Benachrichtigung aktivieren Dürfen wir Sie in Ihrem Browser über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts informieren? Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Fast geschafft Erlauben Sie handelsblatt.com Ihnen Benachrichtigungen zu schicken. Dies können Sie in der Meldung Ihres Browsers bestätigen.
Benachrichtigungen erfolgreich aktiviert Wir halten Sie ab sofort über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts auf dem Laufenden. Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Jetzt Aktivieren
Nein, danke

Buchrezension Braucht es einen starken Staat, um die Probleme unserer Zeit zu lösen?

Mariana Mazzucato gilt als die „furchterregendste Ökonomin der Welt“. Mit ihrer Forderung nach einem starken und smarten Staat trifft die Italienerin den Zeitgeist.
28.03.2021 - 10:14 Uhr 1 Kommentar
Die Ökonomin berät die linke US-Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez genauso wie Bill Gates oder den Papst. Quelle: TANIA/CONTRASTO/laif
Mariana Mazzucato

Die Ökonomin berät die linke US-Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez genauso wie Bill Gates oder den Papst.

(Foto: TANIA/CONTRASTO/laif)

Berlin Krisenzeiten sind immer auch Zeiten großer Ambitionen. Als die Sowjets 1957 mit ihrem Weltraumsatelliten Sputnik 1 Amerika herausforderten, rief der damalige US-Präsident John F. Kennedy seine Landsleute zu einer nationalen Kraftanstrengung auf und startete die Apollo-Mission zum Mond. Bis heute ist der „Moonshot“ Amerikas Vorbild dafür, dass man Unmögliches erreichen kann, wenn man seine Kräfte bündelt und auf ein gemeinsames Ziel ausrichtet.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nannte jüngst den klimafreundlichen Umbau Europas nach der Pandemie einen „Moonshot-Moment“. Der britische Premier Boris Johnson versprach 2020 unter dem Label „Operation Moonshot“ millionenfache Massentests, um das Coronavirus in den Griff zu bekommen. Und auch die vom Ex-US-Präsidenten Donald Trump initiierte Mission „Warp Speed“ zur Entwicklung eines Corona-Impfstoffs wird oft mit der Vision des „Moonshots“ von 1962 verglichen.

Die italienische Ökonomin Mariana Mazzucato hat ihrem neuen Buch bewusst den Titel „Mission Economy: A Moonshot Guide to Changing Capitalism“ (die deutsche Ausgabe „Mission: Auf dem Weg zu einer neuen Wirtschaft“ erscheint im Mai) gegeben, um deutlich zu machen, dass es ähnliche vom Staat initiierte Kraftanstrengungen der Wirtschaft braucht, wenn wir die drängendsten Probleme unserer Zeit wie etwa den Klimawandel oder die durch die Pandemie wieder größer gewordene Ungleichheit überwinden wollen.

„Um die Apollo-Mission durchzuführen“, schreibt die am University College London lehrende Professorin, „mussten Hunderte von komplexen Problemen gelöst werden. Einige Lösungen funktionierten, viele scheiterten. Alle entstanden aus einer engen Partnerschaft zwischen Regierung und Wirtschaft: einer Partnerschaft mit einem Ziel.“

Für die 52-jährige Italienerin ist es in den entscheidenden Momenten der Staat, der die großen Risiken nach dem Motto „whatever it takes“ übernimmt und so wirtschaftlichen und technologischen Fortschritt erst möglich macht. Mazzucato hat bereits in ihren beiden vorherigen Büchern „Das Kapital des Staates (2014) und „Wie kommt der Wert in die Welt“ (2019) gezeigt, dass insbesondere die bahnbrechenden Innovationen wie das Internet, GPS oder Spracherkennung oft nur die Welt verändern konnten, weil der Staat dazu früh mit seiner Grundlagenforschung Anstoß gegeben und Risiken geschultert hat.

Corona: Paradigmenwechsel in der Pandemie

Ohne Kennedys „Moonshot-Mission“, schreibt die Ökonomin, hätte es weder Computertomografie oder die enormen Fortschritte bei der Wärmeisolierung gegeben.

Der Staat ist für Mazzucato so etwas wie der unterschätzte und oft zu Unrecht kritisierte Pionier der wirtschaftlichen Entwicklung. Seit Jahren wirbt sie für eine Erneuerung einer lösungsorientierten Industriepolitik – nicht um die schöpferische Zerstörung der Wirtschaft zu bremsen oder gar aufzuhalten, sondern um sie dorthin zu lenken, wo sie für eine möglichst große Zahl von Menschen einen Nutzen mit sich bringt.

„Klare, dringende Mission.“ Quelle: imago images/Ralph Lueger
Teststation im Luftschiffhangar in Mülheim

„Klare, dringende Mission.“

(Foto: imago images/Ralph Lueger)

Die Coronakrise liefert dafür zahlreiche Beispiele: „Die Pandemie stellte eine klare, dringende Mission dar, die ihrerseits die Koordination des öffentlichen Sektors und Investitionen des privaten Sektors beflügelte“, schreibt Mazzucato in einem Aufsatz für „Project Syndicate“.

So sei der Oxford-Astra-Zeneca- Impfstoff nicht vom Himmel gefallen. „Er ist das Ergebnis geduldiger, viele Jahre (wenn nicht Jahrzehnte) langer Investitionen in Grundlagenforschung in einer ganzen Reihe von Bereichen.“ Weitere „Missionen“ für eine staatliche Industriepolitik sieht die Ökonomin zum Beispiel bei der Mobilität, der Säuberung der Weltmeere, im Kampf gegen Klimawandel und soziale Ungleichheit sowie bei der Energiewende.

Amerikas „Moonshot“ zeigte, dass man Unmögliches erreichen kann, wenn man seine Kräfte bündelt. Quelle: dpa
Mondlandung

Amerikas „Moonshot“ zeigte, dass man Unmögliches erreichen kann, wenn man seine Kräfte bündelt.

(Foto: dpa)

Mazzucatos Thesen fallen im Moment also auf fruchtbaren Boden. „Lange wurde es als peinlich angesehen, wenn jemand für Industriepolitik eintritt. Jetzt sollte es als etwas nahezu Selbstverständliches gelten“, schreibt Jake Sullivan, Nationaler Sicherheitsberater der USA und einer der engsten Vertrauten von US-Präsident Joe Biden.

Das war durchaus nicht immer so. Die Londoner „Times“ bezeichnete Mazzucato wegen ihrer Staatsgläubigkeit 2017 noch als die „furchterregendste Ökonomin der Welt“, was der selbstbewussten Italienerin durchaus gefällt. „Ich lasse das auf meine Buchcover drucken, weil ich es lustig finde“, sagte Mazzucato in einem Podcast mit der „New York Times“.

Auch Deutschland hat zur Industriepolitik ein zwiespältiges Verhältnis: „Die Deutschen betreiben seit langer Zeit eine Industriepolitik. Man hat nur nicht darüber geredet, weil es eine Art Blasphemie war“, konstatierte Mazzucato in einem Handelsblatt-Gespräch 2019. Inzwischen hat sich der Wind auch hierzulande gedreht.

Schlagwörter wie „European Champions“ oder „digitaler Airbus“ gehören inzwischen zum Standardvokabular von Politikern wie Wirtschaftsminister Peter Altmaier, die fürchten, Deutschland laufe Gefahr, vom digitalen Fortschritt abgehängt zu werden. Der CDU-Politiker, der sich gern als geistiger Erbe Ludwig Erhards sieht, betreibt Wirtschaftspolitik heute ganz offen unter dem Label „Industriestrategie 2030“.

Für ein Comeback des Staates in der Wirtschaftspolitik der großen Volkswirtschaften hat aber erst die Coronakrise gesorgt. Das fast zwei Billionen Dollar schwere Konjunkturpaket des neuen US-Präsidenten Joe Biden ist dafür ebenso ein Beispiel wie der 750 Milliarden Euro große Wiederaufbaufonds der EU. Kein Wunder also, dass Mazzucato heute eine gefragte Gesprächspartnerin für viele Politiker geworden ist.

Mariana Mazzucato: Mission Economy. A Moonshot Guide to Changing Capitalism.
Allen Lane
London 2021
272 Seiten
22,49 Euro
Die Deutsche Ausgabe erscheint am 19. Mai im Campus Verlag.

Angst vor ideologischen Barrieren hat sie dabei nicht, sie berät die linke US-Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez genauso wie Bill Gates oder den Papst. US-Präsident Biden hatte sie sogar auf seiner Kandidatinnenliste für das Amt des Wirtschaftsministers.

Unter dem Eindruck der Pandemie erscheint Mazzucatos Ruf nach dem staatlichen Pionierunternehmer kaum umstritten. Doch selbst in dieser Krise sind die Ergebnisse einer missionarischen Wirtschaftspolitik durchaus gemischt. Trumps Anschubhilfe für die schnelle Entwicklung von Impfstoffen war ein großer Erfolg, Johnsons „Operation Moonshot“ zur Massentestung war dagegen ein Reinfall.

Ob die Ökonomin mit ihrer Prämisse recht behält, dass der Staat oft weitsichtiger und risikofreudiger agiert als private Unternehmen, hängt also auch davon ab, wie kompetent die jeweilige Regierung ist. Die Annahme, der Staat agiere stets im öffentlichen Interesse, hält den Erkenntnissen der politischen Ökonomie jedenfalls nicht stand.

Voraussetzung für den Erfolg staatlicher Industriepolitik ist außerdem, dass ihre Mission so klar definiert wird, dass die Ressourcen zielgerichtet eingesetzt werden können und ein Erfolg messbar ist. Beim Apollo-Projekt der USA war das der Fall, bei der deutschen Energiewende nicht.

Eine Vision – wie die Abkehr von der Atomkraft– reicht eben nicht aus. Auch technologische und energiewirtschaftliche Schritte sowie der Zeithorizont müssen klar definiert werden, um eine solche Mission zum Erfolg zu führen.

Mariana Mazzucato sieht Staat als Pionierunternehmer

Weiter gestritten werden dürfte über die Frage, ob Basisinnovationen besser vom Staat angestoßen und begleitet werden oder ob nicht eher die Trial-an-Error-Methode des Wettbewerbs der erfolgreichere Innovationsmotor ist. Mazzucato hat recht, wenn sie darauf hinweist, dass in vielen technischen Wunderdingen, die heute aus dem Silicon Valley oder aus den Laboren von Big Pharma kommen, viel staatliche Grundlagenforschung und Risikobereitschaft steckt. Selbst der Star-Innovateur Elon Musk habe staatliche Hilfen in Höhe von fünf Milliarden Dollar bekommen.

Andererseits bleibt der Wettbewerb bislang das beste Entdeckungsverfahren, das wir kennen. Ein Härtetest für diese inzwischen jahrhundertealte Erfahrung allerdings läuft gerade in China, wo Staatschef Xi Jinping mit seiner Mission „Made in China 2025“ einen industriellen Masterplan mit konkreten Zielen für zehn Zukunftstechnologien verfolgt, um sein Reich zur wirtschaftlichen Supermacht zu führen.

Mehr: Gastkommentar: Mehr Markt, weniger Staat im Kampf gegen Corona

Startseite
Mehr zu: Buchrezension - Braucht es einen starken Staat, um die Probleme unserer Zeit zu lösen?
1 Kommentar zu "Buchrezension: Braucht es einen starken Staat, um die Probleme unserer Zeit zu lösen?"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • Der entscheidende Unterschied ist, dass die Appollo-Mission "nur" Steuergelder kostete. Für aktuellen Moonshot-Projekte sollen aber daneben auch Bürgerrechte beschnitten werden. Ich habe zur Zeit der Apollo-Missionen noch nicht gelebt, geschweige denn Zeitung gelesen. Aber ich wette, es wurde damals eine lebhaftere Diskussion darüber geführt, ob der Kosten-Nutzen-Effekt stimmt und es wurde nicht versucht, jeden Missions-Gegner unabhängig von seinen Argumenten gesellschaftsunfähig zu machen.

Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%