Blick in die Luxuswerkstatt: Warum die Handwerkskunst von Louis Vuitton auch heute noch fasziniert

Der Verschluss wird per Hand positioniert.
Düsseldorf. Manche Luxusmarken haben einen kurzen Hype. Dann verschwinden sie wieder für einige Jahre im Modekosmos, um mit einem aufsehenerregenden Designerwechsel, oft unglaubwürdigen Celebrity-Kooperationen oder einem strategischen Richtungswechsel Versuche zu unternehmen, wieder an die Spitze zurück zu kommen. Eine Marke, die davon ausgenommen ist: Louis Vuitton.
Die namensgebende und stärkste Marke im Portfolio des Konzerns LVMH, kurz für „Louis-Vuitton-Moët-Hennessy“, gehört seit Ende der 1980er-Jahre zu dem Flaggschiff, das mehr als 75 weitere Prestige-Marken in sich vereint. Bei der Fertigung der neuen Kollektion lässt sie sich im Rahmen eines „Savoir Faire“ („gewusst wie“) auf die Finger schauen – erstmals exklusiv für das Handelsblatt.
Wie ein Fels in der Brandung verhält sich der Marktwert des Unternehmens Louis Vuitton. Im Luxusranking des US-Marktforschungsinstituts Millward Brown amtiert die Marke seit 2009 dauernd als profitabelste und eine der wertvollsten Marken der Welt. 1859 florierte das Unternehmen schon so stark, dass Louis Vuitton mit seinem Kofferbetrieb und 20 Angestellten nach Asnières umzog.
Pioniere des Lederhandwerks
Und seine Lebenseinstellung klingt so, wie man sie sich heute von Start-up-Gründern in Berlin Mitte nur wünschen könnte: Vuitton hatte als mittelloser Tischler im französischen Jura angefangen, wollte aber immer wieder hinaus ins Grüne, wo er am Wochenende gern die „Guinguettes“, die traditionellen Tanztavernen und die Ruderklubs an der Seine besuchte. Und zwischendrin etablierte er eine der wertvollsten Marken der Welt.

Die Tasche wird geformt und dann genäht.
Denn um die Faszination Louis Vuitton zu verstehen, muss man wissen, dass der Designer ein modischer Revolutionär war. Vuitton stammt aus dem kleinen Dorf Anchay in Frankreich, das in dieser Zeit erstmals an das Eisenbahnnetz angeschlossen wurde. Er kam 1837 nach Paris und wurde von einer Stadt inmitten der industriellen Revolution empfangen.1854 eröffnete er seine erste Werkstatt. Dort schufen Vuitton und seine Handwerker etwas, das immer noch als eines der ikonischsten Reiseaccessoires aller Zeiten gilt – den wasserdichten Flachdach-Gepäckkoffer.
Die beste Kopie kommt nie an das Original ran

Die Kosmetiktasche in ihre Einzelteile zerlegt.
Zu dieser Zeit war flaches Kofferraumgepäck zwar sehr beliebt, zog aber oft Diebe an. Vuitton wird auch zugeschrieben, dass er das Gepäckschloss revolutioniert hat, indem er ein Schließsystem angebracht hat, das auch heute noch in Gebrauch ist. 1896 wurde das ikonische LV-Monogramm eingeführt.
Aus dem einfachen Grund, weil Vuitton damals bereits mit Markenpiraterie zu kämpfen hatte. Sein Sohn Georges etablierte aber nicht nur das Logo, sondern auch das heute unverkennbare Schachbrettmuster mit den Vierpässen. Für diese Muster waren übrigens die alten Kacheln mit neogotischem Muster in Vuittons Privatvilla die Inspiration. Heutzutage können Bewunderer der Marke diese und andere Geheimnisse bei den „Privattagen“ selbst entdecken, was von jeder Altersgruppe gern in Anspruch genommen wird.
Was hält die Marke bis heute so faszinierend?

Das Leder für das Innere der Schuhe wird zurechtgeschnitten.
Denn besonders junge Menschen hätten sich nach einem Besuch in den Ateliers entschieden, eine Karriere im Handwerk anzustreben, mit einer Ausbildung im 2014 gegründeten Institut des Métiers d’Excellence, wie Konzernchef Antoine Arnault in Interviews immer wieder erzählt. Somit sind die Tage der offenen Tür nicht nur Imagepflege, sondern auch eine Ode an die Erhaltung des Handwerks, für das Louis Vuitton so geschätzt wird.
Nach den Stimmen von Modekritikern und dem positiven Zuspruch auch auf den Social Media-Kanälen ist die aktuelle Kollektion ein erneutes Beispiel für den nicht abreißen wollenden LV-Hype. Denn die Frühling-Sommer-Kollektion 2020 verkörpert exakt die eingangs erwähnte, unbeschwerte Lebenseinstellung von Vuitton, kombiniert mit der Entstehungszeit der Marke, der Belle-Epoque-Ära in Paris.

Die Lederbezüge werden mit einem Faltwerkzeug geglättet.
„Es ist ein Teil der französischen Geschichte, der sowohl in der Kunst als auch kulturell, in Bezug auf die Emanzipation der Frau und natürlich auch in der Literatur mit Proust sehr interessant ist“, erklärte Chefdesigner Nicolas Ghesquière. Wo andere Marken in der medialen Öffentlichkeit Probleme mit der Antwort darauf haben, unter welchen Bedingungen sie fertigen, zeigt Louis Vuitton mit dem „Savoir Faire“ stolz, das die Marke ihrem ehrlichen Handwerk treu geblieben ist – und es vor allem auf heutige Standards anpassen will.
Nachhaltige Fertigung

Der Academy Loafer erhält sein Unterteil.
Denn im Mai 2019 kündigte LVMH an, dass der Konzern dem „Programm Mensch und Biosphäre“ beitreten wird, das Teil der Sonderorganisation der Vereinten Nationen UNESCO ist und mit verschiedenen führenden Industrieunternehmen und nationalen Regierungen zusammenarbeiten wird. Sie wollen gemeinsam Beschaffungsmethoden entwickeln, um die biologische Vielfalt schützen. Seit 2012 arbeitet LVMH an der vollständigen Rückverfolgbarkeit aller Materialien in seiner Lieferkette und an einer kontinuierlichen Reduzierung des Wasser- und Energieverbrauchs und der Abfallproduktion.
Außerdem hat das Unternehmen zugesichert, die CO2-Emissionen aus dem Energieverbrauch im Laufe des Jahres 2020 um 25 Prozent zu reduzieren. Ganz im Sinne der Transgender-Sängerin Sophie, die während der Show der Frühling-Sommer-Kollektion auf dem Laufsteg sang: „Just know you've got nothing to hide“. Denn auch Louis Vuitton scheint nichts zu verbergen zu haben.





