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  4. Berlins umstrittenes Prestigeprojekt Humboldt Forum ist eröffnet und ein Gewinn trotz der Lücken

Kulturzentrum in BerlinMehr HipHop als Oper: Was das Humboldt Forum dem Publikum zu bieten hat

Das Humboldt Forum in Berlin ist das wohl umstrittenste nationale Prestigeprojekt. Nun eröffnet es. Ein Rundgang durch die ersten offenen Räume.Christian Herchenröder 21.07.2021 - 07:25 Uhr Artikel anhören

Um alle sechs Ausstellungen in den unteren Etagen zu besichtigen, bräuchte man mindestens drei Stunden.

Foto: Jens Kalaene/dpa

Berlin. Wenn es nach den Inhalten geht, liegt die Messlatte hoch. Aber bereits jetzt, bei seiner physischen Eröffnung kann man ohne Übertreibung sagen: das Humboldt Forum ist ein Gewinn für Berlin.

Zwar werden die kontrovers diskutierten Ethnographischen Sammlungen und das Museum für Asiatische Kunst im zweiten und dritten Obergeschoss erst in einigen Wochen öffnen. Aber die sechs Ausstellungen, die in den unteren Etagen ausgebreitet sind, machen Kernthemen wie Geschichte und Architektur des ehemaligen Stadtschlosses, die wissenschaftliche Forschung im Humboldt Labor und Probleme des Kolonialismus in Exponaten, Bild, Text, Touchscreens und Tastmodellen zum Erlebnis.

Natürlich gibt es, wie immer bei Erstauftritten, auch Lücken und kritikwürdige Inhalte. Das gilt vor allem für den im ersten Stock auf 4000 Quadratmeter mit Stellbildern, Projektionen, Kojen überinszenierten Rundgang in den Sälen, die das Stadtmuseum von Berlin in der Schloss-Rekonstruktion bespielt.

Die Show „Berlin global“ und ein interaktiver Rundgang mit Chip-Armband will mehr als die Stadtgeschichte ausbreiten. Die Ausstrahlung Berlins in die Welt, geschichtliche und politische Ereignisse, Gesellschaftsformen und individuelle Lebensweisen stehen im Blick. Den ersten Saal beherrscht ein rundum aufgetragenes Wandbild des Künstlerduos How und Nosm, das in aufdringlich edelkitschiger Manier die Verbindung Berlins mit der Welt illustriert.

Das Kaiserpanorama mit seinen frühen Stereofotos aus dem Stadtmuseum begegnet uns in der Passage wieder. In einem Rondell kann man Bilder zu den Revolutionen von 1848 bis 1989 abrufen. Es gibt ein Kompartiment, das an den queeren Sexualforscher Magnus Hirschfeldt erinnert und es gibt eine Wand mit den Signaturen berühmter jüdischer Kulturrepräsentanten, leider nicht sehr viel mehr über die Emigranten.

Mit einer Ausnahme: Ein Iglu ist dem einflussreichen Theatermacher Max Reinhardt gewidmet. Aber das ist schon alles, was über die Theaterstadt Berlin und ihre Ausstrahlung bis auf den heutigen Tag gesagt ist.

Blick in die Ausstellung "Berlin Global".

Foto: Jens Kalaene/dpa

Doch wo sind die Einblicke in die Theaterlandschaft und die Musikstadt Berlin, ihre seit der Kaiserzeit gefeierten Orchester und Opernhäuser? Dafür wird der HipHop als Paradebeispiel globaler Musikkultur gewürdigt und es gibt Raum greifende Darstellungen der Berliner Clubkultur, massiv dokumentiert in der Stahltür des legendären Techno-Clubs Tresor.

Ein abgeschirmter Bereich widmet sich den Schöneberger Jugendzentren Drugstore und Potse. Afro-Deutsche beider Geschlechter geben ihre Erfahrungen in einem Video zu Protokoll.

Im Raum „Vergnügen“ hängen die Kugelleuchten aus dem Palast der Republik, der hier mit einem Wandbild und nachgebauten Sitzgruppen als kulturpolitischer Vorgänger des Humboldt Forums in den Blick genommen wird. Auch an anderen Stellen des Gebäudes wird an diesen Repräsentationsbau der DDR erinnert. Die Lampen aus dem DDR-Palast hängen auch im breit sortierten Museums Shop.

Der Generalintendant des Humboldt Forums wird nicht müde, den Schlossbau, seine Passagen, Höfe und Restaurants als einen „neuen Stadtraum“ zu preisen,

Foto: Gerald Matzka/Getty Images

Dass hier mit einer kolonialen Landkarte von 1906 aus dem Archiv des Auswärtigen Amts auch das Wirken der Kolonialmächte akzentuiert wird, ist ein spezieller Beitrag zur Geschichte, die sich in den als geraubt gebrandmarkten Artefakten der Museen im zweiten und dritten Stock verkörpern wird. Die Dekolonisierung der Museen hat ja bereits mit der Absicht begonnen, die Benin-Bronzen aus dem Museum für Afrikanische Kunst dem Ursprungsland zu restituieren.

Ein Ärgernis in der Berlin-Passage ist der Hinweis auf Auslandseinsätze der Bundeswehr in der Tafel „Deutsche Kriege im 20. Jahrhundert“ vom Boxeraufstand bis heute. Ein Passus kritisiert, dass die Bundeswehr keine Angaben über die Zahl getöteter Gegner in den Einsatzgebieten mache. Das insinuiert Kriegsschuld. Es ist nicht zu übersehen, dass in der mit der landeseigenen Gesellschaft Kulturprojekte Berlin erarbeiteten Gesamtschau eine im linken Spektrum angesiedelte Sicht dominiert.

Vorbildlich ist hingegen die Schau „Elefant - Mensch - Elfenbein“ in der Ausstellungshalle im Erdgeschoss. Sie macht die Tragödie der Jahrhunderte alten Elefantenjagd sichtbar, in der das seit der Mammut-Ära begehrte „weiße Gold“ der Wildtiere Grund für deren Ausrottung ist.

Schnitzwerke aus dem kostbaren Material reichen von einem in Tschechien ausgegrabenen 30.000 Jahre alten Venus-Porträt bis zu Produkten aus chinesischen Schnitzfabriken und nigerianischen Schmuck-Werkstätten. Sie werden mit harten Fakten des Elfenbeinhandels konfrontiert, der sich parallel zum Menschenhandel entwickelte. Noch vor wenigen Jahren entstand in Botswana das „Prunkstück“ eines bemalten Straußeneis auf drei Stoßzähnen, das hier als Beispiel eines gewissenlosen Kitschgewerbes figuriert.

Den Geländewagen von Tierforschern hat ein Elefantenbulle in einem Wutausbruch schrottreif getreten.

Foto: Gerald Matzka/Getty Images

Wie ein Menetekel wirkt das Bild einer Verbrennung von 105 Tonnen konfiszierter Stoßzähne im Jahr 2006 in Nairobi, mit der das Verbot des Elfenbeinhandels akzentuiert wurde. Seit 1990 ist der Handel mit „rezentem“, das heißt nach diesem Datum erjagten Elfenbein, verboten. Das letzte Exponat der Ausstellung ist ein Geländewagen von Tierforschern, den ein Elefantenbulle in einem Wutausbruch schrottreif getreten hat.

Der Eintritt ins Humboldt Labor der Humboldt Universität ist frei. Hier breiten Wissenschaftler aller Disziplinen ihre Forschungsinhalte aus. Der Zerstörung der Arten und Ökosystemen ist die Eröffnungsschau gewidmet. Es geht um das Prinzip ökologischer Nachhaltigkeit.

In Videopanoramen, die sich laufend abwechseln, werden Probleme des Staudammbaus und erneuerbarer Energie erörtert. In variablen Vitrinen werden Computertypen, Minerale und die präparierte Hand eines Schimpansen gezeigt. Kristallographische Modelle und das holographische Modell eines menschlichen Gehirns demonstrieren Denkarbeit.

Der Blick fällt durch die Türen des legendären Techno-Clubs Tresor.

Foto: Gerald Matzka/Getty Images

Auch das Präparat eines Schuppentiers, das als Auslöser der Corona-Pandemie gilt, ist hier zu sehen. Der Verzehr seines Fleisches ist inzwischen in China untersagt; auch der Gebrauch der Schuppen in der traditionellen chinesischen Medizin wird in Frage gestellt.

Ein Musterbeispiel präziser und bildmächtiger Information ist das Videopanorama, das sich neben dem Museumsshop der Geschichte des Ortes widmet. Dabei lässt es die Vorgängerbauten des größten Barockschlosses nördlich der Alpen, die Nutzung als Kunstgewerbemuseum, die Kriegsschäden, den Abriss, die Karriere des Palasts der Republik und die Schlossreplik in ganzen 14 Minuten abrollen.

Von dem Schlossbaumeister Andreas Schlüter entworfene, lädiert geborgene Skulpturen sind in einem Skulpturensaal aufgestellt und auch der Schlosskeller mit den Resten des ursprünglich hier errichteten Dominikanerklosters und den Schlossfundamenten vertieft den historischen Blick.

Das alles ist in eine Architektur gebettet, die auch mit ihrem dezenten Design einen noblen funktionalen Rahmen für Raumwanderschaft und Ruhepausen bietet. Einzig das Foyer hat mit monumentalem Säulenportikus und der das Oberlicht rahmenden Kassettendecke eine stark auftrumpfende Anmutung.

Hartmut Dorgerloh, der in seiner Kärrnerarbeit nicht zu beneidende Generalintendant des Humboldt Forums, wird nicht müde, den Schlossbau, seine Passagen, Höfe und Restaurants als einen „neuen Stadtraum“ zu preisen, der hier in acht Jahren entstand.

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Tatsächlich ist dieser umbaute Raum schon jetzt zu einer beliebten Flaniermeile geworden. Der Schlüterhof, das mit rekonstruierten Skulpturen und Säulen bestückte Herzstück des Baus, wird für Tanzvorführungen und Konzerte genutzt. Die Tanzgruppe, die sich hier der Eroberung des Raumes widmet, bietet allerdings nur einen müden Abklatsch der Tänze von Sascha Waltz, die einst mit ihrer Truppe das wiedererstandene Neue Museum belebte.

Die ersten hundert Tage im Humboldt Forum sind kostenfrei. Für die Ausstellung „Berlin global“ sind Zeitfenster-Tickets erforderlich. Für alle Ausstellungen braucht man mindestens drei Stunden.

Mehr: Koloniale Raubstücke in Berlin: Der Kampf um die Paradestücke verschärft sich

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