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Junge GalerienLondon: Qualitätsvolle Kunst zu Einsteigerpreisen

Wer denkt, Brexit und Corona hätten der Galerieszene in London geschadet, irrt. Neue Galerien mit Kunst von jungen Talenten eröffnen in beachtlicher Zahl.Stephanie Dieckvoss 11.08.2023 - 11:58 Uhr aktualisiert Artikel anhören

Die Ausstellung „A Significant Threat“ nimmt Geheimdokumente aus Archiven zum Anlass, nachzuspüren, wie Großbritannien Unabhängigkeitsbewegungen in der Karibik unterdrückte. Quelle: Vitrine Fitzrovia / Jonathan Bassett.

Foto: Handelsblatt

London. Während im August internationale Blue-Chip-Galerien wie Pace, Hauser & Wirth, Thaddaeus Ropac oder Victoria Miro ihre Pforten schließen, überzeugen kleinere Londoner Galerien mit experimentellen Ausstellungen, bei denen es um Inhalte und nicht um Gewinnmaximierung geht.

Neue Galerien in Fitzrovia im Zentrum der Stadt und Bethnal Green im Osten sind das Ziel jener Flaneure, die sowohl junge als auch etablierte Galerien besuchen möchten. In Fitzrovia sind die Mieten günstiger als in Mayfair, man ist gleichwohl im Zentrum der Stadt, die Besucher kommen noch zu Fuß.

Die Galerie Vitrine unterhält eine Filiale in Basel und wollte in einem klassischen Londoner Bau aus dem 19. Jahrhundert eröffnen, der den Charme der Architektur mit der Intimität kleiner Galerieräume verbindet. Solche Stadthäuser stehen im Gegensatz zu den Glasbauten anderer Branchen, sagt Galeristin Alys Williams.

In der Ausstellung breiten sich die plakativ anmutenden, aber intensiv recherchierten Gemälde von Rudy Loewe aus wie ein Comicstreifen. „A Significant Threat“ heißt die Schau (bis 12. August). Sie nimmt Geheimdokumente aus Archiven zum Anlass, um nachzuspüren, wie Großbritannien Unabhängigkeitsbewegungen in der Karibik unterdrückte. Die Gemälde sind für Preise von 1000 bis 8000 Pfund zu haben.

Direkt nebenan zeigt Josh Lilley, der oft mit amerikanischen Galerien kollaboriert, die angesagten Selbstporträts von Martine Gutierrez. Sie wurden während der Pandemie im Schwimmbad der Familie der Künstlerin in Szene gesetzt. In ihnen verwandelt sie sich in ihre Vorbilder und stellt in sexualisierten Posen Fragen nach Geschlecht und Identität – und reflektiert den Moment der Übersättigung mit Bildern der Idole. In einer Siebener-Auflage kosten die Fotos jeweils 26.000 Dollar.

„Neoplan“ heißt die Installation in der Galerie Edel Assanti. Mit dem schrottigen Fan-Bus stellt der Künstler Fußball-Rowdies und deren gewalttätige Exzesse in den Mittelpunkt. Quelle:
Edel Assanti, London

Foto: Handelsblatt

Ein Bus ist in einer Galerie verunglückt. Seine Innereinen breiten sich im ganzen Galerieraum aus. Marcin Dudeks Ausstellung „Neoplan“ bei Edel Assanti in Fitzrovia schockt den Besucher mit Ausmaß der Zerstörung. Nur langsam erschließt sich der Kontext der Installation: Fußball-Rowdies und deren Auswüchse. Der polnische Künstler fand den Fanbus verlassen in Rumänien.

Nun thematisiert er – mit Videos angereichert – die oftmals gewalttätigen Exzesse des Rowdytums. Großformatige Collagen und Bilder, in denen sich europäische Fußballgeschichte und Künstlerbiografie mischen, bereichern die eindrucksvolle Ausstellung. Deren Preise liegen zwischen 20.000 und 120.000 Euro (bis 1.9.).

Die Galeristen von Edel Assanti öffnen bewusst im August im neuen Lieblingsviertel junger Galerien. Denn der Sommer gehört dem allgemeinen Publikum und denen, die endlich mal Zeit haben. Jeremy Epstein, Mitgründer von Edel Assanti, sagt dem Handelsblatt: „Unter der Woche haben wir teils um die 100 Besucher am Tag in der Galerie, und die Leute bringen Zeit mit. Ich kann endlich wieder mit Museumsdirektoren und Sammlern Gespräche führen, ohne dass es dafür einen direkten Grund geben muss.“

Wo der Architekt malt

Auch in Mayfair findet man ambitionierte Einzelausstellungen. Richard Saltoun zum Beispiel gibt dem Architekten Peter Cooke Raum. Bekannt ist er vor allem als Erbauer des futuristischen Kunsthauses in Graz. Cook hat eine Installation aufgebaut, in die Bilder und Zeichnungen aus seinem 60-jährigen Schaffen integriert sind. Ihr Thema: das Konzept der Stadt, das in Form von Fragmenten hinterfragt wird. Ergänzend kommen Mischtechniken dazu. Für Preise bis 16.000 Pfund (bis 16. September).

Aber auch die Fahrt in den Osten der Stadt lohnt sich. Hier sind die Galerien oft nur mit einer Person besetzt: der Galeristin. Eine Gruppe junger Galerien hat sich um Bethnal Green herum angesiedelt, in kleinen Räumen, aber mit viel Ambition.

Hier hört man den Gründerinnen von Sherbet Green und Rose Easton vor allem das Interesse an ihren Zeitgenossen an. Beide gründeten ihre Galerien, um die junge Kunstszene der Stadt aktiv zu fördern. Aus Projekträumen entstanden kommerzielle Galerien, wo hart gearbeitet wird, um sowohl Sammler als auch Kuratoren und Kritiker anzusprechen.

„Window” entstand während der Lockdowns, als Fenster der einzige Kontakt zur Außenwelt waren. Es ist in der Ausstellung „Fresh Hell“ zu sehen: Quelle: Rose Easton

Foto: Handelsblatt

Sherbet Green zeigt eine Ausstellung mit Farbfeldarbeiten der Fotografin Simone Mudde und des Malers Billy Fraser. Beide besprechen regelmäßig ihre abstrakten Arbeiten, die an Bauhausexperimente erinnern, miteinander. Muddes Fotogramm-Unikate sind Farbexperimente, in denen die Künstlerin Kontrolle und Zufall einsetzt, um (fast) perfekte Farbnuancen zu erzielen, aber doch immer wieder scheitert. Das Preisspektrum reicht von 800 bis 5000 Pfund (bis 2.9.).

Ebenfalls mit der Abstraktion ringt bei Rose Easton der in London lebende Amerikaner Jonah Pontzer. „Fresh Hell“ zeigt Gemälde als Fenstersimulationen, in denen allerdings eher Albträume – Insekten – mit dem Sonnenlicht der Erlösung kämpfen. Kostenpunkt 10.000 bis 18.000 Pfund. In der Pandemie, als die Bilder entstanden, war das Fenster oftmals die einzige Verbindung zum Außenraum (bis 12. September).

In South Bermondsey im Süden von London hat sich die Galeristin Sid Motion fest eingerichtet. Im Sommer konzipiert sie Gruppenschauen, für die sie Künstler zu Themenausstellungen einlädt, die nicht von der Galerie repräsentiert werden.

Abkehr von der figurativen Malerei

Auch hier sieht man, dass die Figuration, die man von jungen Künstlern erwartet, keine Relevanz mehr hat und dass Skulpturales wieder im Kommen ist zu Preisen von 700 bis 6000 Pfund. In „Unbound Material“ antwortet James Lomax auf die Umgebung, indem er Kartonagen in Zement gießt und als Bilder an die Wand hängt. Die Arbeiten reflektieren Themen von Materialwert und Arbeit, spielen aber auch mit unseren Sinnen, da das Harte weich erscheint und die Malerei auf der Oberfläche fast nicht auffällt (bis 26.8.).

Die Galerie Josh Lilley stellt zeitgenössische Kunstschaffende aus, die sich dem Thema "Cities" widmen. Quelle: Josh Lilley

Foto: Handelsblatt
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Aber die Galeristin beschränkt ihr Engagement nicht auf die Galerie allein. Am 25. und 26. August organisiert sie den South Bermondsey Art Trail, der die Kreativität des Stadtteils mit offenen Künstlerateliers, Ausstellungen, Filmvorführungen, Performances und Parties feiert.

Einige der jungen Galerien wird man im Herbst bei der „Frieze“-Messe in der Focus Sektion finden. Alles in allem zeigt sich: In London geht es auch im Kunstmarkt nicht nur ums große Geld. Hier leben Künstler und Galerien, die alles in ihrer Macht Stehende tun, das kreative Talent dieser lebendigen Stadt einem breiten Publikum zu präsentieren. Sie denken außerhalb etablierter Schemen und trotzen einem ökonomischen Klima, das von Corona, Brexit und steigenden Preisen geprägt ist. Solange sie durchhalten, sollte man sich auf den Weg machen.

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