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Londoner AuktionenVerrückt nach weißen Werken

Coole Kunst aus Italien, die auf alles Figürliche verzichtet, macht auf den Londoner Auktionen nie gesehene hohe Preise. Für die puristischen weißen Bilder geben Bieter zweistellige Millionensummen aus. Der Erfolg kommt jedoch nicht plötzlich. Bilder von Gerhard Richter bleiben im Rahmen der Schätzpreise.Matthias Thibaut 22.10.2014 - 12:15 Uhr Artikel anhören

Piero Manzonis "Achrome" mit Fältelungen wurde für 12,6 Millionen Pfund einem Europäer zugeschlagen. Foto: Suzanne Plunkett

Foto: Reuters

London. Vier Londoner Auktionshäuser versteigerten in der Frieze-Woche Nachkriegs- und zeitgenössische Kunst für 233 Millionen Pfund, ein absoluter Rekord für diese Auktionswoche. Vor einem Jahr wurden noch 135 Millionen und im Jahr 2012 waren es 136 Millionen Pfund. Keine Frage, der Kunstmarkt brummt, auch wenn – oder gerade weil –an den Aktienmärkten Unsicherheit und Volatilität zurückkehren.

Gesteigert wurden diese Auktionsumsätze durch die Sondereinlieferung der österreichischen Sammlung Essl bei Christie’s, die wie berichtet mit knapp 47 Millionen Pfund zu dem Ergebnis beitrug, Auktionen, die länger und umfangreicher sind als je – und einen überragenden Auftritt der italienischen Kunst, die schon lange das Fundament der Londoner Oktoberauktionen ist.

Um mit Christie’s ewiger Rekordjagd mitzuhalten, hat nun auch Sotheby’s seine wohltuende Strategie knapper, auf das Beste beschränkter Abendauktionen aufgegeben und will mit Masse punkten: Beide Abendauktionen hatten mit einem Doppelangebot aus zeitgenössischer und italienischer Kunst über 100 Lose. Davon hätte sich manches in einer Tagauktion genau so gut oder besser verkauft. Aber hinter steigenden Volumen steht auch die immer noch steigende Zahl von Marktteilnehmern. Zum Glück ist an talentiertem Künstlernachwuchs kein Mangel.

Kippenbergers "ehrliche" Lügen für Budi Tek

„Asiaten trumpften auf“, freute sich Sotheby’s Experte Alex Branczik, als sich an der Abendauktion mehr als doppelt so viel Asiaten beteiligten wie vor einem Jahr. Einer ersteigerte Sotheby’s Toplos der Contemporary Auktion, einen Pierre Soulages für 2,66 Millionen Pfund. Er hätte, wäre sein Zustand perfekt gewesen, die Schätzung von 2 bis 3 Millionen Pfund noch übertreffen können. An das Schanghaier Yuz Museum des chinesisch-indonesischen Sammlers Budi Tek wurde Kippenbergers „Meine Lügen sind ehrlich“ für 2,3 Millionen Pfund (unter Schätzung) verkauft, an eine andere asiatische Adresse ging  Adrian Ghenie’s „Duchamp Funeral“ für eine runde, hohe Million Pfund. Bei Christie’s ging u.a. Anselm Kiefers „Lasst tausend Blumen blühen“ für 1,2 Millionen Pfund nach Asien. Das Bild war von 2007 bis 2011 Rekordhalter der Kiefer-Preise. Der Einlieferer hatte 2007 immerhin 1,8 Millionen Pfund bezahlt, musste also einen Verlust einstecken. Das ist nicht das einzige Beispiel für Kunst, die ihren Einkaufspreis nicht halten konnte.

Sotheby's vermittelte Martin Kippenbergers "Ohne Titel (Meine Lügen sind ehrlich)" (1992) in die Sammlung des Indonesiers Budi Tek. (Ausschnitt)

Foto: Sotheby’s 2014

Ein asiatischer Bieter übernahm Anselm Kiefers Gemälde "Laßt tausend Blumen blühen!" (1999) für 1,2 Millionen Pfund. (Ausschnitt)

Foto: CHRISTIE’S IMAGES LIMITED 2014

Aber alles wurde durch den Höhenflug der italienische Kunst in den Schatten gestellt. Wurde es bei den Contemporary Auktionen sogar bei der Sammlung Essl nur lebhaft, wenn etwas wirklich ungewöhnliches zum Aufruf kam – öfter bei den Jungen als den etablierten Nachkriegskünstlern – war die Stimmung bei den Italienern auf Dauerhoch. Christie’s spielte am 16. Oktober 2014 mit einem Angebot von 66 Losen 27,5 Millionen Pfund ein und verkündete das als Umsatzrekord für eine Auktion italienischer Nachkriegskunst. Am nächsten Abend nahm Sotheby’s für nur 49 Lose 41.4 Millionen Pfund ein.

Nur ein Los ging bei Sotheby’s zurück, eine informelle Abstraktion von Emilio Vedova, die nicht im Trend lag. Denn nun ist Zero angesagt, bzw. die italienischen Variante, super coole Kunst, die auf alles figürliche und willkürliche verzichtet und sich methodisch auf die Darstellung von Licht, Schatten und Raum konzentriert. Sotheby’s hatte zehn Werke in puristischen Weiß, die auf Farbe verzichteten – angeführt von Piero Manzonis Kaolin Falten-Achrome im 150 cm Monumentalformat, von dem es nur neun Exemplare gibt. Das spornte ein halbes Dutzend Bieter an, ein europäischer Telefonbieter setzte sich erst bei 12,6 Millionen Pfund oder 20,3 Millionen Dollar durch, 6 Millionen Dollar über dem bisherigen Höchstpreis. Der phänomenale Preis, den der Saal mit Beifall quittierte, setzt ein neues Preisniveau im Spitzenmarkt der Italiener.

Weiße Werke auf weißen Fliesen

Zweites Toplos war Enrico Castellanis „Superficie Bianca“ aus der Sammlung Giobatta Meneguzzo und seinem Haus „La Casa Lo Scarabeo Sotto La Foglia“. Es ist ein Gesamtkunstwerk der Modernität, in dem die weißen Werke auf weißen Fliesen hingen. Ein von Sotheby’s Europa Chairman Philipp von Württemberg vertretener Telefonkäufer bezahlte 3,8 Millionen Pfund (Schätzung 1 bis 1,5 Millionen Pfund), ein Rekordpreis, der sich nicht nur der Größe der rhythmisch zur Plastik geformten Leinwand verdankt (280 cm Breite) sondern der Provenienz.

Einen weiteren Rekordpreis aus der Sammlung brachte die Formleinwand „Bianco“ des im letzten Jahr gestorbenen Agostino Bonalumi (626.500 Pfund), der zusammen mit seinem dem Gesinnungsgenossen Paolo Scheggi nicht nur die Auktionen, sondern auch die Frieze-Woche im Sturm eroberte. Die Galerie Robilant und Voena verkaufte Scheggi und Bonalumi auf der PAD Messe und in einer Galerieausstellung. Christie’s hatte am Vortag Bonalumis „Rosso“ für 386.500 Pfund versteigert. 

Spekulanten mischen mit

Sotheby’s hatte zwei Reliefleinwände von Scheggi. Sie brachten zwar nicht den im Mai im Dorotheum mit 573.300 Pfund aufgestellten Rekordpreis, übertrafen aber die Schätzungen weit. „Intersuperficie Bianca“ erzielte 386.500 Pfund, bewilligt durch den New Yorker  Kunstspekulanten José Mugrabi, eine „Intersuperficie Blu – Opera 6“ ging für 422.500 Pfund ans Telefon (Schätzung 120.000 bis 180.000 Pfund) – gegen die Kunstagentin Judy Hess. Sie ließ sich u.a. ein rotes geschlitztes "Concetto" von Lucio Fontana (1,56 Millionen Pfund), Castellanis „Superficie Gialla No 2“ für 1,07 Millionen Pfund, Alighiero Boettis „Mappa“ für 1,2 Millionen Pfund und ein „Volume“ von Dadamaino für 122.500 Pfund zuschlagen. Gegen die Nahmad-Familie wurde das zweireihige weiße "Concetto" von Fontana, das den Katalogumschag zierte, für 2,3 Millionen Pfund verkauft.

Bei Christie’s kämpften am Vortag drei Telefone um Boettis aus papiernen Kuchenunterlagen gebaute 211 cm  „Colonna“, ein Schlüsselwerk der Arte Povera und seit 1976 nicht mehr auf dem Markt: Es brachte mit 2,4 Millionen Pfund eine neue Höchstmarkte für Boetti. Die von dem Brit Art-Künstler Marc Quinn eingelieferte 226 cm große "Mappa" (größer als die blaue bei Sotheby’s) blieb mit 1,2 Millionen Pfund an der unteren Schätzung. Andere Spitzenwerke waren ein kleineres "Achrome" mit Falten von Manzoni (2,3 Millionen Pfund) und eine "Combustione Plastica" von Alberto Burri, die für 1,5 Millionen Pfund an die Nahmad-Familie ging.

Im Windschatten der Italiener segelten deutschen Zero Künstler: Heinz Macks „Vibration der Stille“ brachte den Rekordpreis 302.500 Pfund, 2010 war es für 145.250 Pfund unterm Hammer. Ein Rauchbild von Otto Piene kostete 242.500 Pfund und Adolf Luthers „Sphärisches Spiegelobjekt“ blieb mit 80.500 Pfund knapp unter Schätzung.

Sotheby’s sprach von einer „Morgenröte für die italienische Kunst“, aber es ist nicht so, dass es hier zuvor duster gewesen wäre. Seit Sotheby’s erster Italienauktion 1999 wachsen die Preise in diesem Sektor langsam und sicher, ohne überhitzende Spekulation wie in anderen Bereichen. Sie wuchsen sogar in den Jahren 2007 und 2008, als der weitere Contemporary Markt kollabierte. Mit ihrem soliden Corpus von Künstlern und Werken hat sich Italiens Nachkriegskunst von einem italienischen Nationalvergnügen zu einem soliden, internationalen Investitions- und Sammlermarkt entwickelt, der ohne Beispiel ist. Hoffentlich wird er nicht jetzt in den Strudel eines globalen Preishypes gezogen.

Gerhard Richter zum Schätzpreis

In den Contemporary Auktionen hatte Christie’s das deutlich bessere Angebot. 41 Lose brachten 40,3 Millionen Pfund, ein Durchschnittspreis, der mit knapp einer Million fast doppelt so hoch lag wie bei Sotheby’s, wo 52 Lose nur 28,2 Millionen Pfund einspielten.

Der Gerhard Richter Markt kehrte bei Christie’s nach dem Schreck mit dem Rückgang des Spitzenloses der Essl  Sammlung zur Normalität zurück. Mit einer Ausnahme wurde das Angebot mehr oder weniger zum Schätzpreis abgesetzt – angeführt von dem fotorealistischen Dschungelbild „Waldstück (Chile)“ für 4,45 Millionen Pfund gegen Untergebot der Nahmads. Peter Doigs menschenleerer Basketball Platz „The Heart of Old San Juan“ schaffte mit 4,6 Millionen Pfund die untere Schätzung. Es war 1999 entstanden, aber die teuren Doigs sind alles frühere Werke. Zwei Arbeiten von Basquiat kosteten 4,4 bzw. 2,4 Millionen Pfund; die erste, das farbstarke „Love Dub for A“, sicherte sich der Marktmacher für Basquiat, José Mugrabi.

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Großer Appetit auf Kunst

Unter den neuen Stars war der Vietnamese Danh Vo. Sein am Vortag bei Phillips für eine aus einer Dekonstruktion der Freiheitsstaue abgeleitete Kupfer-Skulptur erzielte den Rekordpreis von 206.500 Pfund. Bei Sotheby’s kam das Werk "Number 9" sogar auf 314.500 Pfund – Arte Povera trifft Bling, ist das Motto des Werkes, das aus mit Goldpapier veredelter Pappe besteht.

Es gab Rekordpreise für Israel Lund, und bei Christie’s u.a. für eine Applikation von Tracey Emin (722.500 Pfund, bewilligt von ihrem Galeristen Jay Jopling) und für Werke von Toby Ziegler, Joe Bradley (986.500 Pfund) und Rachel Whiteread. In Sotheby’s Tagauktion wurde ein Werk von Michael Borremanns („The Skirt“) bei einer Schätzung bis 250.000 Pfund auf 926.500 Pfund gesteigert. Der Appetit auf Kunst ist so groß wie immer. 

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