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Markenmacherin Karla OttoDie große Unbekannte des Modebusiness

Unter den Ikonen des Modegeschäfts ist sie selbst ein Star: Karla Otto ist von Beruf Markenmacherin. Sie erst verschafft manchen Labels den nötigen Glamour und macht sie zum Gesprächsstoff. Das ist mehr als nur PR.Thomas Tuma 06.03.2017 - 12:12 Uhr Quelle: Handelsblatt MagazinArtikel anhören

... der Boulevard-Größe Kim Kardashian, dem Designerduo Viktor & Rolf und Ralf Simons, Fashion-Designer von Calvin Klein (v.li.).

Foto: Wire Image/Getty Images (3)

An diesem Morgen brennen ihre Augen doch noch leicht. Dabei macht sie die Kontaktlinsen schon immer raus, wenn sie fliegen muss. Und sie muss viel fliegen. Vorgestern war sie noch in Hongkong. Jetzt ist Samstagfrüh, und sie sitzt in ihrer Mailänder Dependance. Via dellʼAnnunciata. Zu einer Zeit, da andere sich noch mal die Bettdecke über den Kopf ziehen würden. Später wird es weitergehen nach New York, London und Paris. In all diesen Metropolen hat sie eigene Stützpunkte. Ebenso in Peking und Schanghai („ist schließlich ein Milliarden-Volk“) sowie Los Angeles. Acht Büros sind es mittlerweile insgesamt. Über 300 Mitarbeiter hat sie über die Welt verstreut. Nur in ihrer exportverwöhnten Heimat Deutschland ist sie nicht mit eigenem Stützpunkt vertreten.

Die Chefin reibt sich kurz die Augen, schaut ein bisschen verwundert. Ja, verrückt, nicht? „Aber Deutschland steht eben eher für Maschinenbau, solide Autos oder Spezialchemie. Nur was Mode angeht, ist das Land leider keine Weltmacht.“ Und Mode ist nun mal das Geschäft von Karla Otto. Karla wer?

Karla Otto ist die große Unbekannte im globalen Modezirkus – zumindest für Außenstehende. Wer drinnen ist, kennt sie und ihre wahre Größe umso besser. Wer Marni von Céline unterscheiden kann, Demna Gvasalia nicht für eine rumänische Seife hält oder sich fragt, was aus Justin O’Shea wird nach seinem Rausschmiss bei Brioni – solche Leute wissen auch um die Macht und den Einfluss der Markenmacherin. Karla Otto designt nicht, zumindest keine Mode. Sie designt eher Namen, Labels, Firmen, wenn man so will.

Das Produkt müssen die anderen machen … die geniale Miuccia Prada zum Beispiel, für die Otto rund um deren Entwürfe einst alles andere mitgestaltet und -entschieden hat – vom Fotografen der Werbekampagnen bis zur Gestaltung der Modenschauen. Karla Ottos Job ist es, Marken eine Botschaft zu geben, manchmal nur ein Gesicht, manchmal eine Geschichte, vielleicht einen Klang, ein Gefühl, immer auch ein bisschen eine Seele.

Vita Karla Otto
Jungen Jahre und Japan
Einstieg in die PR

PR nennt sich das profan. Public Relations. Öffentliche Beziehungen. Und es ist doch ungleich mehr als das. Erst recht in einer Welt, die jeden Tag schneller wird. Immer mehr Marken. Immer mehr Kollektionen. Immer mehr „Influencer“. Früher reichte das Lächeln einer wichtigen Chefredakteurin, um einen neuen Designer-Namen zu etablieren. Heute ist jede Modenschau bevölkert von Bloggern, die via Instagram und Youtube mehr Leute erreichen als die meisten Magazine. Da gleicht schon die Puzzlearbeit um Gästeliste und Sitzplan der nächsten Modenschau einer Sisyphos-Arbeit.

Von Bonn nach Tokio

„Das Ziel ist das gleiche geblieben“, sagt Karla Otto in ihrer nachdenklich-bedächtigen Art, die so gar nicht passen will zu ihrem hyperventilierenden Metier. Das Ziel ist: Marken groß, also begehrt zu machen. „Aber die Wege dahin haben sich enorm verändert und unglaublich aufgefächert. Alles findet quasi gleichzeitig statt. Da hilft uns eine langjährige Expertise. Hunderte von Case Studies.“ Karla Otto hat alles schon erlebt. Zeig ihr eine Kollektion, und sie weiß, wo das Label in fünf Jahren stehen kann … oder eben nicht!

Ihre eigene Firma wird dieses Jahr 35 Jahre alt. Die einzige deutsche Marke, die sie in dieser Zeit groß gemacht hat, war Jil Sander. Das blieb dann interessanterweise auch die einzige, die international den Durchbruch schaffte.

Nie jedenfalls hätte Karla Otto je gedacht, dass aus dem großen Spaß, als der einst alles anfing, eine Lebensaufgabe werden könnte, seit sie 1973 in Bonn Abitur gemacht hat. Sie hätte gern Medizin studiert, aber dazu reichten die Noten nicht. Also legte sie ein Sabbatical ein, reiste durch Asien und blieb bei der avantgardistischen Theatergruppe Tenjo Sajiki hängen, die sie im Jahr davor bei Olympia in München kennen gelernt hatte.

Tokio faszinierte sie so sehr, dass sie blieb und sich ihr Studium mit Laufsteg-Nebenjobs als Model finanzierte. So fand sie in den Fashionkosmos – und zugleich wieder zurück nach Europa, wo sie als Model gebucht wurde und irgendwann bei Elio Fiorucci landete. Der Italiener saß damals zufällig in einem Mailänder Restaurant am Nebentisch, man kam ins Gespräch, bis er sie fragte, ob sie nicht seine PR machen wolle. So einfach war mal alles, auch wenn sie da noch gar nicht wusste, was PR ist. Kaum jemand wusste das damals im Fashiongeschäft.

In jenen Jahren entwickelte sich Fiorucci zu einem Magneten aller irgendwie wichtigen Leute der Szene – und der Magnet zu einer Weltmarke, die Andy Warhol genauso faszinierte wie eine junge Sängerin namens Madonna. Fiorucci wurde Pop, das Label quasi zum Logo einer Generation, der Popper. Und mittendrin Karla Otto, die daraufhin in Mailand ihr erstes Büro eröffnete. „Fiorucci war wie eine große Spielwiese, wir konnten damals noch machen, was wir wollten.“

So wurde sie bald auch von Jean Paul Gaultier gebeten, dessen Italien-Geschäft zu koordinieren. Und so wurde auch Jil Sander aufmerksam, die damals allenfalls in Deutschland ein Weltstar war. Otto brachte sie dazu, endlich eine Modenschau in Mailand zu machen. Sander hasste Modenschauen, ließ sich aber überzeugen. Als Location wurde das Palazzo delle Stelline auserkoren, in dem einst Leonardo da Vinci gelebt haben soll, als er „Das Abendmahl“ schuf.

... dem Schauspieler Adrien Brody, der Mode-Journalistin Suzy Menkes, Stefano Tonchi, Editor in Chief von „W“, dem tunesischen Designer Azzedine Alaïa (v.li.).

Foto: Wire Images/Getty Images (2) - French Select/Getty Images - Getty Images Entetainment/Getty Images

Sanders Erfolg war enorm, und er war international. Denn global werden – das wollten und mussten in den achtziger Jahren plötzlich alle hoffnungsvollen Designer, wie zum Beispiel Miuccia Prada, die sich von Karla Otto ebenfalls zu einer großen Show überreden ließ – in ihrem Fall in New York, um die wichtige amerikanische Kundschaft anzusprechen.

Auch das gelang. Die Liaison war fast zu erfolgreich, denn irgendwann schlug der fürs Geschäft zuständige Prada-Gatte Patrizio Bertelli vor, Karla Otto exklusiv an sein Haus zu binden und kurzerhand vom Markt zu kaufen.Ganz ähnlich, wie er zu jener Zeit gerade andere Marken erwarb. Helmut Lang zum Beispiel, den britischen Schuhhersteller Church’s oder eben Jil Sander. Bertelli wollte einen großen Luxuskonzern bauen, ähnlich wie LVMH oder Richemont. Damals klang das ziemlich verlockend. Nur wollte sie partout nicht ihre Unabhängigkeit aufgeben.

Auf Prada folgten andere: Fendi, Pucci und Cavalli, Givenchy, Calvin Klein und Moncler, Lagerfeld und sogar Nike, aber auch junge Labels wie Viktor & Rolf. Sie lehne durchaus Anfragen ab, sagt sie. „Man muss einfach zueinander passen.“ Und passen kann vieles: die ohnehin toll funktionierende Marke ebenso wie ein Unternehmen, das den Anschluss an die kreative Spitze gerade erst wieder sucht.

Mode ist ein stetes Auf und Ab. Im einen Haus brennt gerade die Bilanz, im anderen der Chefdesigner durch, das dritte erlebt das schlimmste Schicksal: Es wird ignoriert. Alles Aufgaben für PR.

Die Namen von Karla Ottos aktueller Kundenliste muss man sich dabei eher mühsam zusammensuchen, denn die Chefin selbst ist viel zu diskret. Nicht mal auf ihrer Homepage wird mit den Marken geworben, in deren Dienst man steht. „Wir arbeiten nicht an uns, sondern wollen die ganze Kraft der Agentur unseren Kunden zur Verfügung stellen.“

Das klingt großherzig, ist indes nur pragmatisch: Gerade Modemacher sind nicht versessen darauf, sich im Glanz ihrer eigenen PR-Spitze sonnen zu müssen. Immerhin: Während der Fashionweeks in New York, Paris, London oder Mailand kann es sein, dass Karla Otto viermal am Tag ihre Garderobe wechselt – einfach aus Respekt gegenüber der gerade zur Präsentation antretenden Marke, für die sich das Karussell immer schneller dreht.

Die Macht der Modenschau

Wo einst zwei große Kollektionen im Frühjahr und Herbst genügten, müssen es heute vier sein. Mindestens. „Uns schadet das nicht unbedingt, weil wir dann auch mehr Material haben im Laufe des Jahres“, sagt Otto. „Aber in den früheren Jahrzehnten hatte die einzelne Kollektion natürlich mehr Gewicht und Ereignischarakter.“ Die Konstanten werden weniger.

Dieser Text ist entnommen aus dem Handelsblatt Magazin N°1-2017. Mode – Magie und Machtfaktor: Das Handelsblatt Magazin Mode-Spezial widmet sich ganz der Fashionbranche – unterstützt von Donald Schneider als Creative Director, der schon der französischen „Vogue“ und dem „Stern“ ein unverwechselbares Äußeres verlieh. Wie wird man Modemacherin? Victoria Beckham über über das globale Modegeschäft, ihre Erfolgsrezepte und ein Leben als Marke Wofür steht der moderne Mann? Ermenegildo Zegna über sich wandelnde Rollenbilder Wie hat Marc Cain das geschafft? Von der Schwäbischen Alb in die Weltmetropolen Diese Themen und mehr jetzt lesen: Den Digitalpass vier Wochen gratis testen und das komplette Handelsblatt Magazin kostenlos als PDF downloaden – oder die gedruckte Ausgabe mit der Freitagausgabe des Handelsblatts vom 3.3.2017 am Kiosk erwerben. Foto: Handelsblatt

Klar, das Produkt hat noch immer oberste Priorität. „Eine Zeitlang kann gute PR auch ein schlechtes Produkt verkaufen. Aber auf lange Sicht geht das nicht gut“, sagt sie. Und auch klar, die Modenschau als Marketing-Instrument hat in all ihrer archaischen Kraft trotz Bloggern, Social Media und globalisierten Märkten erstaunlicherweise nichts von ihrer Bedeutung und Anziehungskraft verloren.

Im Gegenteil: Bis zu fünf Millionen Euro lassen sich die ganz großen Unternehmen heute ihre meist nur 15-minütige Laufsteg-Inszenierung kosten. Auf jedes Detail kommt es da an: von der Frisur der Models bis zu bisweilen gigantischen Locations wie etwa jener Mailänder Anselm-Kiefer-Installation, in der Zegna im Januar seine neue Herrenmode gezeigt hat. Aber erlebt sie dieses Modegeschäft nicht bisweilen selbst als grelle Seifenoper?

Es sei eine eigene, einigermaßen überschaubare Welt … mit eigener Sprache – und sich stetig verändernden Strategien, Darstellern und Bühnen. Zurzeit geht kaum noch etwas ohne Instagram. Follower bei Youtube und anderen Plattformen sind die aktuelle Währung des Ruhms geworden. Entsprechend wichtig sind auch international bekannte Schauspieler geworden – als Kleiderständer, sagt, wer es böse meint. Als Markenbotschafter umgarnt die Branche sie.

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Tilda Swinton oder Jennifer Lopez gelten als „A-Lister“ mit größter Glaubwürdigkeit und Reichweite. Ein ganzer PR-Zweig ist heute nur mit der Inszenierung beschäftigt, wer bei der Oscar-Verleihung oder auf anderen roten Teppichen welches Kleid trägt, bei Facebook welche Handtasche postet oder in welchem Film welches Outfit präsentiert. Deshalb ist Karla Otto eben auch mit etlichen Mitarbeitern in Los Angeles vertreten.

Der Film, die bildende Kunst, Design, Architektur – alles verschmilzt und will doch als steter Strom von Neuigkeiten kanalisiert werden von Menschen wie Karla Otto, für die Privatleben und Job längst ähnlich eins geworden sind. Wenn sie abends in New York mit Freunden aus der Szene essen geht ... ist das Arbeit oder Leben … oder ein Leben für die Arbeit?

Nur einer spielt da nicht mit: Karla Ottos 25-jähriger Sohn will nicht in die Firma seiner Mutter einsteigen, was die gefasst akzeptiert. Vielleicht verkauft sie irgendwann mal alles. Vielleicht auch nicht. Anfragen gibt es. „Alles ist möglich“, sagt sie, „wie in der Mode.“

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