Reisebericht: Seewege zur Kunst
Zürich. Kreuzfahrt zur Kunst – klingt verrückt? Ist es auch. Nicht im kriegerisch-missionarischen Sinne, sondern als außergewöhnliches Format auf See und an der Küste, auf Genuss bedacht, unter kundiger Anleitung, im kleinen Kreis und offenen Gespräch. Es gibt viele Wege zur Kunst – meist steht eine charismatische Museumsdirektorin oder ein Kunstvereinsleiter mit Ausstrahlung am Beginn. Fester Boden ist aber nicht zwingend notwendig. Gerade im Schaukelmodus sanfter Wellen kann man sich mal erfrischend anders mit Malerei und Skulptur, heutigen Installationen und Interventionen befassen.
Den Rahmen dafür schafft ein besonderes Schiff. Auf Einsteiger und Kenner harren dort knapp 900 Kunstwerke, darunter solche von Gerhard Richter, Olafur Eliasson und Jeppe Hein in Schiffsgängen, Salons und Gästesuiten. Zusätzlich ist auf der „MS Europa 2“ eine ständige Galerie eingebaut. Hier breiten mal die Fotografie-Expertin Carola Persiehl, Chefin der alteingesessenen Galerie Commeter in Hamburg, mal der Expressionismus-Händler Thole Rotermund, ihre Schätze auf Papier aus. Hier trifft man sich zur Vernissage oder zu vertiefenden Gesprächen etwa über die raffinierte Fototechnik von Gregor Törzs auf einem Platin Palladium Print. An Bord haben alle Zeit.
Seit 2016 bietet die Reederei Hapag-Lloyd ein Format für Kunstinteressierte an. Das Programm „Art2Sea“ wird von dem Moderne-Kenner Thole Rotermund und der „Weltkunst“-Chefredakteurin Lisa Zeitz konzipiert. 2025 kamen der Strategieberater und Sammler Christian Schwarm und seine Frau Lea als Experten für Konzeptkunst dazu. Ziel ist nicht primär Verkauf, sondern Verständnis für zeitgenössische Sichtweisen und Haltungen zu wecken. Die Seereise führte im Frühling für vier begleitende Journalistinnen von Los Angeles nach Vancouver. 430 Gäste kreuzten über Seattle zurück nach San Diego. „Man kann ja nicht nur Sport machen, duschen und überlegen, was ich heute anziehe“, sagte Teilnehmerin Marga Abromeit über die Impulse, die ihr das Kunstprogramm vermittelt.
Höhepunkte waren im kanadischen Victoria das Gespräch im Atelier des Künstlers Cedric Bomford und die wenig bekannte Sammlung von 60 Freiluftskulpturen im Bio-Weingut Donum in Kalifornien. Bevor dessen Eigentümer, der dänische Unternehmer Allan Warburg und seine Ehefrau Mei, ab 2010 Großskulpturen nach dem Motto „East meets West“ erwarben, sammelten sie Gemälde.
Eingebettet in die Rebhügel südlich von Sonoma breitet sich zwischen bienenfreundlichen Büschen die Truppe „Zeitgenössischer Krieger“ mit dem bekannten zynischen Lächeln des chinesischen Künstlers Yue Minjun aus. Etwas weiter oben erhebt sich ein riesiges, silbern schimmerndes Herz aus Stahl von Richard Hudson. Kitschig sieht „Love me“ nur von vorne aus. Hinten erkennt man eine große Beule, sie spielt auf ein schwarzes Loch an bei der Entstehung des Universums. Mehrdeutig ist auch das bunte, schön anzuschauende Glasdach eines luftigen Pavillons. Ihm liegen exakte Untersuchungen zum Mikroklima im Weingut Donum zugrunde. Die hat Olafur Eliasson gemeinsam mit dem Studio Other Spaces für Donum in ansprechende Formen gebracht.
Der kalifornische Bildhauer Adam Parker Smith verändert unseren Blick auf den antiken „Apoll von Belvedere“, wenn er dem Gott der Poesie die Größe nimmt und ihn unerbittlich in einen Marmorkubus quetscht. Die ägyptisch-französische Künstlerin Ghada Amer formte aus arabischer Schrift Worte der Liebe und Sehnsucht zu einer Kugel. Doch lesbar sind sie nur von innen, wird doch Intimes im arabischen Raum sehr privat gehalten. Die Tour zur beeindruckenden Sammlung klang aus mit einer Weinprobe von je zwei Chardonnay- und Pinot-Noir-Lagen. Dazu wurden Fisch, Pastete und Enten-Confit serviert.
Der Zutritt zu Privatsammlungen und exklusive Begegnungen mit Künstlern sind der Kern von Art2Sea. Im Fall von Cedric Bomford ist Christian Schwarm der Türöffner in dessen Studio. Der Privatsammler ist mit Bomford befreundet, seit der in Berlin ausstellte und eine Installation für Schwarms Agentur schuf. In seinen begehbaren oder schwimmenden Architekturen aus Fundholz macht sich der Professor für Fotografie an der Kunstakademie von Victoria Gedanken zu gebauten Machtstrukturen. Im ordentlich aufgeräumten, hohen Atelier zwischen Schrauben, Zwingen, Klebern, sehr viel Holzstücken und Teilen abgebauter Arbeiten sprach Bomford eindringlich von seiner Arbeit und Haltung.
Zwanzig Gäste lauschten gebannt, was der Mittvierziger entwickelte und freimütig bekannte: Dass er zwar einem inneren Bild folge, aber niemals einem Konstruktionsplan. „Kunst braucht kreativen Spielraum“, forderte er. „Ein Prozess, der stracks von A nach B führt, verhindert Unerwartetes, Zufälle und Fehler.“ Er praktiziere „das Denken durch das Bauen“. Nebenbei wird klar, dass Kunst so gut wie immer Freiheit verhandelt. Da war ein mitreißender Künstler zu erleben, der nicht auf Messen und in Galerien ausstellt, gleichwohl aber in renommierten Institutionen. Neuland also auch für Marktkenner an Bord.
Mit dem Bonmot, „Kunst ist nicht das, was wir von ihr erwarten, sondern selbst der Wandel“ resümierte Christian Schwarm den Atelierbesuch mit einem Zitat, das mal einem Philosophen, mal einem Künstler zugeschrieben wird. Sich dem kenntnisreich vermittelten Unerwarteten zu stellen, bei Tea Talks, einem Künstler-Workshop von David Horvitz an Bord, Rundgängen in der angesehenen Galerie Sprüth Magers in Los Angeles und dem daneben liegenden LACMA Museum – dafür bot Art2Sea weitere Gelegenheiten. Die Passagiere durften live dabei sein, als Lisa Zeitz ihren Podcast „Was macht die Kunst?“ in der großen Bordbibliothek aufnahm. Und ihrem Gast Marc Daniel Mayer, dem früheren Direktor der Nationalgalerie von Kanada, entlockte sie: „Kunst? Das hat mit persönlichem Geschmack nichts zu tun. Kunst ist ein Workout für den Kopf.“
Die „Europa 2“ ist ein kleines, gut designtes Motorschiff mit viel Raum für die Individualität eines jeden Gasts und Feinschmeckers. Und wer seine Workouts nicht im Kopf wagen wollte, erkundete die Küstenlandschaft von Kalifornien und Kanada auf geführten Touren eben mit dem Rennrad oder dem E-Bike.