Ausstellung in Düsseldorf: Die Spielverderberin
Düsseldorf. Auf dem Weg zur Bel Etage im K21 wehen sakrale Klänge ans Ohr, Orgelmusik und Chöre. Die assoziativ aufgeladenen Klänge gehören zu einer Videoarbeit von Andrea Büttner und locken auf eine falsche Fährte. Denn Büttner setzt mit ihren Arbeiten gerade nicht auf sinnliche Reize, Opulenz und suggestive Überwältigungskraft. Die archaischen Klänge sind nur Nebensache.
Die Videoprojektion „Coventry Cathedral“ (2017/2023) entstand am Ort der 1940 durch NS-Luftangriffe zerstörten und 1962 als Neubau errichteten Versöhnungskirche St. Michael’s Cathedral. Die Kamera schweift durch die Architektur des Neubaus und zeichnet ein nachdenkliches Interview der Künstlerin mit Ordensfrauen auf.
In dem Gespräch geht es um Architektur und den Versuch, das Trauma der Moderne mit Design zu heilen. Diese Frage bleibt hier ebenso unbeantwortet wie in der zweiten Videoarbeit „Liberty and Morris: Simple Life and so on“ (2018). Gegenstand ist hier ein Interview mit der Künstlerin und Kunsthistorikerin Pauline Paucker über William Morris, den Gründer der Arts and Craft Movements und Unterstützer der sozialistischen Bewegung. Schauplatz ist das Londoner Kaufhaus Liberty.
Vor einem Sortiment typischer Liberty-Stoffe dreht sich das Interview um Sozialismus, guten Geschmack und die Frage: Wie hängen Design und Politik zusammen?
Eines von Büttners Kernthemen ist die Fetischisierung des Handwerks als Reaktion auf die Industrialisierung. Diese Fetischisierung dauert bis heute nicht nur an, sondern wird immer weiter ausdifferenziert. Sie vergisst dabei ihre Wurzeln. Von Libertys viktorianischen Blümchenmustern ist es nicht weit bis zu jenem „Warenhaus der guten Dinge“, das sich heute in jeder besseren Fußgängerzone findet und edle Waren aus traditioneller Produktion anbietet.
Wie „Öko-Faschismus“ und das KZ Dachau zusammengehört
Böse Zungen bezeichneten das Zielpublikum dieses Anbieters einst als grüne Neospießer. Das Spektrum der Kundschaft dürfte jedoch ungleich breiter sein. Büttner erinnert an die Ambivalenz dieses „Warenhauses“ mit einer Vitrine in dessen Stil, in dem Gläser mit exquisitem Honig wie Kunstobjekte ausgestellt sind. Verwiesen wird auch darauf, dass der Unternehmensgründer früh bei den Grünen aktiv war und inzwischen der neuen Rechten zugerechnet wird.
Dass der Kampfbegriff des Öko-Faschismus nicht aus der Luft gegriffen ist, führt Andrea Büttner im Raum nebenan vor Augen: Da sind zwei großformatige, unspektakuläre Fotos von verwildertem Grün zu sehen. Tatsächlich sieht man alte Beet-Fundamente auf einem heutigen Industriegebiet.
Die Künstlerin erklärt: „Das war früher die so genannte 'Kommando Plantage' des KZ Dachau. Dort hat die SS biodynamische Forschung betrieben. Himmler war ja sehr an der Lebensreform-Bewegung interessiert. Das hier wurde „Der Kräutergarten“ genannt.“
Ohne diesen Kontext sind die Fotos eher belanglos, und die Frage eines Journalisten-Kollegen nach der Autorschaft der Fotografien wischt die Künstlerin weg mit den Worten: „Das ist nicht wichtig“. Ein fast schon entlarvender Satz, denn Andrea Büttner geht es, wenn überhaupt, tatsächlich nur am Rande um Kunst im tradierten Sinn und damit auch um Autorschaft.
Die studierte Philosophin versteht sich eher als Forscherin auf der Suche nach unheilbaren Ambivalenzen in der Gesellschaft und nach Störgeräuschen in der Kunstproduktion. Sie versteht sich durchaus auch als Spielverderberin. So entlarvt sie ein aufgeklärtes Konsumverhalten, das Wegwerfprodukte meidet und nostalgisches Design bevorzugt, als faule Illusion. Damit wird ein gutes Gefühl erkauft, ohne die Produktions- und Arbeitsbedingungen und den ideologischen Hintergrund solch vermeintlich authentischer Produkte zu reflektieren.
Schönheit und Schrecken liegen nah beieinander
Neben den Fotografien ist ein Tisch aufgebaut, auf dem weit über 100 aus Lindenholz handgeschnitzte Spargel aufgereiht sind. Diese Arbeit aus verschiedenen von ihr beauftragten Schnitzschulen spreche über die Fetischisierung des Handwerks im Bereich der Kunst, so Büttner. Nebenbei ruft sie auch die Diskussion über prekäre Arbeitsbedingungen bei der Spargelernte während der Pandemie wieder ins Gedächtnis. Damals sorgten Erntehelfer aus Osteuropa in Zeiten der Kontaktsperren, eingepfercht in Massenunterkünften, für den Genuss des Saisongemüses.
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Auf einem Tisch nebenan sind leere Vasen zu sehen. Sie beziehen sich wiederum auf ein Forschungsprojekt aus der NS-Zeit, als man versuchte, aus Gladiolenblüten garantiert deutsches Vitamin C zu gewinnen. Zusammenhänge, die sich aus den stummen Objekten selbst beim besten Willen nicht herstellen lassen, sondern nachzulesen sind. Es interessiere sie, wie nah beieinander Schönheit und Schrecken liegen, sagt Büttner.
Im benachbarten Raum hängt dann endlich Kunst an der Wand, eine Reihe von monumentalen Holzschnitten, die von Ernst Barlach inspiriert sind, obwohl Barlach sie eigentlich gar nicht so sehr interessiere, wie Büttner zugibt, „im Gegenteil sogar.“ Die reduzierten Bildtafeln nennt sie „Beggar“. Sie fangen in minimalistischen Linien eine bittende Bewegung geöffneter Hände ein. Ein Motiv, das sich durch die Kunstgeschichte zieht, wie auch die „Kunstgeschichte des Bückens“ (2021), die Büttner in einer Reihe von Dias erzählt. Die Wände gegenüber sind mit historischem Bildmaterial aus der christlich geprägten Kunstgeschichte gefüllt, die „Schamstrafen“ (2022/23) zeigen, bei denen Menschen öffentlich erniedrigt wurden.
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Büttners Galerist Jan Mot in Brüssel bietet die großen Holzschnitte der „Beggar“-Reihe für 16.000 Euro an, zuzüglich Mehrwertsteuer. Für den Tisch mit der „Spargel“-Installation erwartet er netto 42.000 Euro, für das Video „Coventry Cathedral“ netto 15.000 Euro.
Armut, Arbeit und Ausbeutung sind zentrale Themen von Andrea Büttner und vor allem auch das Gefühl der Scham. Die Schau „No Fear, No Shame, No Confusion“ drängt in drei dicht bestückten Räumen Büttners Schaffen leider nur ausschnitthaft und erklärungsbedürftig zusammen.
Die Fotos im Katalog der Vorgängerschau „Der Kern der Verhältnisse“ im kooperierenden Basler Kunstmuseum zeigen eine ungleich üppigere Auswahl. Sie zeigte mehr Kunst und konnte die in Düsseldorf nur angerissenen gesellschaftspolitischen Themen vertiefen. In der Bel Etage des K21 ist das Publikum gefordert, sich die Inhalte selbst zu erarbeiten. Ganz anders als im Souterrain, wo der britische Künstler Isaac Julien in einer opulenten Schau seine scharfe Gesellschaftskritik in betörenden Videos formuliert.
„Andrea Büttner. No Fear, No Shame, No Confusion“, bis18. Februar 2024, K21 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf
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