Film-Rezension „Schoßgebete“: „Nur beim Sex vergesse ich alle Probleme“

Lavinia Wilson als Elizabeth Kiehl und Jürgen Vogel als ihr Ehemann Georg in einer Szene des Films „Schoßgebete“. Der Film weiß mit drastischen Aufnahmen zu schocken.
Düsseldorf. „Feuchtgebiete“ war einer der aufregendsten Filme des Jahres 2013. Die Verfilmung von Charlotte Roches Debüt-Roman hatte vieles, um ein breites Publikum zu überzeugen: Witz, stylische Aufnahmen, und natürlich ganz viel nackte Haut.
Mit mutigen Bildern und einer tiefergehenden Geschichte eines verstörten Mädchens war der Film am Ende sogar besser als das Buch. Nun kommt mit „Schoßgebete“ Roches zweiter Roman auf die Leinwand – und macht vieles anders als sein Vorgänger.
Diese Abgrenzung beginnt schon bei der Einstellung zum Leben, die Hauptfigur Elisabeth Kiehl (Lavina Wilson) prägt. Auf dem Weg zu ihrer Hochzeit kamen vor neun Jahren ihre drei Geschwister bei einem Autounfall ums Leben.
Die Trauung fand nicht statt, in der Folge trennte sie sich von ihrem Freund Stefan (Robert Gwisdek), der auch der Vater ihrer Tochter Liza (Pauletta Pollmann) ist. Mittlerweile ist Elisabeth 33 und mit Georg (Jürgen Vogel) verheiratet.
Noch immer hat sie der Unfall fest im Griff, mehr schlecht als recht kommt sie durchs Leben. Ihre einzige echte Bezugsperson ist ihre Therapeutin Frau Drescher (Juliane Köhler). Nur in den Gesprächen mit ihr kann sie zu ihren Dämonen stehen, die sie jeden Tag in jeder Minute begleiten: ihr schlechtes Gewissen, den Vater ihrer Tochter verlassen zu haben, Hemmungen vor zu vielen Gefühlen, und vor allem die Angst vor dem Tod.
Wie in „Feuchtgebiete“ dreht sich auch in „Schoßgebete“ viel um Sex. Während im ersten Film jedoch noch viel Spielerisches steckte, dient Sex für Elisabeth in „Schoßgebete“ fast nur als Flucht vor den eigenen Neurosen.

Die Schauspieler Lavinia Wilson (l-r), Jürgen Vogel und die Autorin Charlotte Roche bei der Premiere des Films „Schoßgebete“ in Berlin. In der Buchvorlage verarbeitete Charlotte Roche reale Ereignisse aus ihrem Leben.
„Nur beim Sex vergesse ich alle Probleme“, sagt sie da zum Beispiel. Diese rettende Allmacht des Geschlechtsverkehrs wurde am Buch noch kritisiert, im Film funktioniert es deutlich besser. Als Regisseur nimmt sich dieses Mal Sönke Wortmann der Sache an.
In seinem Werk werden keine Körper spielerisch erkundet, wie es noch in David Wnendts „Feuchtgebiete“ der Fall war. Die Sex-Szenen werden hier eher aus der Distanz betrachtet, mal durch ein Fenster, mal durch Rauchwolken hindurch.
Die Inszenierung passt zum Thema. In „Schoßgebete“ ist nichts leicht, alles hat eine gewisse Schwere, die der Tragik der Geschichte gerecht werden soll. „Fick mich ins Leben zurück“, sagt Elisabeth noch zu ihrem Mann – treffender kann man nicht beschreiben, welche Rolle der Sex im Film hat.

Lavinia Wilson, Jürgen Vogel mit Filmtochter Pauletta Pollmann (l-r). Nur mit Mühe bestreitet Elisabeth ihren Alltag.
Nur im Liebesspiel fühlt sich Elisabeth frei von ihren Sorgen. Dazu besucht das Paar dann auch einen Swinger-Club, es muss halt immer etwas extremer werden, um die Gedanken im Kopf zu verjagen. Es hat alles etwas Zwanghaftes.
In „Schoßgebete“ steckt erneut viel Autobiographisches von Charlotte Roche selbst. Sie verlor ihre Brüder bei einem Autounfall, kurz vor ihrer Hochzeit. Danach lieferte sich die ehemalige Viva-2-Moderatorin eine Schlammschlacht mit der „Bild“-Zeitung, die gegen ihren Willen über das tragische Ereignis berichtete.
Auf die Frage, warum sie ihre Geschichte nicht in einer Biographie, sondern einem Roman verarbeite, sagt Roche: „Das ist ein Schutz, weil man dann immer sagen kann: 'Ne, ne, das ist aber erfunden'. Es ist ein schönes Spiel, mit Echt und nicht Echt. Bei einer Biographie gibt's dieses Spiel einfach nicht. Da ist das dann hundertprozentig echt, voll in die Fresse – und das finde ich langweilig.“
Die Wut über diesen Auswuchs des Boulevard-Journalismus steckt auch in ihrem Roman, auch Elisabeth wird nach dem Verlust ihrer Geschwister von einer Boulevardzeitung belästigt. Im Film stürmt sie nun in einer Traumsequenz bewaffnet in die Redaktionsräume des Blatts – und läuft Amok.
Überhaupt sind es vor allem solche Traumsequenzen, die das ganze Leid von Elisabeth transportieren. In den meisten dieser Szenen geht es vor allem um ihre Angst vorm Sterben. Entweder ereilt sie so der Feuertod, oder ihr eigenes Haus stürzt auf sie ein.
Im Endeffekt dreht sich alles um die Hauptdarstellerin – eine große Aufgabe für Lavina Wilson. Doch sie meistert auch die Tiefen ihrer Rolle, als Off-Stimme kommentiert sie fast jede Szene. Diese Omnipräsenz ist teilweise fast schon nervig, durch diesen Kniff konnte jedoch die Ich-Erzählerin des Buches elegant in den Film verfrachtet werden.
Jürgen Vogel, der mittlerweile eigentlich auf raumgreifende Rollen gebucht ist, nimmt sich wohltuend zurück und überlässt Wilson weitestgehend das Feld. Auch die Dialoge mit Juliane Köhler als Therapeutin Frau Drescher dienen vor allem dazu, Elisabeth Vorlagen zu liefern, um die dunklen Flecke ihrer Seele zu ergründen.
Es sind die Extreme, die die große Kunst des Filmschaffens darstellen. Neben guten Komödien gibt es eigentlich nur noch das Thema Tod, was noch schwieriger zu meistern ist. Schnell geraten Dialoge aufgesetzt, ohne etwas Kitsch kommt kaum ein Regisseur aus. Leider gilt das auch für Sönke Wortmann und Drehbuchautor Oliver Berben.
Ein Rückblick auf die letzten gemeinsamen Momente der Geschwister kommt nicht natürlich genug daher, zusätzlich sind die regelmäßig eingestreuten Rückblenden in die Vergangenheit stets durch blassere Farben gekennzeichnet.
Das wirkt nicht nur ermüdend, sondern ist darüber hinaus ein dramaturgischer Fehlgriff. Schließlich ist es gerade die Vergangenheit, die Elisabeth nicht loslässt und noch in den grellsten Farben in ihrem Kopf herumspukt.
Dennoch findet Wortmann beeindruckende Bilder für Elisabeths Abgründe. Wer allerdings ein zweites „Feuchtgebiete“ erwartet, wird enttäuscht. In „Schoßgebete“ ist es weniger der Sex, der hängen bleiben wird, sondern eher die horrorähnlichen Traumsequenzen.
Fazit: Sönke Wortmann macht vieles richtig in „Schoßgebete“. Überragende Bilder illustrieren den Horror, den die Hauptfigur im Kopf durchmacht. Dramaturgisch greift er zwar manchmal daneben, dafür erhält der Sex für „Roche-Verhältnisse“ fast schon eine Nebenrolle. Und das tut auch mal ganz gut.


„Schoßgebete“
Kinostart: 18. September 2014 (Länge: 93 Minuten)
Regie: Sönke Wortmann
Darsteller: Lavinia Wilson, Jürgen Vogel, Juliane Köhler
Genre: Drama , Komödie






