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AusstellungWarum fünfzehn Bauhaus-Studenten in die SA eintraten

Eine Ausstellung in Weimar korrigiert das Narrativ, die Avantgarde-Kunsthochschule und der Nationalsozialismus seien unvereinbar gewesen.Susanne Schreiber 17.05.2024 - 08:25 Uhr

Weimar. Das Foto ist echt, wirkt aber wie eine Fälschung: Adolf Hitler lässt sich 1935 und 1937 in einem Freischwingersessel aus dem unter den Nazis als „kulturbolschewistisch“ verschrienen Bauhaus fotografieren. Die Fotos aus Hitlers Feriendomizil auf dem Obersalzberg erscheinen im „Völkischen Beobachter“ und im französischen Magazin „Vu“.

Das ist mehr als verblüffend, bekämpften doch rechtskonservative Kreise und die NSDAP die wichtigste Avantgarde-Kunsthochschule in Weimar und Dessau von Anfang an. Sie erreichten erst die Schließung des Bauhauses in Dessau, dann musste Ludwig Mies van der Rohe seine als Privatinstitut in Berlin weitergeführte Schule 1933 aufgeben. Daraufhin gingen einige Leitfiguren ins Exil oder versuchten zu kooperieren, bevor sie Deutschland doch noch verließen.

Erstmals werden Kontinuitäten sichtbar – vor allem in den angewandten Künsten, die weniger im Fokus standen als die verfemte moderne Malerei und Grafik. Der Designer Wilhelm Wagenfeld etwa war nie Parteigenosse, hatte aber zahllose Kontakte zur Wirtschaftselite der Nazis. Wagenfelds berühmte „Kubus“-Vorratsdosen aus Glas wurden nach einem Entwurf von 1931 bis 1968 in der Lausitz produziert.

Den Stahlrohrsessel hatte Anton Lorenz entworfen, ein Schüler von Marcel Breuer; produziert wurde er von der Firma Thonet. Er steht in der Ausstellung „Bauhaus und Nationalsozialismus“ im Schiller-Museum vor den Hitler-Fotos vom Obersalzberg. Die Klassik Stiftung Weimar korrigiert mit ihrer aufwendigen dreiteiligen Schau die Bauhaus-Geschichte und überrascht lesewillige Gäste fortlaufend.

Der Grafikdesigner Herbert Bayer schuf Plakate, nicht für die Partei, aber für Messen und Produkte. Er beansprucht für sich, den Gruß „Heil Hitler“ stets verweigert zu haben. Aber Bayer warb für regenabweisende Kleidung mit einem Aufkleber „Kleidung aus arischer Hand“. Sich selbst beschrieb der ehemalige Bauhaus-Schüler und -Lehrer einmal als „Favorit des Propagandaministeriums“. Zerrissen zwischen Staatsräson und Empfinden entschied er sich erst 1938 für die Freiheit und emigrierte in die USA.

Ausstellung

Künstler während des Nationalsozialismus: Im Zickzackkurs durch Krieg und Diktatur

Die Hauptausstellung „Lebenswege in der Diktatur 1933−1945“ im Schiller-Museum betritt Neuland. Sie breitet aus, wie verschieden und voller Widersprüche sich Bauhaus-Lehrer, -Schülerinnen und -Absolventen nach der Machtergreifung das Überleben sicherten. Das bisherige Narrativ lautet: Die avantgardistischen Bauhäusler seien gegen die Nationalsozialisten eingestellt gewesen, emigriert oder in die innere Emigration gegangen. Das stimmt nicht.

Von 1253 Studierenden blieben 569 in Deutschland. Überraschend ist die hohe Zahl von Parteigängern, die dem Klischee von den Helden der Moderne am Bauhaus widerspricht: 188 Studierende traten in die NSDAP ein, 15 Männer in die SA, 14 in die SS. Dieser überragenden Ausstellung gelingt es, die Leistung der wegweisenden Kunstschule zu würdigen und gleichzeitig die Zickzackbewegungen von 58 individuellen Künstlerbiografien sachlich zwischen Anpassung und Auslöschung nachzuzeichnen.

In dieser Stuhlreihe im Schiller-Museum steht der Freischwinger, in dem Hitler sich fotografieren ließ, ganz rechts. Entworfen hat ihn Anton Lorenz, produziert wurde er von Thonet. Foto: Thomas Müller

Exemplarisch ist der widersprüchliche Lebenslauf von Franz Ehrlich (1907–1984). Als Grafiker einer kommunistischen Zeitung wird er inhaftiert und muss 1937 ins Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar. Dort wandelt sich der Anti-Nazi zum Kollaborateur und entwirft für die Lagerleitung die moderne Schrift für „Jedem das Seine“ im Buchenwaldtor.

Danach sucht der Ex-Häftling freiwillig eine Anstellung im SS-Bauwesen. Dessen ungeachtet gelingt Franz Ehrlich eine Karriere in der DDR als Innenarchitekt. Dass Ehrlich darüber hinaus auch informeller Mitarbeiter der Staatssicherheit war, erzählt Kuratorin Anke Blümm nebenbei, im Katalog steht es nicht.

Der verständlich geschriebene Katalog und die dreiteilige Ausstellung wurden von drei erfahrenen Forschenden kuratiert. Die Kunsthistorikerin Anke Blümm und Patrick Rössler, Professor in Erfurt, hatten zuvor die Lebensdaten ehemaliger Bauhaus-Angehöriger unter anderem in dem DFG-Forschungsprojekt „Bewegte Netze“ erschlossen und veröffentlicht. Die Amerikanerin Elizabeth Otto ist Professorin in Buffalo und schreibt derzeit an einem Buch über die NS-Zeit der Bauhäusler.

Trotz NSDAP-Mitgliedschaft ausjuriert

„Der Nationalsozialismus war nicht stringent“, sagte Kuratorin Blümm bei einer Führung. Zahlreiche Beispiele von Produktdesign führen das vor Augen. Die sogenannten „Bauhaus-Tapeten“ wurden weiter unter diesem verfänglichen Namen vermarktet, Erich Dieckmanns gemütliche Sessel in modernistischer Form und der Schlaufentisch aus Stahlrohr weiterhin produziert. Andererseits schützte ein Parteieintritt nicht vor Ausjurierung. Das erfuhr Heinrich Basedow mit seinem surreal anmutenden Möwen-Gemälde, das nicht in die Große Deutsche Kunstausstellung aufgenommen wurde.

Zwei kleinere Extraschauen ergänzen die „Lebenswege“. Das Museum Neues Weimar zeichnet die politischen Kämpfe nach, denen das Bauhaus von Anfang an ausgesetzt war. Das Bauhaus-Museum widmet sich der Aktion „Entartete Kunst“ und ihrer Vorläufer, die den Bestand moderner Gemälde schon ab 1930 verkleinerten. Zu den besonderen Hightech-Erlebnissen im Bauhaus-Museum gehört ein virtueller Besuch im Museum of Modern Art. 1938 hatte Walter Gropius, der 1934 zunächst nach London emigrierte erste Bauhaus-Direktor, die erste große Überblicksschau zur Kunstschule in Szene gesetzt. Sie umfasst allerdings nur die Jahre 1919 bis 1928.

Bis zu sechs Besucherinnen und Besucher können sich mit VR-Brillen unter Anleitung in Gropius’ historische Schau begeben und punktuell vertiefen. Das Erstaunlichste: Viele seiner Exponate waren nur Reproduktionen und keine Originale. Denn der Emigrant Gropius konnte nur auf seine persönliche Sammlung und Repros aus seinem Unterrichtsmaterial zurückgreifen.

Blick in die Ausstellung im Bauhaus-Museum: Links außen „Möwe mit Kutter“ von Heinrich Basedow d.J. Der Maler trat der NSDAP bei, trotzdem wurde sein Bild abgelehnt bei der Großen Deutschen Kunstausstellung. Foto: Thomas Müller

Für das Großprojekt der Klassik Stiftung wurden nur zwei Exponate eigens erworben. Sie stammen aus einer Gruppe von 268 Fotografien der ehemaligen Bauhaus-Studentin Hilde Horn, die kürzlich mithilfe der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung angekauft werden konnte. Die umfangreiche Privatsammlung von Manfred Ludewig wurde bereits 2010 in Hinblick auf die Eröffnung des Bauhaus-Museums erworben.

Wer viel liest in den drei Teilausstellungen, kommt der Zeit und den Kunstschaffenden in deren zwischen Anpassung und Exil mäandernden Lebensläufen sehr nahe. Wer sich aber vor allem nach der Kulinarik wertvoller Objekte sehnt, dem sei das Bauhaus-Museum empfohlen. Hier werden ein paar der einst Weimar gehörenden Gemälde präsentiert: etwa die kristallin zersplitterten Gemälde von Lyonel Feininger aus den USA oder „Sterbende Pflanzen“ von Paul Klee – alle Opfer der Aktionen „Entartete Kunst“ in Weimar.

Aber die Ausstellung „Bauhaus und Nationalsozialismus“ möchte eher aufklären als verklärten Kunstgenuss initiieren. Sie zeigt am Beispiel der Kunst, dass sich heute die aktuelle radikale Infragestellung von Rechtsstaat und Demokratie nicht wiederholen darf. Sie versteht sich im Wahljahr 2024 als Beitrag der Klassik Stiftung Weimar zur Demokratiestärkung und -bildung. 

„Bauhaus und Nationalsozialismus“: Drei Ausstellungen bis 15. September 2024 in Weimar
Teil 1 – „Politische Kämpfe um das Bauhaus 1919−1933“ im Museum Neues Weimar, Jorge-Semprun-Platz 5: Mo, Mi bis So 9.30 bis 18.00

Teil 2 – „Abgehängt – Beschlagnahmt – Angepasst 1930/1937“ im Bauhaus-Museum, Stéphane-Hessel-Platz 1: Mo, Mi bis So 9.30 bis 18.00

Teil 3 – „Lebenswege in der Diktatur 1933−1945“ im Schiller-Museum, Schillerstraße 12: Di bis So 9.30 bis 18.00
Preiswerter Eintritt: Die ModerneCard für 17 Euro berechtigt innerhalb eines Jahres zu je einem Eintritt in allen Häusern der Modernen Kunst innerhalb der Klassik Stiftung.

Der Katalog „Bauhaus und Nationalsozialismus“, hg. von Blümm, Otto, Rössler, erscheint im Hirmer Verlag. Im Museum kostet er 37 Euro, im Handel 49,90. Er ist sehr gut geschrieben und wendet sich an das breite Publikum.

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An Kenner und Spezialisten richtet sich Teil 2, der ab Juli im Wallstein Verlag erscheinen soll und die Forschungsergebnisse der Bauhaus-Tagung von 2023 versammelt.

Mehr: Wie Kunstschaffende im Nationalsozialismus überlebt haben

Erstpublikation: 15.05.2024, 12:47 Uhr

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