Rezension: Hitze, Dürren, Sturzfluten: Wie sich eine Heißzeit noch abwenden lässt
Aufgrund der anhaltenden Hitze gleicht der Rhein stellenweise nur noch einem Rinnsal. Laut dem Weltklimarat hat sich die Erde im Vergleich zum späten 19. Jahrhundert bereits um 1,1 Grad erwärmt.
Foto: IMAGO/Rüdiger WölkMünchen . Spanischen Bauern verbrennt die Ernte, in Deutschland rufen Gemeinden den Trinkwassernotstand aus, der Rhein verkommt in Teilen zu einem Rinnsal, vor allem Alte und chronisch Kranke kollabieren. So sieht er aus, der Sommer 2022.
Die heute auf der Erde herrschenden Temperaturen sind höher als während der gesamten Zivilisationsgeschichte der Menschheit – und der Sachverstand von vielen Hundert Wissenschaftlern weist darauf hin, dass es dabei nicht bleibt. Laut dem Weltklimarat (IPCC) hat sich die Erde im Vergleich zum späten 19. Jahrhundert bereits um 1,1 Grad erwärmt.
Und aus dem dritten IPCC-Sachstandsbericht von April geht hervor, dass die angekündigten Reduktionsmaßnahmen der Weltgemeinschaft nicht reichen, um das 1,5-Grad-Ziel zu schaffen. Selbst eine Begrenzung auf zwei Grad ist in Gefahr.
Wie ein Weckruf liest sich daher der vom ehemaligen Chef des Kaufhauskonzerns Metro herausgegebene Sammelband „3 Grad mehr“. Darin beschreiben neben Klaus Wiegandt 18 weitere Autorinnen und Autoren, darunter die Soziologin Jutta Allmendinger und die Klimawissenschaftler Hans Joachim Schellnhuber und Stefan Rahmstorf, wie eine solche „Heißzeit“ aussehen würde und was sich dagegen unternehmen lässt.
„Ohne sofortige, entschiedene Klimaschutzmaßnahmen könnten bereits meine Kinder, die derzeit das Gymnasium besuchen, eine drei Grad wärmere Welt erleben“, schreibt Rahmstorf, der beim Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) die Abteilung Erdsystemanalyse leitet.
Der Beitrag des habilitierten Physikers, der weltweit zu den Führenden seines Fachs zählt, ist nichts für schwache Nerven. Da sich Temperaturen an Land doppelt so rasch erwärmen, würde allein in Deutschland das Thermometer bei einem um drei Grad höheren globalen Mittelwert um sechs Grad klettern, Berlin wäre heißer als Madrid.
Schon der Jahrhundertsommer 2003 hat in Europa 70.000 Hitzetote gefordert. Kaum auszudenken, was Temperaturen ab 45 Grad für den menschlichen Organismus bedeuten würden. Maßgeblich ist die Kühlgrenztemperatur. Durch Schwitzen kann der Körper nur dann ausreichend Wärme an die Umgebung abgeben, wenn die Kühlgrenztemperatur deutlich unterhalb der Hauttemperatur liegt.
Diese beträgt idealerweise rund 33 Grad. „Selbst für gesunde Menschen kann eine Kühlgrenztemperatur von 35 Grad bei einer Lufttemperatur von 40 Grad nach einigen Stunden tödlich verlaufen“, schreibt Rahmstorf.
Drei Grad mehr bedeuten je nach Region außerdem mehr Dürren und Extremniederschläge, da in einem wärmeren Klima mehr Wasser aus Luft, Böden und Meeren verdunstet und sich in sintflutartigen Regengüssen entladen kann. Der Mittelmeerraum, der Mittlere Westen der USA, Südafrika und Australien würden zunehmend austrocknen. Fällt in den großen Kornkammern der Erde durch Dürre die Ernte aus, drohten zudem Hungersnöte.
Ein Nährboden für Gewalt. Nicht zuletzt habe sich der Arabische Frühling auch an höheren Brotpreisen entzündet, schreibt Rahmstorf. Mit Blick auf seine Kinder quält er sich durch seinen dystopischen Text: Monsterstürme, brennende Wälder, versauerte Ozeane, tödliche Hitzewellen, Meere, die Küstenstreifen verschlucken. Failed States und Massen von Menschen auf der Flucht.
Wie ein Ausweg aussehen könnte
Im Sammelband beschreiben die Autoren naturbasierte Lösungen wie die Wiedervernässung von Mooren, um CO2 zu speichern, ein sofortiges Ende der Regenwaldabholzung und Aufforstung. Dazu eine „mobilisierte Zivilgesellschaft“. Doch kann sie schnell genug das nötige Momentum erzeugen und Interessenkonflikte etwa mit Landwirten überwinden?
Dafür brauche es die richtigen Anreize, so lautet der gängige Therapievorschlag aus der Ökonomie. Der Volkswirt Achim Wambach gibt mit dem Titel seines Buches „Klima muss sich lohnen“ die Marschroute vor.
Und die liegt erwartbar weit entfernt von Appellen, Verboten und gut gemeinten Versuchen, den individuellen CO2-Fußabdruck zu reduzieren. Viele Klimaschutzmaßnahmen mögen zwar sinnvoll klingen, bringen aber dem Klima wenig.
Verschmutzung muss für alle teuer sein, sonst verlagert sich das Problem nur. Wie das Wasser in einem Wasserbett, in dem nur eine Seite belastet wird. Es sind für Wambach die unerkannten „Wasserbetteffekte“, die diverse Klimamaßnahmen wirkungslos machen. Auf rund 160 Seiten klopft Wambach die Klimapolitik von Gemeinden, Bund, EU und innerhalb der internationalen Beziehungen auf solche Effekte ab.
Wambachs Kernaussage: Wenn „im Hintergrund“ Märkte wie der europäische Handel mit Zertifikaten (für Emissionen aus Stromerzeugung, der energieintensiven Industrie und dem innereuropäischen Flugverkehr) oder der deutsche CO2-Emissionshandel (für Gebäude und Verkehr) wirkten, brächten zusätzliche CO2-Einsparungen auf lokaler oder individueller Ebene keinen Klimanutzen.
Etwa, sich eine Photovoltaikanlage aufs Dach zu montieren. Denn wer Grünstrom beziehe, verbrauche auch weniger fossilen Strom. Konventionelle Energieproduzenten benötigten dann im europäischen Emissionshandel weniger CO2-Zertifikate, die dann wieder anderen Emittenten zur Verfügung stünden. Ein Nullsummenspiel.
Die Anzahl der Zertifikate sei bereits auf die europäischen Einsparziele abgestimmt. Lohnt sich eine kleine Solaranlage indes wegen hoher Strompreise finanziell, rät der Ökonom dennoch zu einer Installation. Auch ohne Klimanutzen.
Der Verzicht auf innereuropäische Flugreisen spare ebenfalls kein zusätzliches CO2 ein, so lautet eine weitere überraschende Erkenntnis. Denn auch Flüge in Europa sind bereits im europäischen Emissionshandel erfasst.
Aus Wambachs Sicht ist der Emissionshandel das wirksamste Instrument gegen den Klimawandel. Als Beispiel nennt er Großbritannien, dem der Kohleausstieg allein über hohe CO2-Preise gelungen sei. Das klingt stimmig. Doch der alleinige Fokus auf den Emissionswandel hat auch Schwächen, das findet jedenfalls der Umweltökonom Felix Matthes,
Forschungskoordinator Energie- und Klimapolitik beim Ökoinstitut. Demnach verhindere der Emissionshandel über seinen Preismechanismus zwar Verschmutzung, er reize aber nicht schnell genug die nötigen Investitionen in erneuerbare Energien an.
Wambachs Perspektive übersehe „Markteintrittsbarrieren“ und dass der Bau neuer Energieinfrastrukturen politische Gestaltung und Subventionen benötige. So habe sich Großbritannien nur auf Kosten einer starken Gasabhängigkeit im Stromsektor von der Kohle lossagen können. Bei den Erneuerbaren hinke das Königreich Deutschland hinterher.
Dass Regel- und Akteursebene für echten Klimanutzen miteinander konsistent sein müssen, ist dennoch eine wertvolle Erkenntnis. Genau wie der „Klimaclub“ als Antwort auf steigende globale Emissionen. Relevante Weltregionen würden sich darin einem einheitlichen CO2-Preis unterwerfen – und von Nichtmitgliedern Klimazölle verlangen.
Wambach hat recht, wenn er davor warnt, bei den CO2-Emissionen allein auf Deutschland oder die EU zu setzen. Das werde nicht reichen, um das 1,5-Grad-Ziel zu retten. Dass globale Wasserbett lässt grüßen und bestraft wirkungslosen Aktionismus.
Ohnehin hätten Kommunen mit Klima-Anpassung und Katastrophen-Prävention genug zu tun. „Dreitausend Häuser wurden bei der Flutkatastrophe 2021 von der Ahr überschwemmt, ihre Keller mit Schlamm gefüllt, ihre Gärten mit giftigem Schlick bedeckt, manche ihrer Bewohnerinnen und Bewohner sind ertrunken.“
Meterhoch türmen sich wenige Tage nach der Flutkatastrophe Wohnwagen, Gastanks, Bäume und Schrott an einer Brücke über die Ahr in Altenahr-Kreuzberg.
Foto: dpaTrotzdem konstatieren die Journalistinnen Susanne Götze und Annika Joeres in ihrer akribischen Buchrecherche „Klima außer Kontrolle“, die auch „Behörden außer Kontrolle“ heißen könnte, dass Entscheider die nötigen Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung fahrlässig unterlassen.
Trotz aller Anzeichen habe sich „Deutschland nicht auf die Klimakrise vorbereitet“, schreiben die Autorinnen. So würden im Ahrtal Gebäude dem Tourismus zuliebe wieder genauso nah am Fluss errichtet wie vor der Flut, es fehlten Notfallpläne für Hitzewochen, konkrete Schutzvorkehrungen für Stromengpässe kritischer Infrastrukturen wie Krankenhäuser.
Und das, obwohl während der Ahrtal-Fluten Patienten wegen einer instabilen Stromversorgung aus Spitälern evakuiert werden mussten. Die Liste der Versäumnisse ließe sich verlängern.
Doch die Autorinnen begnügen sich nicht damit, Missstände und Ursachen (Ignoranz, Kleinstaaterei anstelle eines deutschlandweiten Anpassungsplans, Bürokratie, Technikglaube, Mangel an Investitionen) zu benennen.
Sie liefern konkrete Vorschläge für Anpassungsmaßnahmen. Dafür haben sie mit unzähligen Experten und Forschern gesprochen. Sie ließen sich von Stadtplanern zeigen, wie Hitzeinseln in betonierten Innenstädten entstehen, streiften mit Biologen durch Wälder, folgten Geologen zur Eisschmelze auf die Zugspitze oder wateten mit Landschaftsökologen durchs Wattenmeer.
So viel sei vorweggenommen: In vielen Fällen lautet die Lösung der Autorinnen, und die dürfte Abwehrreflexe hervorrufen, „Rettung durch geordneten Rückzug“. Also einen Teil der durch Begradigungen, Abholzung, Trockenlegung oder Straßenbau vereinnahmten Landschaften an die Natur zurückzugeben.
Ökologischer Hochwasserschutz oder der Umbau von Landschaften und Städten brauche Zeit, daher „sollten wir es jetzt anpacken“, schreiben Götze und Joeres. Dann könne, und das ist immerhin mal eine gute Nachricht, Klimaanpassung sogar Wohlbefinden und Gesundheit stärken