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MusikDer langsame Tod der E-Gitarre

Verschwindet die E-Gitarre von den Bühnen der Welt? Die Branche weint werbetauglichen Idolen wie Jimi Hendrix und Stevie Ray Vaughan hinterher. Doch hinter den Kulissen hat die E-Gitarre ganz andere Probleme.Petrina Engelke 10.07.2017 - 11:32 Uhr Artikel anhören

Bei Sotheby's kommen im Jahr 2015 zahlreiche Gitarren berühmter Musiker von Jimi Hendrix bis Pink Floyd unter den Hammer. Eignen sich E-Gitarren bald nur noch zum Sammlerstück?

Foto: AP

New York. Mit seiner Westerngitarre schaffte es der Mittzwanziger Ed Sheeran dieses Jahr als Erster, in den deutschen Single-Charts zeitgleich auf Platz 1 und 2 zu starten. Und Fender-CEO Andrew Mooney räumt ein, Country-Pop-Star Taylor Swift sei „der einflussreichste Gitarrist der letzten Jahre“ – und habe scharenweise Mädchen dazu bewegt, Gitarrespielen zu lernen. Ein Hoffnungsschimmer?

Zu Partyhymnen sind die großen E-Gitarrenbauer in den USA derzeit dennoch nicht aufgelegt. Einem Bericht der „Washington Post“ zufolge sind deren Verkaufszahlen in den vergangenen zehn Jahren von 1,5 Millionen auf eine Million zusammengeschmolzen. Die berühmten Hersteller Gibson und Fender machen Schulden, und im April wertete Moody’s auch noch den größten US-Musikinstrumentenhändler Guitar Center ab. Dem Vernehmen nach steckt die Kette mit 1,6 Milliarden Dollar in den Miesen.

Man könnte fast meinen, daran seien die Musiker schuld. Laut klingt das Lamento derjenigen, die nach Eric Clapton, Jimmy Page und Carlos Santana keine Gitarrenhelden mehr kennen. Mit etwas Wohlwollen dürfen sich noch der 80er-Jahre-Haareschwinger Eddie Van Halen und die 90er-Jahre-Ikone Slash als gute Gitarristen bezeichnen, aber dann ist Sabbat. Musik ist tot, überall nur noch Gepiepse aus diesen Computern.

Wer so argumentiert, stellt sein Alter so unauffällig ins Rampenlicht wie Jimi Hendrix eine brennende Gitarre – und spielt die alte Leier: Früher war alles besser, die Jugend von heute ist dagegen zu nichts zu gebrauchen. Das war jedoch schon Kokolores, als besorgte Bürger vor dem Kulturverfall warnten, den Rowdys wie Elvis ihrer Ansicht nach auslösten.

Mitnichten verschmäht die Musikszene die E-Gitarre, auch an Vorbildern fehlt es kaum. Die New Yorker Musikerin Kaki King etwa treibt den Begriff des Solos auf die Spitze, wenn sie dem gesamten Gitarrenkorpus Klänge entlockt. Orianthi aus Australien wurde gar von Carlos Santana persönlich als Gitarrengott-Nachfolgerin abgesegnet.

Keine Bange, echte Kerle mischen im Olymp auch noch mit. Die mannigfaltigen Gitarrenmagazine feiern beispielsweise den britischen Teenager Aaron Keylock für seine Solos. Selbst in den Hitparaden finden sich Vorbilder für die zukünftige Gitarren-Kundschaft, wenn auch oft mit Akustikgitarre.

BMG-Chef Hartwig Masuch

Die Gitarre immer griffbereit

Die Anzahl der Gitarrenschüler an deutschen Musikschulen stieg bereits, als Michael J. Fox in „Zurück in die Zukunft“ ein Gitarrensolo zum Besten gab. Nach Angaben des Verbands deutscher Musikschulen liegt das unter anderem daran, dass die Zahl der Musikschulen und damit einhergehend auch der Musikschüler stieg. Zur Jahrtausendwende überholte die Gitarre dort die Blockflöte auf der Beliebtheitsskala, nur das Klavier liegt derzeit noch vor ihr.

Im Jahr 2015 hatten 137.582 Musikschüler Gitarrenunterricht, weitere 12.480 lernten E-Gitarre. Weil es inzwischen spezielle kleinere Instrumente wie die Halb- und Viertelgitarre gibt, sind so manche Anfänger heute zudem jünger als zu Eric Claptons Glanzzeiten.

An den Millennials lässt Fender-CEO Mooney allerdings kein gutes Haar. Sie gäben das Gitarrenspiel oft binnen eines Jahres wieder auf, konstatiert er. Das passt ja nun auch glänzend in die verbreitete Meinung von einer verwöhnten Generation, die alles können, aber nichts üben will. Allerdings ist es gar nicht so leicht, diese Behauptung zu stützen.

Der Verband der deutschen Musikschulen sammelt zwar keine Daten zum Unterrichtsverbleib. Doch dessen Bundesgeschäftsführer Matthias Pannes benennt Indizien: „Mit Blick auf das oftmals hervorragende Niveau der Schülerinnen und Schüler bei Wettbewerben wie etwa ‚Jugend musiziert‘ können wir diese Sicht nicht bestätigen.“

Statt unter Vorbild- und Fleißmangel leiden E-Gitarrenbauer unter hausgemachten Problemen. Der Markt strotzt nur so vor Herstellern, und so macht den großen US-Marken unter anderem ein Preiskampf zu schaffen. Zudem gehen manche Entscheidungen des Managements am Publikum vorbei.

Handelsblatt-Redakteurin Katharina Schneider ist zu Gast bei Fondmanager Max Otte, mit einem aktuellen Blick auf den Politik-Zirkus, heißen Tipps für das Aktienjahr 2014 und Max Otte dem Crash-Prophet an der E-Gitarre.

Gibson etwa hat fast zehn Jahre und Millionen Dollar in die Entwicklung einer sich selbst stimmenden Gitarre gesteckt. Doch Musiker konnten damit wenig anfangen; Mehrpreis und Mehrwert stehen in ihren Augen in keinem harmonischen Verhältnis.

Musikalien-Platzhirsch Guitar Center hat unterdessen auf dem Onlinemarkt geschlafen. Bereits 1995 hatte Konkurrent Sweetwater eine Website, ab 1999 konnte man fast alle seiner Produkte – von Musikinstrumenten bis zu Aufnahme-Equipment – online kaufen. Heute bietet der gewitzte Händler direkt auf der Produktseite das zinslose Abstottern einer nagelneuen E-Gitarre für ein paar Dollar im Monat an.

Auf dem deutschen Markt ist der Umsatz von E-Gitarren 2016 im Vergleich zum Vorjahr zwar um 2,5 Prozent auf mehr als zwölf Millionen Euro gestiegen, ergab der Markttrend des Verbands der Musikinstrumenten- und Musikequipmentbranche, der Society of Music Merchants (Somm), der auf einer Umfrage von 25 Unternehmen beruht. Doch über die letzten acht Jahre ist der E-Gitarrenumsatz insgesamt gesunken.

Ein Teil der Schwankungen erklärt sich durch Zu- und Abgänge unter den Mitgliedern des Verbands. Doch Somm-Geschäftsführer Daniel Knöll sieht noch zwei andere Gefahren für die Zukunft der E-Gitarre.

„Hemmschuh für eine kontinuierliche Fortführung eines steigenden Absatzmarktes ist der seit Jahren ausbleibende Musikunterricht an allgemeinbildenden Schulen in Deutschland“, so Knöll. Dort fehle es nicht nur an Lehrern, sondern auch an Instrumenten.

Und dann wäre da noch das Problem mit dem Artenschutz. Als Paul McCartney und Stevie Wonder 1982 „Ebony and Ivory“ besangen, ahnten Musikinstrumentenhersteller noch nicht, dass sie bald nach Ersatz für diverse Rohstoffe suchen würden. Elfenbeinhandel ist seit 1989 verboten, seit 2013 fällt auch Ebenholz aus Madagaskar unter das Washingtoner Artenschutzabkommen CITES. Und jetzt sind die E-Gitarren dran.

„Die CITES-Änderungen und die in der Folge für die Bundesartenschutzverordnung geltenden Auswirkungen stellen die Musikinstrumentenbranche vor enorme Aufgaben“, prognostiziert Knöll. Viele Gitarrenbauer verwenden für das Griffbrett ihrer Instrumente dunkles, hartes Palisanderholz, weil dessen Dichte es ideal für die Belastung durch mehr oder weniger flinke Finger macht und auch zum gewünschten Klang beiträgt. Doch seit Anfang 2017 sind Handel und Verbreitung dieser Tropenholzart durch CITES international verboten.

Alternativen zu Palisander sind oft teurer, und auch der Verwaltungsaufwand für Genehmigungen für bereits gebaute Gitarren wird sich wohl auf die Preise auswirken. Vor allem aber breitet sich nun Unsicherheit unter Gitarristen aus. Wer auf Tour geht oder Vintage-Gitarren wie die 1962er Fender Stratocaster oder eine Custom Les Paul von Gibson sammelt, muss sich über die nötigen Formulare informieren.

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Die Großen der Branche beeilen sich festzuhalten, dass so manche Klassiker weiterhin „historisch korrekt“ mit Palisander verbaut werden – und es innerhalb der USA damit keine Scherereien gäbe. US-Gitarrenhersteller Fender startete zudem eine Aufklärungskampagne, die für die Alternative Pau Ferry (brasilianisches Eisenholz) wirbt.

Ein Problem verschweigen aber fast alle: E-Gitarren versagen unterm Strich als Profitmaschine, weil sie oft über Jahrzehnte halten. Um diesen Vorteil beneidet die Digitalmusikszene die Gitarristen ein wenig. Jedenfalls solange, bis die Hersteller eines Tages eine E-Gitarre entwickeln, die nur im Abo zu haben ist – und der man den Ton abdrehen kann, sobald man die Monatsrate nicht zahlt.

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