TV-Kritik zum Tatort: Das hat Kommissarin Odenthal nicht verdient

Die Schauspielerinnen Annalena Schmidt als Sekretärin Edith Keller, Ulrike Folkerts als Kommissarin Lena Odenthal, Andreas Hoppe als Kommissar Mario Kopper und Lisa Bitter als Johanna Stern posieren für den Jubiläums-„Tatort“ aus Ludwigshafen.
Hamburg/Ludwigshafen. Zugegeben, nach dem geradezu revoluzzerhaften Tatort-Spektakel aus Wiesbaden tritt Lena Odenthal am kommenden Sonntag mit der Folge „Blackout“ ein schweres Erbe an. Aber dass die dienstälteste Ermittlerin der Krimiserie so angeschlagen durch ihren 60. Fall taumelt, das haben weder sie noch die Zuschauer verdient. Schon gar nicht zum Jubiläum (Sonntag, ARD, 20.15 Uhr).
Denn in den vergangenen 25 Jahren hat sich Lena Odenthal, einst als „weiblicher Schimanski“ gefeiert, viele Sympathiepunkte erkämpft. Immerhin gibt es vom Sender SWR ein Zückerchen: Die Zuschauer dürfen ab 21.45 Uhr selbst online auf Verbrecherjagd gehen.
Die Story aus Ludwigshafen folgt dem klassischen Whodunit-Prinzip: Ein Mann wird erdrosselt und mit KO-Tropfen betäubt tot in seiner Musterwohnung gefunden – pikanterweise mit einer Champagnerflasche im Po. Schnell geraten seine betrogene Ehefrau, der in der gemeinsamen Firma vom Rauswurf bedrohte Bruder und der beste Freund und Kompagnon in Verdacht.
Eine dubiose Rolle spielt zudem eine junge Frau, die in der Mordnacht ebenfalls unter dem Einfluss von KO-Tropfen orientierungslos aufgegriffen wird. Dummerweise kann sie sich aber an nichts erinnern. Dass Kommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) in ihren Ermittlungen bis an die eigenen Grenzen geht, sind die Zuschauer gewohnt. Doch dieses Mal kann einem die Vorkämpferin für Frauen in einer Männerdomäne fast schon leidtun.
Geplagt von Schlafstörungen, Panikattacken und Einsamkeit stolpert sie mehr oder weniger durch den Fall, bei dem nahezu jede Spur ins Nichts zu laufen scheint. Zu allem Übel ist ihr bewährter Kollege und Freund Mario Kopper im Italienurlaub.
Als Ersatz kommt die nassforsche Fallanalytikerin Johanna Stern, auf die Odenthal genervt reagiert. Die junge Kollegin geht mit modernsten Ermittlungsmethoden nicht nur äußerst rational an den Fall heran, sie bringt auch scheinbar mühelos Beruf und Privatleben unter einen Hut („Morde am Samstag sind mir am liebsten. Da kann mein Mann auf die Zwillinge aufpassen“.).
Johanna Stern (Lisa Bitter) liefert auch die entscheidenden Hinweise zur Lösung des Falls. Das Zusammentreffen der abgeklärten Profilerin Stern mit der einsamen Wölfin Odenthal, die unbeirrt auf ihre Erfahrung und ihr Bauchgefühl setzt, bildet den Boden für einen Generationenkonflikt.
Und für einen Hauch von Situationskomik, etwa, wenn die junge Ermittlerin naseweis einen Vergleich zwischen Odenthal und ihrer Oma zieht: „Sie können sich gar nicht vorstellen, wie schwer die sich damit getan hat, mit dem Skifahren aufzuhören!“ Kein Wunder, dass Odenthal darauf verschnupft reagiert.
Mit der Fallanalytikerin Stern gewinnt die Handlung an Dynamik. Sie bringt Schwung in das eingefahrene Team. Anders als in ihrer Rolle ist Ulrike Folkerts sehr angetan von ihrer neuen Serienpartnerin: „Wir brauchten solch einen Störenfried.“ Und in einem dpa-Interview ergänzt sie: „Für mich als Schauspielerin war dieser Tatort interessant zu spielen, weil die Figur etwas durchmacht.“ Ihr dabei zuzusehen ist faszinierend, es macht die Folge aber nicht spannender.
So zufrieden ist die Lena-Darstellerin nicht mit jedem Drehbuch. Sie klagt darüber, dass die Handlung inzwischen oft in ein Schema gepresst werde: „Nach zehn Minuten die erste Leiche und am Ende definitiv ein überführter Mörder.“
Auch der Zwang, politisch immer korrekt sein zu müssen, missfällt der Rekord-Kommissarin. „Es wird heute weder geraucht noch getrunken, weil man plötzlich an die Jugendlichen dachte, die sonntags vor der Glotze sitzen, für die wir Kommissare/innen doch Vorbilder sein sollen, die Guten eben ...“
Folkerts Fazit nach 25 Jahren Tatort: „All das zeigt eigentlich nur, dass Fernsehen weniger mutig geworden ist, Angst hat vor Kritik, Reibung vermeidet und gefallen will.. das kann eine Falle sein, da müssen wir Macher alle aufpassen.“ Dabei weiß die Schauspielerin nur zu gut, was sie gerne einmal spielen möchte: „Eine intelligente Undercover-Geschichte.
Oder einen „Tatort“, bei dem der Zuschauer von Anfang an den Täter oder die Täterin kennt und ein irres Schauspiel beginnt.“ Entscheidend für die Spannung sei, dass ein „kluges, virtuoses, nicht vorhersehbares Drehbuch“ vorliege. „Dann steht einer guten Umsetzung kaum noch was im Weg.“ Bleibt zu hoffen, dass ihr bald wieder einmal ein solches Drehbuch vorgelegt wird.
So angeschlagen wie Lena Odenthal in „Blackout“ wirkt, drängt sich der Verdacht auf, die beliebte Kommissarin könne eine Auszeit planen oder vielleicht sogar durch die Jung-Dynamikerin Stern ersetzt werden. Doch hier wiegelt der SWR ab.
„Wie Lena Odenthal mit ihrer posttraumatischen Belastungsstörung umgehen wird, verraten wir noch nicht“, sagt eine Sprecherin. „Aber sie macht weiter. Die nächsten beiden Folgen sind schon abgedreht und werden 2015 gesendet.“ Auch Johanna Stern wird dann wieder dabei sein.
Wer nicht solange warten will, der konnte direkt im Anschluss an die „Blackout“-Folge im Internet zusammen mit Lena Odenthal auf Verbrecherjagd gehen (www.tatort.de/tatort+). Es ist der dritte Versuch dieser Art, einen Zusatzdienst für die Krimizuschauer anzubieten.
Man sei mit der Resonanz bei den beiden vorangegangenen Spielen zufrieden gewesen, auch wenn die Nutzerzahlen unterhalb der Millionengrenze lagen, berichtet die Sendersprecherin. In das neue Ermittlerspiel sind Anregungen der Nutzer eingeflossen.
10,4 Millionen Zuschauer verfolgten die Ermittlungsarbeit im 60. Fall von Lena Odenthal, wie der Sender am Montag mitteilte. Damit war der Tatort Tagessieger im deutschen Fernsehen. Die Zuschauerzahl entspricht einem Marktanteil von 29 Prozent.
Auch bei den Zuschauern zwischen 14 und 49 Jahren habe der Marktanteil bei sehr erfolgreichen 23,5 Prozent gelegen. Ebenfalls auf großes Interesse sei die Verlängerung des Tatorts im Internet als "Tatort+" gestoßen. Dort konnten die Tatort-Fans selbst Detektiv spielen. Die Website tatortplus.de verzeichnete 783.700 Seitenabrufen.
Im Tatort+, dem Krimispiel zum Jubiläumstatort "Blackout", können die Spieler auch weiterhin als Ermittler ihren Spürsinn beweisen. Gemeinsam mit dem Tatort-Team gilt es, einen Fall zu lösen, der weit in Lena Odenthals Vergangenheit reicht.
Mit den 10,40 Millionen Zuschauern knackte Folkerts zwar die Zehn-Millionen-Marke, stieß aber trotzdem nicht in die absolute Spitze vor, an der aus den aktuellen Besetzungen das Münster-„Tatort“-Duo mit Jan Josef Liefers/Axel Prahl steht, das im September 13,13 Millionen Zuschauer erreichte.
Halb so gut fiel die ZDF-Bilanz für den Hauptabend am Sonntag aus: 5,71 Millionen Zuschauer (15,9 Prozent) entschieden sich für das Melodram „Geschenkte Jahre“ mit Gesine Cukrowski und Harald Krassnitzer. Danach folgte RTL mit dem Fantasyfilm „John Carter - Zwischen zwei Welten“ mit 3,72 Millionen Zuschauern (11,5 Prozent).


Die Sat.1-Krimiserie „Navy CIS“ kam auf 2,37 Millionen Zuschauer (6,6 Prozent) mit der ersten Episode und 2,29 Millionen (7,0 Prozent) mit der zweiten. Die Vox-Reihe „Grill den Henssler“ brachte es auf 2,13 Millionen (7,3 Prozent), die ProSieben-Komödie „Magic Mike“ auf 2,11 Millionen Zuschauer (6,4 Prozent) und die RTL-II-Filmsatire „Lord of War - Händler des Todes“ auf 0,97 Millionen (3,0 Prozent).





