Buchbesprechung Konfiszierter NS-Kunstbesitz: Restitution für ein paar freche Lügen

Das Gemälde aus dem ehemaligen Besitz Hermann Görings ist heute ein Glanzstück der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Bis 1937 war es Teil der Sammlung des Dresdner Bankiers Otto Weissenberger, der aufgrund von Steueranschuldigungen 1935 in finanzielle Schwierigkeiten geriet und große Teile seiner Kunstsammlung veräußern musste. Göring erhielt das bedeutende Werk 1939 als Geschenk des Unternehmers Friedrich Flick. Veranlassung zur Restitution besteht derzeit nicht.
München Mit der Unverfrorenheit der einstigen Nazi-Elite steuerte Henriette Hoffmann-von Schirach, Gattin des Wien-Gauleiters Baldur von Schirach, kurz nach 1945 auf die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und das Bayerischen Finanzministerium zu. Mit Rechtanwälten an ihrer Seite forderte sie die Aushändigung von Vermögen, das durch die Alliierten konfisziert worden war. Ihr Argument: Etliches von Möbeln, Gemälden und Hausrat des Nazi-Bonzen von Schirach stammten aus ihrem persönlichen Besitz.
Bei dem Gemälde „Bohnenkönig“ von Jacob Jordaens hatte die Strategie Erfolg. Dabei wurde es nach neuestem Erkenntnisstand erst nach 1938 von Baldur von Schirach erworben, und stammte wohl aus der jüdischen Sammlung Mandl-Maldenau.
Weniger Glück hatte Hoffmann-von Schirachs Forderung nach einem Seestück Willem van de Veldes. Es war schon 1946 an die Niederlande restituiert worden. Das schreibt Johannes Gramlich in dem Buch „Begehrt, beschwiegen, belastend“.
Den Aktenstaub aufgewirbelt hatte 2016 die Londoner Comission for Looted Art in Europe bei Recherchen zur Restitution des Gemäldes „Holländisches Platzbild“ von Jan van der Heyden. Als die Rückgabefristen an die NS-Opfer Ende der 1950er-Jahre ausgelaufen waren, versuchte es Henriette Hoffmann-von Schirach mit Geld. Ohne Bedenken gab ihr das Museum für 300 D-Mark die Leinwand. Dass ein Fall von Raubkunst vorliegen könnte und vorlag, wurde nicht Erwägung gezogen.
Kurz darauf kaufte der Xantener Dombauverein das kleine Bild im Auktionshaus Lempertz für 16.000 D-Mark. Inzwischen ist es an die Nachfahren von Gottlieb und Mathilde Kraus restituiert.
Ein dunkler Fleck in der Nachkriegsgeschichte der renommierten Münchner Sammlung wurde sichtbar und ihre hauseigener Historiker mit der Erforschung der Jahre zwischen 1945 und 1966 beauftragt. Gramlich analysiert detailreich, wie Bayern und die Alliierten mit illegal als auch legal zusammengetragenen Sammlungen von NS-Größen umgingen.

Für 40 000 Mark durfte das Gemälde laut einer Vereinbarung zwischen Heinrich Hoffmanns Rechtsanwalt, dem Bayerischen Finanzministerium und dem damaligen Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen im Besitz des Museums bleiben, nachdem die Spruchkammer den Porträtisten Hitlers milde als "Mitläufer" eingestuft hatte und ihm sein eingezogener Besitz zum größten Teil wieder zurückgegeben werden musste.
Einfache Antworten finden sich in der Neuerscheinung nicht. Sie verzichtet darauf, den Skandal zu bewerten. Deutlich wird aber: Die Restitution an die Opfer stand nicht an vorderster Stelle.
Bayern spielte zweifellos eine besondere Rolle. An keinem anderen Central Collecting Point (CCP) der Westalliierten landeten 1945 so viele politisch brisante Kunstsammlungen wie in München. Laut Gramlich rund 11.000 Inventarnummern. Hier verwahrten die Amerikaner die Sammlungen von Adolf Hitler und anderen Nazi-Größen wie Hermann Göring, Baldur von Schirach und Heinrich Hoffmann, aber auch ästhetisch wenig ansprechendes Inventar aus NSDAP-Parteibauten.
Rund 900 Gemälde, Skulpturen und Grafiken wurden bis in 1950er-Jahre hinein den Staatsgemäldesammlungen übereignet. Wie viele Kunstwerke aus jüdischen Sammlungen gestohlen wurden, ist bis heute nicht restlos geklärt.
Rückgabe war ein brisantes Thema
Eine Bedingung stellten die Alliierten 1949: Die Museen sollten weiterhin die Herkunft prüfen und sich um die Restitution gestohlener Kunstwerke kümmern. Praktisch wurden aber nur Listen gesuchter Objekte von Antragstellern und Listen vorhandener Objekte der CCPs abgeglichen.
Rückgabe war ein brisantes Thema. Die Regierung fürchtete um den inneren Frieden. Die Untersuchung privater Rechtsgeschäfte, zu der auch Kunsterwerb gehört, hätte das Privatvermögen zu vieler Bürger angetastet. Hinzu kam die Konkurrenz zwischen Bonn und Bayern.

Johannes Gramlich: BEGEHRT, BESCHWIEGEN, BELASTET. Die Kunst der NS-Elite, die Alliierten und die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen
Böhlau Verlag, Wien/Köln, Weimar 2021
350 Seiten
35 Euro
Der NS-Kunstbesitz wurde ab 1948 zwischen dem Bund und dem Freistaat Bayern aufgeteilt. Jedes Bild, das in Bayern blieb, war ein Zuwachs für die Museen oder ein monetärer Gewinn für die Wiedergutmachungskommission der Bayerischen Vermögensverwaltung. Denn ehemaliger Besitz, der nicht von musealem Wert war, wurde verkauft und die Erlöse dem Wiedergutmachungsfond zugeführt.
Ein Ringen zwischen Restitutionsverpflichtung und Wiedergutmachungsfinanzierung entstand. Der Begriff Wiedergutmachung hatte in Bayern durch die Rückgabe an Nazi-Familien allerdings eine neue Interpretation erfahren.

Das Gemälde ist eines der 25 Werke aus der Sammlung des Hoffotografen Hitlers, Heinrich Hoffmann, die das Museum nicht an ihn zurückgab. Erworben hatte er es von der Kunsthändlerin Maria Almas Dietrich, die durch ihre Beziehungen zu Nazi-Größen einen Zugang zu entzogenen Kunstwerken verfolgter Sammler hatte.
Es geht in Gramlichs Buch nicht um Schuldzuweisung. Ausführlich beschreibt der Historiker auch die Zweifel der Agierenden, soweit heute Protokolle das nachvollziehen lassen.
Das Nachgeben auf die Ansprüche der Nazi-Familien hat indes eine weitere Dimension. Gramlich macht die politischen Fehler deutlich, die erst in den Debatten seit der Washingtoner Konferenz von 1998 ausgetragen werden.
Wenn der Autor die gesellschaftlichen Nachkriegs-Bedingungen aufschlüsselt, ist das richtig, aber es dient auch der Relativierung von institutionellen Fehlentscheidungen. Etwa, dass das bayerische Finanzamt und letztlich die Staatsgemäldesammlungen dem Hoffotografen Hitlers, Heinrich Hoffmann, 180 wohl kaum auf ihre Herkunft geprüfte Gemälde auslieferten. Lediglich 25 Werke verblieben in Staatsbesitz.
Hoffmann hatte es durch jahrelange Klagen geschafft, von einem „Haupttäter“ zum „Mitläufer“ heruntergestuft zu werden. Das bedeutet, dass ihm sein Vermögen nur teilweise entzogen werden durfte.
Mit Lügen, eidesstattlichen Selbsterklärungen und dubiosen Zeugen hatte Hoffmann schon vor dem sogenannten „Persilschein“ seine Lieblingsbilder herausgefischt, etwa ein Gemälde des damals hoch dotierten Carl Spitzweg. Hoffmanns Masseur bezeugte, dass ihn der Fotograf in schlechten Zeiten mit eben jenem Bild bezahlt hätte.
Staatliche Schlussstrichmentalität
Gramlichs Publikation ist komplexer, als die Fälle von Henriette Hoffmann-von Schirach und Heinrich Hoffmann nahelegen. Um die vielschichtige historische Situation zu verstehen, analysiert er die Vorgehensweise der Alliierten.
Die Darstellung von Beschlüssen in Immigrantenkreisen, Entscheidungen der US-Militärregierung und Reglements des Völkerrechts spezifiziert noch einmal Emily Löfflers Publikation „Kunstschutz im besetzten Deutschland“ von 2019. Die Alliierten konzentrierten sich vorwiegend auf die Rückgabe der im Ausland geraubten Kunstwerke. Die sogenannte innere Restitution überließen sie schon 1946 den Länder-Ministerien, die die Zivilgesellschaft ausklammern wollte.
Erst die Amerikaner ergänzten den Fokus der Betroffenen auf „alle, die wegen Rasse, Überzeugung verfolgt wurden“, so Gramlich. Ein Dilemma für das Land der Täter, das sich als verführte Nation stilisierte und schon 1949 das Recht auf Beamtenposten für ehemalige Beamten des sogenannten „Dritten Reichs“ forderte. Als Folge wurde 1953 auch Ernst Buchner, der 1942 in den Raub des Genter Altars involviert war, erneut zum Direktor der Münchner Pinakotheken berufen.
Gramlichs Materialfülle macht klar, dass gesellschaftliche und persönliche Verdrängungs- und Entlastungsmechanismen konsequenter Restitution entgegen standen. Staatliche Schlussstrichmentalität, Schuldverlagerung auf den nationalsozialistischen Staat und die NSDAP, Fehler in der Bewertung von Biografien – so lassen sich die Gründe für zögerliches Handeln zusammenfassen.
Aber auch ungelöste juristische Fragen spielten hinein. Lange wurde diskutiert, ob das Vermögen von Nazifunktionären und NSDAP-Organisationen Eigentum des jeweiligen Bundeslandes ist oder in die Obhut der Bundesrepublik Deutschland gehört. Sie ist der Rechtsnachfolger für ehemaliges Reichsvermögen.
Gramlichs faktenreiche Publikation ist ein weiterer wichtiger Baustein zu der Frage, warum bis heute manche Kunstwerke aus jüdischem Besitz nicht restituiert wurden.
Mehr: Kulturpolitik der Nachkriegszeit: Wie der Einsatz für die „entartete“ Kunst den Weg zur Rehabilitierung frei machte
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