Managementliteratur Führungserfahrungen aus den höchsten Schaltstellen in Politik und Wirtschaft

„Wir haben beide Freude am Schreiben. Wir möchten unsere Führungserfahrungen einfach gerne teilen.“
Düsseldorf Was haben ein ehemaliger Topmanager und ein früherer Bundesminister gemeinsam? Sie haben jahrelang Menschen geführt und Entscheidungen getroffen, der eine in der Wirtschaft, der andere in der Politik. Dass sie sich deshalb im besten Sinne des Wortes nichts zu sagen haben und aneinander vorbeireden oder schlecht übereinander sprechen, dafür gibt es genug Beispiele.
Bei Karl-Ludwig Kley (66) und Thomas de Maizière (69) war und ist das allem Anschein nach anders.
Der frühere Topmanager und aktuelle Multiaufsichtsrat Kley (Lufthansa, Eon, BMW) sowie der langjährige Bundesminister de Maizière (CDU) kennen sich seit Jahrzehnten und sind freundschaftlich miteinander verbunden. Kley ist mit de Maizières Ehefrau Martina sogar verwandt. „Wir haben schon oft miteinander diskutiert, mal erregt, mal verständnisvoll, warum die Politik schon wieder die Notwendigkeiten wirtschaftlicher Vernunft aus den Augen verloren hat oder warum Unternehmen zwar einerseits den Staat am liebsten aus allem heraushalten wollen, andererseits aber die Ersten sind, die laut nach Subventionen rufen, wenn es opportun erscheint“, berichtet Kley im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Bei einem Spaziergang im Frühsommer 2019 im toskanischen Lucca, wo die Familien gern gemeinsam Urlaub verbringen, sei schließlich die Idee entstanden, zusammen ein Buch über Führung zu verfassen. Der Plan: „Wir schreiben einen zwar subjektiven, aber doch verallgemeinerungsfähigen Erfahrungsbericht über Führung in Politik und Wirtschaft“, erzählt Kley.
Die Intention dahinter: beide Sphären näher zusammenbringen. „Ein Ansatz, der durch die Coronakrise noch dringlicher geworden ist“, resümiert Kley knapp zwei Jahre später mit dem gedruckten Buch in der Hand. Weiter sagt er: Wenn Politiker und Manager etwa bei der Impfstoffbestellung mehr Verständnis füreinander gehabt hätten, wäre sie sicher konfliktfreier und reibungsloser abgelaufen.
Ein besseres Miteinander von politischer und wirtschaftlicher Führungselite in Deutschland sei heute wichtiger denn je. „Die Coronakrise stellt uns vor gemeinsame Herausforderungen.“
Gesagt und geschrieben. Herausgekommen ist ein lesenswerter Bericht aus dem Inneren der höchsten Schaltstellen in Politik und Wirtschaft, der Bundespolitik in Verteidigungs- und Innenministerium und der CDU-Parteispitze sowie der Führungsetagen der Dax-Konzerne Merck, Lufthansa, Bayer, Eon und BMW. Der erste Teil stammt von de Maizière, der zweite Teil von Kley. Im dritten Kapitel führen sie ihre Erkenntnisse über Gemeinsamkeiten und Differenzen zusammen.
„Drahtseilakt, der aus Sicht der Lufthansa nicht wirklich gut gelungen ist“
Brandaktuell ist das Buch in Bezug auf die Rettung der durch die Coronakrise in Turbulenzen geratenen Fluggesellschaft Lufthansa, an der Kley als Aufsichtsratsvorsitzender in den vergangenen Monaten maßgeblich beteiligt war. Kley beschreibt sie als „Drahtseilakt, der aus Sicht der Lufthansa auch nicht wirklich gut gelungen ist“. Zu viele verschiedene Interessen aus Politik und Wirtschaft hätten sich gegenseitig behindert. Kley resümiert: „Der Prozess [der Lufthansa-Rettung] ist aber ein gutes Beispiel dafür, wie Grenzen letztlich nur dann überwunden werden können, wenn man in der Lage ist, sich auf andere wirklich einzulassen und ihre tatsächlichen Beweggründe zu verstehen.“
„Die Kunst des guten Führens. Macht in Wirtschaft und Politik“ ist damit kein Lehrbuch, es ist ein sehr praktisches Buch, das vor allem auch jüngeren Führungskräften Orientierung geben soll. Kley wie de Maizière schildern ihre Führungserfahrungen auf grundlegende und vergleichende Art und Weise.
So beschreibt de Maizière, wie Posten in der Politik verteilt werden. „Die Personalauswahl ist in der Politik Chefsache. Und jeder Spitzenpolitiker hat Namen von Persönlichkeiten in eine Art Notizbuch virtuell oder tatsächlich eingetragen. [...] In ein solches Notizbuch zu gelangen, das ist eine Mischung aus Leistung, Glück und Zeitpunkt.“ Headhunter gäbe es für Spitzenjobs in der Politik – anders als in der Wirtschaft – keine.
Bei seinen Schilderungen wird de Maizière bisweilen auch persönlich. So beschreibt er, wie er zu seinem ersten Spitzenposten in Berlin kam. „Angel Merkel ist dafür bekannt, die Öffentlichkeit bei Personalentscheidungen zu überraschen. So war es auch in meinem Fall, als sie mich 2005 zum Chef des Bundeskanzleramts machte. Die meisten hatten mit Norbert Röttgen gerechnet. Dabei hatte sie [...] zuerst den CSU-Politiker Erwin Huber im Auge und dann mich.“

Auch bei der Lufthansa-Rettung hätten zu viele verschiedene Interessen aus Politik und Wirtschaft sich gegenseitig behindert, sagt Karl-Ludwig Kley.
An anderer Stelle schildert de Maizière, wie und warum er zu seinem eher harten Führungsstil gefunden hat. „Politische Führung bedeutet, unangenehme Entscheidungen so früh wie möglich zu treffen und nicht aufzuschieben. [...] Je weicher und unentschiedener ein Chef zu Beginn seiner Amtszeit ist, als umso härter werden seine Entscheidungen empfunden, wenn sie spät fallen. Meine Erfahrung ist: lieber früh zu hart als zu weich.“
Während de Maizières Schreibstil eher sachlich und nüchtern ist, schreibt Kley, der mit seinen Mandaten der wohl einflussreichste Aufsichtsrat der deutschen Wirtschaft ist, etwas bunter. Bei ihm geht es um die „eierlegende Wollmilchsau“, die bei Vorstandsbesetzungen häufig gesucht werde, er beschreibt Momente, in denen ein Vorstand „gezwungen ist, auf den Tisch zu hauen und einen Konflikt eher rustikal zu bewältigen“, und er schildert „die Tradition des sogenannten Lebkuchen-Termins“ bei Eon, bei dem sich seit Jahrzehnten der Vorstand und der Aufsichtsratsvorsitzende am Jahresende zu einem Abendessen im privaten Rahmen treffen, „bei dem das Jahr resümiert und die Ziele für die kommende Periode in der Gruppe diskutiert werden“.
Bisweilen nutzt Kley auch Ausflüge in andere Lebensbereiche, um Sachverhalte verständlich zu machen. So beschreibt er mithilfe des Pferdewettsports, inwiefern man sich als Topmanager auch „totanalysieren“ kann. Wie beim Galopprennen steige auch im Topmanagement ab einem gewissen Zeitpunkt die Erfolgswahrscheinlichkeit nicht mehr durch mehr Informationen. Die Nachfrage nach weiteren Daten sei manches Mal nichts anderes als „der fehlende Mut zur Entscheidung“, schreibt Kley.
„Anstoß zu einer Auseinandersetzung mit sich selbst als Führungspersönlichkeit“
Vor allem Kley spart dabei auch nicht mit Selbstkritik. Seine Zeit als Finanzvorstand bei der Lufthansa (1998 – 2006), in der sich der einstige Staatskonzern stark wandeln musste, resümiert er etwa so: „Im Rückblick hätte ich versuchen müssen, weniger konfrontativ auf die Veränderungen hinzuwirken, stärker Teil der Lufthansa-Familie zu werden, mehr Respekt für die erreichten Veränderungen zu zeigen, anstatt ungeduldig ständig auf dem Gaspedal zu stehen.“
Und in puncto Mitarbeiterführung kommt er zu dem Schluss, und dieser klingt fast wie eine Entschuldigung: „Auch Führungskräfte müssen geführt werden. [...] Mitarbeiterführung bedeutet [aber] viel Zeitaufwand. Wahrscheinlich tun sich alle Vorstände deshalb schwer damit, ihren direkten Mitarbeitern genügend Zeit und Aufmerksamkeit zu widmen. Hauptsache, es funktioniert alles. Ich war da auch nicht immer Vorbild.“
Bei aller Rückschau und Selbstkritik – ein autobiografischer Abriss oder gar eine Art Abschiedsrede soll das Buch nicht sein. „Wir haben beide Freude am Schreiben. Wir möchten unsere Führungserfahrungen einfach gern teilen“, sagt Kley. Insgesamt sei das Buch ein „Anstoß“ zu einer aktiven Auseinandersetzung mit sich selbst als Führungspersönlichkeit und einem größeren Miteinander der Führungskräfte einer Gesellschaft untereinander zu verstehen. „Wir sind der festen Auffassung, dass es mehr Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten beim erfolgreichen Führen in Politik und Wirtschaft geben könnte und müsste, als viele Beteiligte sich heute vorstellen können“, schreiben die beiden promovierten Juristen in ihrem Fazit.

Karl-Ludwig Kley, Thomas de Maizière: Die Kunst des guten Führens. Macht in Wirtschaft und Politik.
Herder
Freiburg 2021
288 Seiten
25 Euro
In ihrem gemeinsamen Abschlusskapitel finden Kley und de Maizière auch stilistisch zusammen. Es ist ein auf den Punkt gebrachter Abriss ihrer Schilderungen. Sie zeigen auf, inwiefern in Politik und Wirtschaft sehr unterschiedlich geführt wird. So sei Fachwissen für Führungspositionen in der Wirtschaft deutlich wichtiger als für solche in der Politik. Oder: Krisenvorsorge und Krisenbewältigung seien in der Wirtschaft deutlich institutionalisierter und ausgeprägter als in der Politik, weil man damit keine Wählerstimmen gewinne. Gemeinsamkeiten finden Kley und de Maizière vor allem auch im Führungsverhalten und -anspruch: „Zur Führung in Wirtschaft und Politik gehört ein hohes Maß an Selbstdisziplin, Selbstvertrauen und Distanz zu sich selbst. Wir nennen das Selbstführung.“
Den Abschluss bilden: „Unsere zehn Goldenen Regeln guter Führung“. Dazu gehören etwa folgende Überzeugungen: „Gut führen kann nur, wer Menschen mag.“ „Gut führen bedeutet, das Bestehende zu verändern.“ Oder: „Gut führt nur, wer sich vom Beruf nicht auffressen lässt.“
Für Kley ist es das zweite Buch, für de Maizière das dritte. Kley schrieb schon 2014 in seiner Zeit als Vorstandschef des Pharmakonzerns Merck das Werk „Deutschland braucht Chemie“, und de Maizière 2013 das Buch „Damit der Staat den Menschen dient“ und 2017 den „Spiegel“-Bestseller über das „Regieren“, in dem er – so der Untertitel – „Innenansichten der Politik“ liefert. Und dabei wird es wohl nicht bleiben. Kley jedenfalls verspricht: „Dieses war hoffentlich auch nicht unser letztes Buch.“
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