil seiner Biographie. In jetzt ausgestellten Werken wie „Der Kuss“, „Melancholie“, „Vampir“, „Eifersucht“, „Die Frau“ – zum Teil spätere Fassungen dieser Lebensthemen – verkörpert sich die streckenweise düstere und quälerische Innenschau, die sich allmählich in eine freiere und lichtere Farbigkeit auflöst.
In dem sogenannten „Reinhardt-Fries“, den der Regisseur und Theaterleiter Max Reinhardt 1907 für die Kammerspiele des deutschen Theaters in Berlin erwarb und das sieben Jahre später von der Galerie Gurlitt angekauft wurde, lösen sich teils die Konturen auf und im Kontrast dazu erscheinen Figuren zu Blöcken zusammengeschweißt. Farbe strömt hier frei und der lockere Pinselstrich stärkt den Ausdruck einer seelischen Zwängen enthobenen Malerei.
Psychologischen Durchblick bewies der Künstler auch mit seinen zahlreichen Selbstbildnissen. Das abgebildete Werk entstand 1905 bis 1906.
Foto: MUNCH, Oslo / Ove KvavikMit einer starken Werkgruppe plädiert die Ausstellung für den Porträtmaler Munch, als den er sich selbst nicht sah. Dabei sind doch gerade seine zahlreichen Selbstbildnisse eindringliche Paradebeispiele dieser Gattung, und Auftragswerke wie das Ganzporträt von Walter Rathenau zeigen psychologischen Durchblick.
Munchs Einfühlungsvermögen wirkt ebenso eindringlich in den Porträtgrafiken Strindbergs, Ibsens und des eigenen Kopfes mit dem Knochenarm. Sie sind in einem Grafikraum neben heraldischen Blättern wie der von Spermien und Embryo umrahmten „Madonna“ oder der zarten Leidensfigur „Das kranke Kind“ zu finden.
Munch hatte sich die grafischen Techniken, die ihn 2008 in einer Osloer Auktion mit 2,1 Millionen Dollar für „Vampyr II“ zum teuersten Meistergrafiker der Moderne machten, schon Mitte der 1890er-Jahre autodidaktisch angeeignet.
Einer der teuersten Maler der Geschichte
Auch als Maler ist Munch einer der teuersten der Marktgeschichte. Als im November 2016 bei Sotheby’s das 1902 datierte Gemälde „Mädchen auf einer Brücke“ für 54,4 Millionen Dollar an den Potsdamer Unternehmer Hasso Plattner fiel, war das kein Weltrekord. Schon vier Jahre vorher hatte das ikonische Pastell „Der Schrei“, von dem es zahlreiche Varianten gibt, im selben Auktionssaal 119,9 Millionen Dollar erlöst. Eher bescheiden nehmen sich dagegen die 16,9 Millionen Pfund aus, die das Teilstück „Tanz am Strand“ aus dem Reinhardt-Fries im März 2023 bei Sotheby’s in London erzielte.
In den tief schürfenden Teilen des „Lebensfries“ ist die Landschaft stimmungsvoller Partner des Menschenbildes. Ansonsten ist Munchs Landschaftsmalerei in der Berliner Schau nur sporadisch vertreten. Dem bisher wenig gewürdigten Landschaftsmaler widmet das Potsdamer Museum Barberini ab November eine eigene Ausstellung. Darin sind die Stilwandlungen und Stärken des Norwegers in einer nicht minder anspruchsvollen Gattung nachzuerleben.
„Edvard Munch. Zauber des Nordens“, Berlinische Galerie, bis 22. Januar 2023. Katalog 39,80 Euro. „Munch. Lebenslandschaft“, Museum Barberini, Potsdam, 18. November bis 1. April 2024. Ein Shuttlebus wird Potsdam mit Berlin verbinden.