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AusstellungWie Kunstschaffende im Nationalsozialismus überlebt haben

Eine ausgezeichnete Ausstellung in Weimar stellt die Kontinuität der Bauhaus-Ästhetik nach der Machtergreifung dar. Dabei schildert sie Überlebensstrategien zwischen Anpassung und Konzentrationslager.Susanne Schreiber 09.05.2024 - 11:36 Uhr
1938 entwirft der Gefangene Franz Ehrlich den bekannten Schriftzug „Jedem das Seine“ für die Tür im Tor zum KZ Buchenwald – in einer typischen Bauhaus-Schrift. Foto: Susanne Schreiber

Weimar. Die Klassik Stiftung Weimar korrigiert die Bauhausgeschichte. Erstmals zeigt eine dreiteilige Ausstellung auf, wie sich Bauhaus-Lehrer und -Absolventen im Nationalsozialismus das Überleben sicherten. Als sich das Bauhaus 1933 in Berlin unter Druck selbst auflöste, gingen ihre Leitfiguren ins Exil oder in die innere Emigration.

Das bisher gängige Narrativ lautete: Die avantgardistischen, seit 1919 oft angefeindeten Bauhäusler seien ausnahmslos gegen die Nationalsozialisten eingestellt gewesen. Das stimmt nicht. Ausstellung und Katalog legen eine exakte Statistik vor.

Von 1253 Studierenden blieben 569 nach der Machtergreifung in Deutschland. 202 waren bereits vor 1933 in ein anderes Land gezogen; als ausländische Studierende etwa in ihre Heimat. 134 Menschen verließen das Land aus politischen Gründen. Von 363 ist ihr Schicksal unbekannt. Die hörbehinderte Weberin Otti Berger etwa wurde 1944 nach Ausschwitz deportiert und dort ermordet.

Ausstellung

Künstler während des Nationalsozialismus: Im Zickzackkurs durch Krieg und Diktatur

Vollkommen überraschend ist die hohe Zahl von Parteigängern, die so gar nicht zum Klischee von den Helden der Moderne im Bauhaus von Weimar, Dessau und Berlin passt: 188 Studierende traten in die NSDAP ein, 15 Männer in die SA, 14 in die SS.

Der überragenden Ausstellung „Bauhaus und Nationalsozialismus“ gelingt es, die Leistung der wegweisenden Kunstschule zu würdigen und gleichzeitig die Zickzackbewegungen von 58 individuellen Künstlerbiografien sachlich nachzuzeichnen. Kuratiert wurde sie von Anke Blümm, Elizabeth Otto und Patrick Rössler.

Hans Haffenrichter, Schöpfer der Bronzefigur eines Läufers, studierte in den frühen 1920er-Jahren am Bauhaus. Foto: Thomas Müller; Schillermuseum

Exemplarisch ist der widersprüchliche Lebenslauf von Franz Ehrlich (1907-1984), der bis in die DDR-Zeit hinein zwischen Widerstand und Anpassung changiert. Der Leipziger kommt 1927 als arbeitsloser Maschinenschlosser ans Bauhaus Dessau, schreibt der Katalog. Er studiert Reklame und Tischlerei. 1934 wurde er Chefgrafiker der kommunistischen Untergrundzeitung „Die junge Garde“. Dafür muss er drei Jahre in Haft und 1937 ins Konzentrationslager (KZ) Buchenwald bei Weimar.

Vom Anti-Nazi zum Kollaborateur

Im KZ wurde er Teil des Lagerwiderstands und wegen kleiner, überlebensnotwendiger Privilegien zum Kollaborateur. Ehrlich tischlert für die Kinderschar des Lagerkommandanten Karl Koch die klobige „Sippenwiege“, ein scheußliches Kinderbett aus Holz mit geschnitztem Eichenlaub und (später entfernten) Runen.

1938 entwirft der Gefangene Ehrlich den bekannten Schriftzug „Jedem das Seine“ für die Tür im Tor zum KZ Buchenwald, in einer typischen, coolen Bauhaus-Schrift. Was kürzlich noch als subtiler Widerstand gelesen wurde, deutet der Katalog jetzt als Zwangsarbeit, die die Auftraggebende SS zufriedenzustellen hatte.

Nach der Entlassung wechselt der ehemalige KZ-Häftling Franz Ehrlich freiwillig ins SS-Bauwesen und findet dort sein Auskommen. In einer abermaligen Volte wird er in der DDR dennoch zum erfolgreichen Möbeldesigner und Innenarchitekten. Dass Ehrlich auch Informeller Mitarbeiter der Staatssicherheit war, erzählt Anke Blümm, nebenbei.

Ehrlichs weiß-rote Buchenwald-Tür steht als Kopie vor dem Schiller Museum, wo die zentrale Ausstellung eingerichtet ist. Hinterfangen wird das weltbekannte Symbol für die systematische Ermordung von Juden, Kommunisten und Roma durch die Skulptur „Der Leidende“ von Wieland Förster. Die Bronze ist abstrahiert, ohne Kopf, doch man erkennt einen menschlichen Körper.

Im Schiller Museum werden neu erforschte Biografien mit Kunst, Kunstgewerbe, Fotos und Dokumenten vorgestellt. Neben Ehrlichs widersprüchlicher Biografie scheint das Leben des Malers Heinrich Basedow eindeutiger. Er war NSDAP-Mitglied, wurde aber nicht zur 1. Großen Deutschen Kunstausstellung zugelassen. Die Weberin Grete Reichardt wechselt von strukturierten abstrakten Textilentwürfen für das Bauhaus zu Bildteppichen mit nackten Speerwerfern und einer Hakenkreuz-Tapisserie.

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Der Designer Wilhelm Wagenfeld war nie Parteigenosse, hatte aber zahllose Kontakte zur Wirtschaftselite der Nazis. Wagenfelds berühmte „Kubus“-Vorratsdosen aus Glas wurden nach einem Entwurf von 1931 bis 1968 in der Lausitz produziert. Eine Weltkarte schließt die informative Schau im Schiller Museum ab. Die Bauhäusler sind auf allen Kontinenten zu finden, in Japan, Australien und auch in Honolulu.

Wer noch Kondition hat, sollte die beiden kleiner dimensionierten Annex-Ausstellungen nicht verpassen. Unter den Titel „Abgehängt – Beschlagnahmt – Angepasst“ geht es im Bauhaus-Museum um die Säuberungspolitik der Nazis, die für Weimar eine Vorliebe hatten. Das Schlossmuseum Weimar musste schon 1930 70 Werke von Malern wie Lyonel Feininger und Paul Klee abhängen. 1937 wurden in einem Vorgriff auf die Aktion „Entartete Kunst“ 450 Werke beschlagnahmt.

Das Aquarell „Dying Plants (Sterbende Pflanzen)“ von 1922 gehörte zu den 70 Werken, die schon 1930 abgehängt werden mussten. Foto: Museum of Modern Art (MoMA), New York

Als die Feme-Schau „Entartete Kunst“ nach München 1939 schließlich auch in Weimar Station machte, wagte der Weimarer Fotograf Günther Beyer Schnappschüsse. Diese Farbfotos sind ein geradezu sensationeller Fund, der erstmals präsentiert wird. Ernst Ludwig Kirchners „Selbstbild als Soldat“ von 1915 ist dabei, Werner Gilles leicht ungelenke, unglamouröse „Abendgesellschaft“, Paul Klees „Seebild“ und Arthur Segals kubistisch gebrochene „Straße auf Helgoland I“.

Alle Häuser sind bequem zu Fuß zu erreichen. Die dritte Station der mit 450 Werken von 253 Leihgebern recht umfangreichen Ausstellung ist das Museum Neues Weimar. Sie zeichnet die Anfeindung nach, der die Moderne bereits vor der Gründung der Design-Schule 1919 ausgesetzt war. Sie dokumentiert auch, für welch biedere Werke sich die Nazis und der Saalecker-Kreis um Paul Schulze-Naumburg begeisterten.

Die Ausstellung „Bauhaus und Nationalsozialismus“ ist klug und facettenreich. Sie hat das Zeug, zur besten Schau des Jahres 2024 zu werden. Im Jahr der Landtagswahl in Thüringen im September macht sie mit den Mitteln der Kunst klar, dass sich die aktuelle radikale Infragestellung von Rechtsstaat und Demokratie nicht wiederholen darf.

„Bauhaus und Nationalsozialismus“: 9. Mai bis 15. September 2024 in Weimar im Schiller Museum, Schillerstraße 12: Di. bis So. 9.30 bis 18 Uhr
im Bauhaus Museum, Stéphane-Hessel-Platz 1: Mo., Mi. bis So. 9.30 bis 18 Uhr; im Museum Neues Weimar, Jorge-Semprun-Platz 5: Mo., Mi. bis So. 9.30 bis 18 Uhr

Preiswerter Eintritt: Die ModerneCard für 17 Euro berechtigt innerhalb eines Jahres je einen Eintritt zu allen Häusern der Modernen Kunst innerhalb der Klassik Stiftung.

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Der Katalog „Bauhaus und Nationalsozialismus“, hg. von Blümm, Otto, Rössler, erscheint im Hirmer Verlag. Im Museum kostet er 37 Euro, im Handel 49,90. Er ist sehr gut geschrieben und wendet sich an das breite Publikum.

An Kenner und Spezialisten richtet sich Teil 2, der ab Juli im Wallstein Verlag erscheinen soll und die Forschungsergebnisse der Bauhaus-Tagung von 2023 versammelt.

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