Kunstfälschungen: Gericht fragt nach Prüfstandards

Fälschung nach Heinrich Campendonk: "Rotes Bild mit Pferden" (Ausschnitt)
Köln. In nur sieben Wochen wurde Ende Oktober 2011 im Kölner Strafprozess gegen die Kunstfälscher um Wolfgang und Helene Beltracchi das Urteil gefällt (HB vom 28.10.2011). Sehr viel mehr Zeit muss dasselbe Landgericht einkalkulieren, um die Ansprüche Geschädigter zu klären. Seit August 2008 schwebt das zivilrechtliche Verfahren, in dem sich die auf Malta registrierte Handelsgesellschaft Trasteco Limited und das Kölner Auktionshaus Lempertz gegenüberstehen. Jetzt beschloss das Landgericht, Beweis zu erheben über die „üblicherweise im Jahr 2006 vorgenommenen Echtheitsprüfungen im Zusammenhang mit Auktionen im Hochpreissegment des Kunstmarkts“, heißt es in einer Pressemitteilung des Landgerichts.
Die Trasteco stützt ihre Klage auf die Annahme, die Beklagte habe als Auktionator „Informations- und Prüfpflichten verletzt“: Informationspflichten, weil der Auktionskatalog fälschlich angegeben habe, zu dem Bild existiere eine historische Abbildung von 1920; Prüfpflichten, weil das Bild bei ordnungsgemäßer Prüfung als Fälschung hätte erkannt werden können und nicht als echtes Gemälde versteigert worden wäre. Die zuständige 2. Zivilkammer will nun der Frage nachgehen, „welche konkreten Prüfungsschritte in einem solchen Fall im Jahr 2006 üblicherweise vorgenommen wurden bzw. worden wären“, formuliert Pressesprecher Dirk Esser.
Gesucht werden vier Sachverständige
Schriftliche Gutachten von vier Sachverständigen, die im selben Marktsegment wie Lempertz geschäftlich tätig sind, will das Gericht hierzu einholen. Die streitenden Parteien haben nun Gelegenheit, binnen dreier Wochen jeweils vier geeignete Personen zu benennen. Wenn dies nicht gelingt, soll der Verband der Kunstversteigerer Vorschläge machen.
„Bewegte sich, was die Beklagte tat, im Bereich der Üblichkeit“, hatte die Vorsitzende Richterin bereits während der letzten Sitzung des Zivilprozesses Ende September 2011 gefragt. Sie wollte damals auch einen Sachverständigen hören und stellte den Parteien anheim, sich zu vergleichen. Dazu ist es nicht gekommen.
Es geht um die Forderung von 2,038 Millionen Euro, die nach Angaben der Beklagten nach Erstattung von Auf- und Abgeld noch im Streit ist. Der Kaufpreis, den die Firma Trasteco im November 2006 für die Campendonk-Fälschung „Rotes Bild mit Pferden“ bezahlt hatte, betrug knapp 2,9 Millionen Euro inkl. Aufgeld. Die naturwissenschaftliche Untersuchung des angeblich 1914 entstandenen Gemäldes durch das Münchener Doerner Institut hatte später Spuren eines weißen Pigments zutage gefördert, das nach Ansicht des Klägers zum Entstehungszeitpunkt noch nicht hätte verwendet werden können. Der Befund wurde Monate später durch ein englisches Institut bestätigt. Im August 2008 reichte die Firma Trasteco zunächst eine zivilrechtliche Klage ein; zusätzlich focht sie zweieinhalb Jahre später den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung der Einlieferin an.
Rekordpreis für den Künstler
Den Versteigerungsbedingungen von 2006 zufolge verpflichtet sich das Kunsthaus Lempertz für die Dauer von drei Jahren bei erwiesener Unechtheit zur Rückzahlung seiner Kommission. Die Haftung wegen Mängeln wird ausgeschlossen. Schadensersatz wegen Abweichungen von Katalogangaben werden ausgeschlossen, sofern nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt oder vertragswesentliche Pflichten verletzt wurden. Der BGH entschied allerdings im Urteil zur sog. Bodensee-Kunstauktion, dass ein Auktionator sich auf Haftungsausschlussklauseln nicht berufen darf, wenn er fahrlässig oder auch nur leicht fahrlässig handelt.
Das rote Bild mit Pferden brachte für den Künstler einen Rekordpreis und wurde darüber hinaus zum teuersten Bild, das auf dem deutschen Auktionsmarkt 2006 verkauft wurde. Welches Preispotential in ihm steckte, signalisierte auch schon seine Schätzung von 800.000 bis 1,2 Millionen Euro.
Versteigert wurde der Campendonk offenbar ohne schriftliche Expertise. Aber der Katalog verschweigt auch nicht, wie der Eintrag im Werkverzeichnis von Campendonk aussieht: „o.[hne] Abb.“, „Öl a[uf]? Maße, Signatur und Verbleib unbekannt“ ist da zu lesen; außerdem enthält der Lempertz-Katalog auch den Hinweis auf eine Campendonk-Ausstellung bei Flechtheim in Düsseldorf 1920, in dessen Katalog das Bild unter Nr. 11 mit Abb. auf Seite 6 gelistet sein soll. Der erweckte Eindruck, dass das genannte Bild abgebildet wird, täuscht jedoch. Der Katalog enthält nur einen Listeneintrag mit dem Titel unter dem Datum 1914.
Schnelligkeit: Vorteil und Bürde eines Versteigerers
Musste der Versteigerer aufgrund dieser Angaben weiterforschen bzw. hat er das getan? Wäre es notwendig geworden, die vor Ort wohnende Autorin des Werkverzeichnisses zu kontaktieren? „Entscheidend ist, dass der Nachlass vor der Auktion befragt wurde und von dem Bild begeistert war“, erklärt Heribert Reiners, Rechtsanwalt von Lempertz, auf Nachfrage. Die Autorin des Werkverzeichnisses sei vor der Auktion angefragt worden, habe sich jedoch nicht gemeldet.
Friederike Gräfin von Brühl, Rechtsanwältin der Klägerseite, behauptet dagegen: „Die Expertise des Campendonk-Enkels wurde erst nach der Auktion eingeholt.“ Außerdem belegten die vom Landeskriminalamt im Hause Lempertz beschlagnahmten Akten, dass die Autorin des Werkverzeichnisses vor der Auktion nicht zur Echtheit befragt worden sei. Stattdessen habe man ihr den Katalog mit einem freundlichen Begleitschreiben gesandt: „Dürfen wir Sie mit dem beiliegenden Katalog darauf aufmerksam machen, dass wir ein sehr schönes, Ihnen wohl auch im Original noch unbekannt gebliebenes Ölgemälde von Heinrich Campendonk aus dem Jahr 1914 anbieten werden“. Dieses Schreiben sei zurückgekommen, weil die Adresse veraltet war.
Grundsätzlich gefragt: Käme für einen Versteigerer die Möglichkeit in Betracht, die Künstlerangabe im Zweifel etwa mit einem Fragezeichen zu versehen, wenn ihm zu wenig Zeit für weitere Überprüfungen blieb oder könnte er gegebenenfalls mit der Versteigerung des Bildes einfach warten? Hat er als „Kaufmann“ mit seinem Spezialwissen zum Schutz seines Kunden in angemessenem Umfang kontrolliert, welche Ware er in den Markt gibt? Andererseits, gerade der schnelle Umschlag von Ware ist der Vorteil eines Auktionshauses. Zwischen Einlieferung und Versteigerung bleiben höchstens vier, in der Regel zwei bis drei Monate.
Darf der Käufer naiv sein?

Die Frage stellt sich aber auch, ob die Katalogangaben, insbesondere die zitierte Passage aus dem Werkverzeichnis, nicht auch die Aufmerksamkeit des Käufers hätten erregen können – und zwar vor dem Kauf. Wer bereit ist, so viel Geld auszugeben, der überprüft die Sache, bevor er bietet. Kann ein Käufer davon ausgehen, dass schon alles echt ist, was da unter den Hammer kommt? Warum dann lassen sich besonnene Sammler, verantwortungsbewusste Galeristen, Händler und Berater eigens Zustandsberichte senden und reisen an, um das zum Ausruf kommende Werk im Auftrag ihrer Kunden zu inspizieren, zu drehen und zu wenden? Darf der Käufer naiv sein? Andersherum gefragt: Darf der Auktionator, der seine Dienstleistung vom Käufer mit einer Kommission in Höhe eines beträchtlichen sechsstelligen Betrags bezahlen lässt, ihm auch noch die Archivarbeit aufbürden?
Da es keine offiziellen Standards für Echtheitsprüfungen gibt, ist es der richtige Weg, wenn das Kölner Gericht nach der üblichen Praxis fragt. Auf einem anderen Blatt steht die Frage, ob die vorhandenen Regelungen den Marktbeteiligten deutlich genug machen, was verantwortliches Handeln ist.





