Topfgucker: Warum man beim festlichen Wildbraten nicht unbedingt die Keule schwingen muss
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Serie: TopfguckerWarum man beim festlichen Wildbraten nicht unbedingt die Keule schwingen muss
Von Schalen, Nüssen und falschen Filets: Ein Sternekoch gibt zum Fest Tipps zur richtigen Verarbeitung von Reh-, Hirsch- oder Wildschweinkeulen.
Die Summe der Teile ist hier deutlich mehr als das Ganze.
(Foto: mauritius images)
Hamburg Alle Freunde von Bambi, bitte nicht weiterlesen! Im Folgenden geht es um Wildbret: Reh, Hirsch, Wildschwein ... Geschmortes hat Saison. Erst recht kurz vor Weihnachten, da wandert an den Adventssonntagen oder in den Planspielen für die Feiertage manches Stück aus dem Wald in den Bräter.
Besonders Keulen sind beliebt: anbraten, Wurzelgemüse dazu, ablöschen, aufgießen, schmoren. Irgendwann, keine Frage, ist der Schlegel mürbe, der Saucenansatz würzig, das Ergebnis meistens ein Genuss – gern mit Klößen und Rotkraut oder Rosenkohl.
So weit, so gut. Aber eigentlich darf es sich der ambitionierte Handwerker am heimischen Herd so einfach nicht machen. Bei einer Keule nämlich gilt der Umkehrfall eines geflügelten Satzes: Hier ist die Summe der Teile deutlich mehr als das Ganze.
Will heißen: Eine Reh-, Hirsch- oder Wildschein-Hinterhand ist viel zu schade, um sie einfach nur „abzukochen“; damit schlägt man das edle Fleisch deutlich unter Wert und wird den kulinarischen Möglichkeiten nicht gerecht, die es in „dekonstruiertem“ Zustand bietet.
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Die Hinterhand, egal ob vom Rind, Schwein oder halt vom Wild, besteht aus famosen Einzelteilen, im wesentlichen aus der Ober- und der Unterschale, der großen und der kleinen Nuss sowie dem falschen Filet (Kniegelenksmuskel). „Man sollte immer schauen: Was habe ich für ein Produkt, und was ist dafür die bestmögliche Zubereitungsart“, sagt Sternekoch Volker M. Fuhrwerk, Küchenchef im Hotel & Restaurant Ole Liese auf Gut Panker.
Zur Person: Volker Fuhrwerk
Fuhrwerk, Jahrgang 1981, durchlief nach seiner Ausbildung in Magdeburg exzellente Restaurantstationen im In- und Ausland und entwickelte bei Sterneköchen wie Johann Lafer und Jens Rittmeyer seine Passion für die Hochküche. Im Berliner Schlosshotel im Grunewald fungierte er erstmals als Küchenchef, verantwortete das Gourmetrestaurant Vivaldi und verwöhnte zudem Staatsgäste im Bundeskanzleramt.
2013 zog es Fuhrwerk aus der Hauptstadt in die Holsteinische Schweiz. Er übernahm die kulinarische Verantwortung im Hotel & Restaurant Ole Liese auf Gut Panker und betreibt dort auch das Restaurant 1797. Nach anderthalb Jahren erkochte sich der Küchenchef mit Obst und Gemüse aus dem hauseigenen Garten und mit Fisch und Fleisch aus Schleswig-Holstein seinen ersten Michelin-Stern, den er seither hält. Das historische Ensemble von Gut Panker und Ole Liese liefert den passenden Rahmen für Fuhrwerks von der Natur und der Saison inspirierte Gerichte.
Das Wild aus den umliegenden Wäldern der Holsteinischen Schweiz gehört zu Fuhrwerks Favoriten in der „Ole Liese Wirtschaft“ und in seinem Gourmetrestaurant „1797“. Im Gespräch mit dem Handelsblatt ergeben sich so wertvolle Ratschläge aus dem Fundus seiner Expertise:
„Eine Rehkeule beispielsweise wird meist geschmort, und viele wundern sich dann, dass sie trocken wird. Das Fleisch ist halt nicht gut marmoriert und damit sehr fettarm, was es andererseits sehr interessant macht. Es lohnt sich wirklich, die Keule zu zerlegen oder direkt beim Kauf beim Fleischer oder Wildhändler des Vertrauens zerlegen zu lassen. Teile, die von Sehnen durchzogen sind, wie die beiden Nüsse, werden geschmort; Ober- und Unterschale und das falsche Filet hingegen eignen sich perfekt für Kurzgebratenes.“
Ohnehin sind vor allem die Schulter und der Nacken vom Reh, Hirsch oder Schwarzkittel das ideale Wild-Schmorgericht. Und „ohne Einbußen an Qualität und Geschmack das günstigste“, fügt Fuhrwerk an. Gleichermaßen lassen sich Ober- und Unterschale „wunderbar rosa braten. Das ist ebenso gut wie ein Rehrücken, aber nicht so hochpreisig.“
Schulterfleisch, die im Vergleich zur Schale deutlich kleineren Nüsse, das Fleisch von der Haxe oder jedwede Enden taugen überdies bestens für einen Wildgulasch. Zum Beispiel einen à la Fuhrwerk, Rezept siehe unten. Wer indes partout die Keule schwingen will, für den hat der Küchenchef ebenfalls einen Tipp:
„Selbst die komplette Keule lässt sich rosa servieren. Dafür muss man sie hohl auslösen, also den Knochen mit einem spitzen Messer vorsichtig entfernen, ohne das Fleisch zu sehr zu zerschneiden. Anschließend wird die Keule wie ein Rollbraten gebunden, in der Pfanne oder in der Kasserolle angebraten und bei mindestens 120 bis 130 Grad Ober- und Unterhitze im Ofen gegart, bis die Kerntemperatur 52 Grad beträgt – am besten auf einem Gitter, damit die Wärme gleichmäßig einwirken kann.
Übrigens: Wildfleisch eignet sich nicht fürs Niedertemperaturgaren, weil das Fleisch dadurch mehlig werden kann.“
Die Drei von der Ole Liese
Sternekoch Volker M. Fuhrwerk (l.) mit dem Betreiber-Ehepaar Birthe und Oliver Domnick.
(Foto: Michael F. Basche)
Der Nährwert von Wildfleisch ist hoch. Als völlig naturbelassenes, mageres und fettarmes Produkt hat es fast doppelt so viel Protein wie Schweinefleisch; sein Eiweißgehalt unterstützt auf ideale Weise den menschlichen Eiweißhaushalt. Die feine Muskelfaserung und der geringe Bindegewebsanteil machen es außerdem leicht verdaulich.
Es muss nicht, wie zum Beispiel Rindfleisch, sehr lange abhängen und reifen – allein schon bedingt durch die vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Kühltemperaturen –, damit sich das zähe Bindegewebe durch die Arbeit der im Fleisch enthaltenen Enzyme sowie durch bakterielle Stoffwechselkomponenten wie Milchsäure in Gelatine verwandelt. Experte Fuhrwerk rät beim Kauf von Wildbret dennoch zum Dialog mit dem Metzger:
„Wir nehmen für unsere Küche nur Einzelstücke, kein Wild, das bei Treib- oder Drückjagden gefallen ist. Durch die Anstrengung und den Stress der Flucht übersäuert die Muskulatur. Dann kommt es vor, dass ein rosa gebratener Rehrücken die Konsistenz von Leberwurst hat. Das ist zwar nicht schädlich, jedoch wenig ansehnlich. Daher sollte man beim Kauf zumindest fragen, ob der Händler weiß, wie das Tier erlegt wurde.“
Marinieren ist überflüssig
Zuguterletzt noch eine Bemerkung zum allseits beliebten Marinieren der Bratenstücke, für Fuhrwerk völlig überflüssig:
„Früher hat man das Fleisch in Ermangelung von Kühlmöglichkeiten mariniert, um die Haltbarkeit zu erhöhen. Außerdem, um das Fleisch mürbe zu machen und ihm nach zu langem oder zu warmem Abhängen den strengen Wildgeruch, den Hautgout, zu nehmen: mit Buttermilch, Rotwein oder gar Früchten, weil Milch- bzw. Fruchtsäure die Muskelfasern aufbricht, die Proteinstrukturen (Kollagene) des Bindegewebes abbaut und das Fleisch dadurch zart wird. Ananas, das nur am Rande, kann Fleisch sogar förmlich in Brei verwandeln.
Bei Reh-, Dam- oder Rotwild ist Marinieren absolut nicht nötig; beim Wildschwein kommt‘s auf das Alter und vielleicht auf das Eigenaroma an. Fleisch vom Frischling oder vom Überläufer (einjähriges Tier) ist fast feiner und milder als das vom Reh und vom Hirsch und wird bei richtigem Garen auch ohne Marinade butterweich.“
Rezept von Volker M. Fuhrwerk: Wildgulasch, cremige Pilze, Holunderbeeren
Für den Wildgulasch: 800 g grob gewürfeltes Wildfleisch aus der Schulter (Reh, Hirsch, Wildschwein, nach Belieben) 800 g Schalotten, in Streifen geschnitten 400 ml Rotwein 200 ml roten Portwein 1 EL Quatre-épices (klassische Gewürzmischung aus weißem Pfeffer, getrocknetem Ingwer, Muskat und Gewürznelken) 50 g dunkle Schokolade (gern 70 Prozent Kakaoanteil) 100 g Butter Etwas Öl zum Anbraten des Fleischs sowie Thymian, Rosmarin und 2 angedrückte Knoblauchzehen Salz, Pfeffer Für die cremigen Waldpilze: 400 g gemischte geputzte Waldpilze (z. B. Steinpilze, Maronen, Pfifferlinge) 50 g geklärte Butter 150 ml Sahne 1 angedrückte Knoblauchzehe, Salz, Pfeffer, etwas Sherry, sofern vorhanden 1 EL geschnittene Petersilie und Schnittlauch Für die Holunderbeeren (statt der klassischen Birne mit Preiselbeeren): 100 g Holunderbeeren (TK-Ware) 150 ml roten Portwein 300 ml Rotwein 100 ml Apfelsaft 2 Nelken, 1 Kardamomkapsel, 1 Lorbeerblatt
Wildgulasch: Die Butter in einem Topf schmelzen. Die geschnittenen Schalotten hineingeben und solange anschwitzen, bis sie goldbraun sind. Währenddessen das Fleisch in einer großen Pfanne in etwas Pflanzenöl scharf von allen Seiten anbraten. Das Fleisch kann durchaus portionsweise angebraten werden, damit immer wenig Fleisch in der Pfanne ist und es die Chance hat, eine schöne Farbe anzunehmen. Die Kräuter und den Knoblauch jeweils beim Braten zugeben und am Ende wieder herausnehmen. Das gebratene Fleisch zu den goldbraunen Schalotten geben. Mit beiden Weinen ablöschen und bei niedriger Hitze langsam weich köcheln. Ggf. am Ende noch etwas Wasser zugeben. Wenn das Fleisch gar und der Kochsud eingedickt ist, Quatre-épices und Schokolade zugeben. Bei Bedarf mit Salz und Pfeffer abschmecken. Cremige Waldpilze: Die Butter in einer Pfanne erwärmen, darin die Pilze von allen Seiten anschwitzen. Den Knoblauch zugeben. Mit Salz und Pfeffer würzen und mit etwas Sherry ablöschen. Die Sahne zugeben, etwas reduzieren lassen. Die Kräuter unterheben. Holunderbeeren: Die Flüssigkeiten zusammen mit den Gewürzen um die Hälfte reduzieren. Die Reduktion auf die Holunderbeeren geben und ziehen lassen. Später die Holunderbeeren mit etwas Sud erwärmen.
Zum Wildgulasch passt Kartoffelstampf. Diesen ggf. als Nocken, im Servierring o. ä. auf dem vorgewärmten Teller anrichten; Gulasch, Waldpilze sowie Holunderbeeren entsprechend arrangieren und alles mit frischen Kräutern wie Kerbel, Vogelmiere, Portulak garnieren.
Als „Topfgucker“ schaut unser Autor Michael F. Basche in loser Folge Sterne- und Spitzenköchen über die Schulter und entlockt ihnen „Schmackhaftes“ – Wissenswertes, Hilfreiches, Inspirierendes – aus Küche und Keller.
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