Klassische Moderne: Musen der Maler

Amedeo Modigliani: "Jeanne Hébuterne (Au chapeau)", 1919, Schätzpreis 16 bis 22 Millionen Pfund. (Ausschnitt)
London. Vier der zehn teuersten Gemälde Picassos stammen von 1932 und stellen seine geheime Liebe Marie Thérèse Walter dar, darunter das 2010 für 106 Millionen Dollar versteigerte Bildnis „Nude, green Leaves and Bust“, auf dem sie als liegender Akt und als Studioskulptur vorkommt. Diese erscheint auch im Stillleben „Nature morte aux tulip“, das im November für 41,5 Millionen Dollar verkauft wurde. Nächste Woche wird „Femme Assise près d’une fenêtre“ als Spitzenlos der Londoner Moderneauktionen zu der Gruppe stoßen. Es ist bei Sotheby’s mit einer Taxe von 25 bis 35 Millionen Pfund und einer Verkaufsgarantie versehen, wird also mit Sicherheit einen Hammerpreis über 40 Millionen Dollar einspielen.
Zuletzt war die „Sitzende Frau am Fenster“ bei Larry Gagosian in New York in einer Ausstellung zu sehen, die Picassos Beziehung mit Marie Thérèse unter dem Titel „L’amour Fou“ zelebrierte. Die Mythenschöpfer des Kunstmarkts vermögen viel. Als das Bild mit seinen schwungvollen Linien, klaren Farbflächen und den plumpen Armen Marie Thérèses 1997 zum letzten Mal versteigert wurde, brachte es 6,8 Millionen Dollar, weniger als die damalige Schätzung.
Marktfrisches Angebot
Marie Thérèse ist nicht die einzige Künstlermuse, die in den Londoner Auktionen bezaubern wird. Bei Christie’s ist Amedeo Modiglianis Porträt von „Jean Hébuterne (au chapeau)“ das Spitzenlos. Modigliani hat die viel geplagte Jeanne mit ähnlich dauerhafter Hingabe gemalt wie Picasso Marie Thérèse. Das Bild ging durch die Hände großer Sammler, angefangen mit Modiglianis erstem Händler Léopold Zborowski. Bei seinem letzten Auktionsauftritt 2005 bei Sotheby’s spielte es 16,3 Millionen Pfund ein. Daran knüpft Christie’s Schätzung nun mit 16 bis 22 Millionen Pfund an.
Auch sonst sind die Londoner Moderne Auktionen stärker besetzt denn je. Es dürfte eine großartige Woche geben. Die Auswahl ist noch mehr auf die Heroen der Moderne konzentriert, auf das Teuerste vom Teuren, ergänzt durch eingesprengte Impressionisten und einen beachtlichen Auftritt surrealistischer Kunst.
Viele Arbeiten sind marktfrisch, keine Selbstverständlichkeit, denn die Verknappung der Ware ist längst zu spüren. Sotheby’s versteigert allein in der Abendauktion 61 Lose für eine untere Gesamtschätzung von 103 Millionen Pfund; Christie’s hat für 78 Lose mindestens 93 Millionen Pfund angesetzt. Zusammen mit den Tagauktionen soll der Wochenumsatz für Moderne Kunst nach der unteren Schätzung beachtliche 235 Millionen Pfund betragen.

Egon Schiele: "Liebespaar" (Selbstdarstellung mit Wally), 1914/15, Taxe 1,8 bis 2,5 Millionen Pfund. (Ausschnitt)
Die dritte Künstlerfreundin ist Egon Schieles Wally. Gleich zu Beginn der Sotheby’s Auktion lässt das Wiener Leopold Museum drei wichtige Schiele-Blätter versteigern, um den nach dem Rückkauf des bedeutenden Ölgemäldes „Porträt Wally“ den leer gefegten Restitutionsfonds aufzufüllen. Das Blatt „Liebespaar“ zeigt Schiele und Wally, seine Geliebte und sein wichtigstes Modell in den Monaten ihrer Trennung, als Schiele auf eine bürgerliche Ehe setzte. Das bohrende und schonungslose Selbstporträt in selbst prüfend objektivierter Umarmung ist auf 6,5 bis 8,5 Millionen Pfund taxiert und könnte den geltenden Rekordpreis von 11,3 Millionen Dollar übertreffen, der für „Selbstporträt mit kariertem Hemd“ bezahlt wurde. Daran erinnert „Selbstdarstellung in grünem Hemd mit geschlossenen Augen“, das Leopold 1980 ersteigerte. Es soll 1,8 bis 2,5 Millionen Pfund kosten.
Auch bei den Vor-Modernen hat Sotheby’s manche Trophäen, vor allem das Seerosen-Gemälde Claude Monets von 1917, ein kraftvolles zwei Meter-Format (12 bis 18 Millionen Pfund). Attraktiv ist Monets Winterbild „Le Givre à Giverny“ (4 bis 6 Millionen), außerdem werden zwei Pastelle aus den 1890er-Jahren von Edgar Degas angeboten: eine Badende zu 2,5 bis 3,5 Millionen Pfund und eine Tänzerin, für die 3 bis 5 Millionen Pfund erwartet werden. Alle diese Enlieferungen haben keine Auktionsvorgeschichte.
Animierte Einlieferer
Die deutsche Kunst wird von Max Beckmanns „Vor dem Ball“ bei Sotheby’s angeführt. 1949 im vorletzten Lebensjahr des Künstlers im amerikanischen Exil gemalt, ist es wohl der wichtigste Beckmann seit fünf Jahren auf dem Auktionsmarkt. Das kann man schon an der ehrgeizigen Taxe von 5 bis 8 Millionen Pfund ablesen. Die Landschaft „Am Haff“ von Max Pechstein trägt die Aufschrift „Strahlende Sonne“, sieht aber eher nach einer Mondnacht aus (400.000 bis 600.000 Pfund). Anschließend kommt Ernst Ludwig Kirchners „Frau mit schwarzen Strümpfen“, die 2005 einmal im gleichen Haus zurückging und nun mit 500.000 bis 800.000 Pfund bewertet ist.
Wassily Kandinsky und Joan Miró sind weitere Höhepunkte. Sie wurden durch Spitzenpreise in den letzten Auktionen auf den Markt gezogen. Kandinskys „Balancement“ von 1942 hat trotz – oder wegen des späten Datums – eine Schätzung von 6 bis 8 Millionen Pfund. Solche Preise waren bisher den frühen Murnauer Gemälden oder den aus ihnen heraus entwickelten ersten Abstraktionen vorbehalten gewesen. Doch die morphisch-organischen Abstraktionen, die Kandinsky in seinen Pariser Jahren malte – auch sie Fusionen aus Abstraktion und figurativen Elementen – gelten als bedeutender Werkblock. Eine Murnauer Ansicht von 1909 ist auf 5 bis 7 Millionen Pfund geschätzt.
Miros gemalte Träume

Miró ist allgegenwärtig und führt beide Surrealistensektionen an. Sein Starlos wird jedoch bei Sotheby’s im ersten Teil des Abends bei den Modernen versteigert. Das Bild „Femme rêvant de l’evasion“ von 1945, das sich schon seit 1964 in der Sammlung Miriam und Ira Wallach befindet, ist also eine wirkliche Marktneuigkeit. Das strahlend weiß grundierte, 146 cm-Hochformat soll 8 bis 12 Millionen Pfund bringen. Oben in dem Bild kann man das Symbol der Leiter erkennen. Die Leiter gibt im Übrigen dem Spitzenbild der Miro-Offerte bei Christie’s den Titel: „L’échelle de l’évasion“. Flucht in Traum und Kreativität ist das Thema dieser Bilder. „L’échelle de l’évasion“ ist auf grobem, ungrundierten Bärlapp gemalt und soll 5 bis 8 Millionen Pfund kosten. Sotheby’s Spitzenreiter in der Surrealistensektion ist das geradezu poppig in Primärfarben gemalte „Le Fermier et son Épouse“, das vom Einlieferer 2007 für 10,4 Millionen Dollar in New York ersteigert wurde. Mit einer Schätzung von 5,5 bis 7,5 Millionen Pfund könnte es sogar billiger werden. Sotheby’s hat den Verkauf des Wiederkehrers mit einem Garantiegebot gesichert.
Marktbekannter Matisse
Bekanntester Wiederkehrer der Woche ist Henri Matisse’ „La Danse“. Christie’s versteigert das Los nun zum dritten Mal in einer Dekade. 2004 wurde das 1938 als Prototyp und als einer der ersten „Cut Outs“-Collagen entstandene Werk bei Christie’s mit großem Hype auf 3 bis 4 Millionen Pfund taxiert und fiel durch. 2007 brachte es mit reduzierter Taxe 2,3 Millionen Pfund. Nun ist es mit 2,2 bis 3,4 Millionen Pfund vorsichtig angesetzt.





