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MesseberichtGenerationenwechsel im Herzen des Lichtbilds

Ein komplett weibliches Team, viele junge Ansätze auf solidem Fundament: Die 28. Ausgabe der „Paris Photo“ bestätigt die Stadt als zukunftsstarken Pulsgeber des bildorientierten Kunstdiskurses.J. Emil Sennewald 13.11.2025 - 11:58 Uhr Artikel anhören
Die übermalten Fotografien von Justine Kurland, hier „Trout on Wood Block“ von 2025, bieten einen idealen Einstieg in das Sammeln zeitgenössischer Kunst. Bei Higher Pictures aus New York sind sie bereits ab 2600 Euro zu haben. Foto: Justine Kurland, Higher Pictures

Paris. Ein Gesicht mit grob genähter Wunde, wandhoch in Schwarzweiß aufgeklebt. Davor lehnt eine steinige Landschaft im Rahmen an der Wand, davor eine andere. Darüber: ein ausgebrannter Panzer, nur noch Ruine, dahinter rauchen Trümmer. „No comment“ nennt Sophie Ristelhueber ihre Installation aus sechzig Werken, die sich auf vierzig Metern Wand erstrecken. Ein schallender Kommentar in kriegsnahen Zeiten. Gerade mit dem mit rund 230.000 Euro dotierten Hasselblad Award ausgezeichnet, versammelt die 1949 geborene Künstlerin vierzig Jahre Arbeit am Bild als Spur, als Beweis, als Ruine. Zwischen 10.000 und 120.000 Euro preist ihre Galerie Jérôme Poggi die Arbeiten aus, setzt gleich am Eingang den Ton im Grand Palais: Fotografie als Engagement und die Materialität des Bildes – mit klarer politischer Positionierung.

Auf 21.000 Quadratmetern, mit über 220 Teilnehmenden aus 33 Ländern, darunter 60 Neuzugänge, wolle man, so die Messeleiterin Florence Bourgeois, „Verantwortung zur Vielfalt angesichts der heutigen Fotografie zeigen, vor allem einem wachsenden jungen Publikum“. Dazu gehöre, dass der Frauenanteil in sieben Jahren von 20 auf 39 Prozent gesteigert worden sei. Dass das diesjährige Team zu 100 Prozent aus Frauen bestehe, sei ein Zufall, der ein Zeichen setzt. Der Besucherandrang sei so groß, fährt Bourgeois mit Blick auf die Eintrittspreise zwischen 26 und 40 Euro fort, dass man ihn mit Late-Night- und Wochenendangeboten zu lenken versuche.

Das handkolorierte Foto „Displacement_06“ von Shirana Shahbazi im handgemachten Keramikrahmen kostet bei Peter Kilchmann (Zürich, Paris) 18.000 Schweizer Franken. Foto: Shirana Shahbazi, Galerie Peter Kilchmann, Foto: Sebastian Schaub

Gut für den Lichtbild-Handel, würde man sagen. Aber kaufen in Paris, seit der Rückkehr der Amerikaner, der Ansiedelung der „Art Basel“ und internationaler Großgalerien wieder Zentrum der Kunst-Luxus-Industrie, wirklich so viele Leute Fotografie? Die Messe sei, bestätigt Nadine Wietlisbach, Direktorin des Fotomuseums Winterthur und Gastkuratorin im thematischen Bereich „Voices“, ein idealer Einstieg in das Sammeln zeitgenössischer Kunst. Als Beispiel nennt sie die übermalten Fotografien von Justine Kurland, die gerahmt bei Higher Pictures (New York) bereits für 2600 Euro zu haben sind. Dafür stehen auch die Arbeiten der iranisch-deutschen Künstlerin Shirana Shahbazi: Ihre handkolorierten Fotos in Keramikrahmen kosten bei Peter Kilchmann (Zürich, Paris) 16.000 bis 18.000 Schweizer Franken.

Der zweite Teil von „Voices“ wird von Devika Singh kuratorisch verantwortet. Sie hat kritische Perspektiven auf Landschaft, Erinnerung, Identität versammelt, darunter das große Projekt „Cité des Morts“ des französischen Malers und Fotografen Bernard Guillot (1950–2021). Die innerhalb von 40 Jahren entstandenen Aufnahmen sind von beeindruckend geisterhafter Intensität, die Galerie Tintera (Kairo) bietet „erst jüngst in seinem Nachlass gefundene“ übermalte Fotos für 12.500 Euro an.

Die Galerie Tintera aus Kairo bietet übermalte Fotos aus Bernard Guillots Serie „Cité des Morts“ (1977–2017) für 12.500 Euro an. Foto: Estate of Bernard Guillot

Im aufgeräumten Hauptbereich der Messe machen selbst Gimmicks wie Renato d’Agostins Dunkelkammer Freude. Der italienische Künstler lädt bei der Galerie Bigaignon (Paris) Sammler, die etwas kaufen, in die Kemenate hinter der Ausstellungswand ein, um live einen weiteren kleinen Abzug des erstandenen Werks zu erstellen. Solche Markt-Acts gibt es auch bei der in Neuchâtel und Paris angesiedelten Galerie C. Hier wird die 44 Abzüge umfassende Fotoarbeit von Edouard Taufenbach und Bastien Pourtout jeden Tag umgehängt. Das Ensemble soll für 28.000 Euro Abnehmer finden. In Paris wird weiterhin das Neue vom Alten getragen: „Historische Händler mit viel Erfahrung“, betont die künstlerische Leiterin Anna Planas, „sind eine wichtige Basis.“ Sie erlaubt das Entdecken von Pionier-Positionen wie der frühen „Thermofax“-Serie (1975/77) von Marisa González, die erstmals in diesem Umfang bei Neuzugang Isabel Hurley aus Malaga zu sehen ist.

Neuzugang Isabel Hurley aus Malaga zeigt Arbeiten aus der frühen „Thermofax“- Serie (1975/77) von Marisa González. Foto: Marisa González

Im „Digital“-Sektor hebt unter den 60 versammelten Positionen Kuratorin Nina Roehrs den 1969 geborenen irischen Konzeptkünstler Kevin Abosch (TAEX, London) hervor: „Er hat ein eigenes AI-Modell mit seinen Arbeiten gefüttert und dann hochauflösende Fotografien generiert.“ Die erschreckenden biotechnologischen Hybride bieten keine rosige Aussicht auf die Welt, welche sich die Maschinen für uns ausdenken. Dass sie sehr viel mit dem zu tun hat, was Magritte 1929 mit der Zeile „Ceci n’est pas une pipe“ als „Bilderbetrug“ malte, setzt der in Düsseldorf lebende Künstler Sebastian Riemer mit einem zwei mal zwei Meter großen Foto eines Dias des besagten Gemäldes in Szene. Riemer gehört zu den Kunstschaffenden, die die Stadt Düsseldorf in einem eigenen Bereich repräsentieren. Das gelingt, wie übrigens auch mit der Ausstellung „Face to Face“ der Deutsche Börse Photography Foundation, eher als Fußnote. Auch der „Emergence“-Sektor, wieder auf den umlaufenden Galerien des Grand Palais untergebracht, wirkt entfernt. Vielleicht sollte die üppige VIP-Lounge aus dem Ehrensaal verlegt und dort den jüngsten Positionen Platz gegeben werden.

Sebastian Riemer gehört zu den Künstlern, die die Stadt Düsseldorf in einem eigenen Bereich repräsentieren. Er setzt mit einem zwei mal zwei Meter großen Foto eines Dias Magrittes berühmtes Werk „Ceci n’est pas une pipe“ in Szene. Foto: Sebastian Riemer

Denn auf die setzen Galerien und Messeleitung: „Wir befinden uns in einem echten Generationenwechsel“, betont Anna Planas. In Galerien, Institutionen, unter Kunstschaffenden und im Publikum gehe eine neue Generation an den Start, für die in alltäglich gewordenen digitalen Wandlungen sich die Fotografie aus der Verhaftung im Repräsentationsparadigma gelöst habe. „Fotos müssen nicht mehr abbilden“, so die Kuratorin, „sie werden als Material und Objekt wichtiger.“ Ein Beispiel dafür wären die Wolkenbilder, welche die 1961 geborenen Zwillinge Doug und Mike Starn auf stark verbogene Schichtholzplatten geklebt haben. Die Wandskulpturen des Künstlerduos aus New Jersey sollen bei Persiehl & Heine aus Hamburg 23.800 Euro bringen.

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Die Paris Photo hat in den letzten Jahren systematisch ihre Position als spezialisierte Kunstmesse ausgebaut zu einem Ort, an dem Fotografie verhandelt wird – nicht nur als Ware. Galerist Julian Sander hat das erkannt. Jeden Morgen lädt er seine Kolleginnen und Kollegen vor Messebeginn zu Café und Croissant an seinen eigens mit großer Espressomaschine ausgestatteten Stand.

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