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Buchrezension Warum kein Land gegen autoritäre Strömungen gewappnet ist

Jede Demokratie ist anfällig für den Aufstieg autoritärer Regime, warnt die Pulitzer-Preisträgerin Anne Applebaum. Verschwörungstheorien seien das mächtigste Instrument unserer Zeit.
14.03.2021 - 12:30 Uhr Kommentieren
Barack Obama wählte die englische Ausgabe ihres neuen Werks unter seine Lieblingsbücher des vergangenen Jahres. Quelle: Getty Images
Anne Applebaum

Barack Obama wählte die englische Ausgabe ihres neuen Werks unter seine Lieblingsbücher des vergangenen Jahres.

(Foto: Getty Images)

Washington Wenn Anne Applebaum an unbeschwerte Zeiten denkt, kommt ihr eine Party in den Sinn. Zum Anbruch des Jahrtausends hatte sie zu einer Silvesterfeier in ihr Landhaus geladen. Der Beitritt ihrer Wahlheimat Polen in die EU stand kurz bevor, Hoffnungen auf eine westliche Zukunft lagen in der Luft. „Es schien, als säßen wir alle in einem Boot. Wir waren uns einig über die Demokratie, den Weg zum Wohlstand und die generelle Richtung“, erinnert sich die Autorin.

Zwanzig Jahre später hat sie mit einigen der Gäste, die damals auf der Party waren, nichts mehr zu tun. „Sie würden umgekehrt keinen Fuß mehr über meine Schwelle setzen und sich gar schämen zuzugeben, dass sie damals mit uns gefeiert haben.“ Die einstigen Freunde, die Applebaum meint, haben das Vertrauen in die Demokratie verloren, brennen für nationalistische Parteien und rechte Bewegungen.

Wahrscheinlich hat jeder, der das demokratische System grundsätzlich unterstützt, ähnliche Erfahrungen gemacht. Applebaum untersucht diese wachsende Kluft präzise in ihrem Buch „Die Verlockung des Autoritären“. Die 56-jährige amerikanische Historikerin ist für ihre exzellenten Publikationen zur Zeitgeschichte bekannt. 2004 erhielt sie für „Gulag“ die höchste journalistische Auszeichnung, den Pulitzerpreis.

Ihr neues Buch ist eine Mischung aus politischer Analyse, gesellschaftlicher Beobachtung und Memoiren. Applebaum setzt sich damit von vielen Büchern mit ähnlicher Thematik ab. In Deutschland wurden der Aufstieg der AfD und das „Wutbürgertum“ nach der Flüchtlingskrise beschrieben, in den USA versuchte „Hillbilly Elegy“, die Sogkraft von Donald Trump in ländlichen Regionen zu erklären. Applebaums Buch ist als internationaler Rundblick angelegt. Sie blickt nach Ungarn, Großbritannien, Spanien, Griechenland und über den Atlantik.

Aus Applebaums Sicht sind autoritäre Strömungen kein vorübergehendes Phänomen, sondern breiten sich immer weiter aus. Dass kein Land, so fortschrittlich es sich selbst auch sehen mag, gegen autoritäre Strömungen gewappnet ist, ist eine ihrer Hauptthesen. Applebaum glaubt, dass die üblichen Erklärungen für rechtsgerichtete Rebellion zu kurz greifen. Wirtschaftliche Not, Angst vor Terrorismus und Einwanderern, das seien nur oberflächliche Gründe.

Anne Applebaum: Die Verlockung des Autoritären.
Siedler
München 2021
208 Seiten
22 Euro

Eine bahnbrechende neue Erklärung liefert auch Applebaum nicht, aber sie steigt tief in eine Entwicklung ein, die andere Bücher häufig nur streifen. Denn für sie sind Verschwörungstheorien keine Spinner-Ideen von Randgruppen, sondern das mächtigste – und gefährlichste – Instrument unserer Zeit. Lügenkampagnen, argumentiert sie, seien kombiniert mit einer fast grenzenlosen digitalen Macht das Feuer, das Skepsis in Hass verwandelt.

Die Vergangenheit gibt Applebaum recht. So begeisterte Trump lange vor seinem Einstieg in die Politik Anhänger, weil er die amerikanische Staatsbürgerschaft von Barack Obama leugnete. In Polen wuchsen nationalistische Bewegungen auf dem Fundament der Verschwörungstheorien um den Flugzeugabsturz von Smolensk, bei dem Präsident Lech Kaczynski ums Leben kam.

Am Ende, konstatiert Applebaum, sei die Faszination von Verschwörungstheorien menschlich. „Sie sind emotional ansprechend, weil sie einfach sind. Sie bieten Erklärungen für komplexe Phänomene, Veränderungen und Zufälle und vermitteln dem Gläubigen das befriedigende Gefühl, einen privilegierten Zugang zur Wahrheit zu haben.“

Auf den ersten Blick ist es ein Schwachpunkt, dass ein Massenphänomen einmal mehr aus einer elitären Perspektive untersucht wird. Schließlich ist Applebaum Teil eines privilegierten Zirkels, ist hervorragend international vernetzt und verheiratet mit dem früheren polnischen Minister Radek Sikorski. Doch sie nimmt die Mächtigen in Wirtschaft, Politik und Medien hart in die Kritik und macht sie direkt für den Vertrauensverlust verantwortlich.

Kein Regime, schreibt sie, könne ohne Intellektuelle und Strippenzieher aufsteigen. „Autokraten brauchen Leute, die Unruhen anzetteln (...). Aber daneben brauchen sie auch Leute, die den Jargon der Juristen beherrschen und Rechts- und Verfassungsbruch als Gebot der Stunde verkaufen können.“

Mehr: Debattenbuch: Ist der Nationalismus zu unrecht in Verruf geraten?

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