1. Startseite
  2. Arts und Style
  3. Literatur
  4. Zukunftsszenarien: Wie sich Science Fiction auf unseren Fortschritt auswirkt

ZukunftsszenarienWie sich Science Fiction auf unseren Fortschritt auswirkt

Die Science-Fiction von heute hat aller Voraussicht nach auch Folgen für die Zukunft. Das erkennen zunehmend auch Politik und Unternehmen. Ein Essay.Theresa Hannig 26.02.2022 - 15:38 Uhr Artikel anhören

Mit seinen drei Funktionen Scannen, Aufnehmen und Verarbeiten ein Vorläufer unseres Smartphones.

Foto: Paramount/Kobal/Shutterstock

Fürstenfeldbruck. Wenn Sie an die Zukunft denken, welche Bilder kommen Ihnen dann in den Sinn? Fliegende Autos? In Kryokammern schlummernde Astronautinnen und Astronauten auf dem Weg zum Mars? Killerroboter, die die Menschheit vernichten wollen? Oder doch postapokalyptisches Ödland, in denen die letzten Überlebenden um die wenigen Ressourcen kämpfen?

Selbst wenn Ihre Vorstellung von der Zukunft anders aussieht als die Aufzählung im ersten Absatz, so dürften Ihnen doch manche der beschriebenen Szenen bekannt vorkommen. Es sind fast schon ikonografisch gewordene Bilder aus Science-Fiction-Geschichten, die schon vor Jahrzehnten die Zukunft – also unsere heutige Gegenwart – beschrieben haben. Keine dieser Zukunftsvisionen ist bisher eingetreten. Zum Glück – möchte man angesichts des schon erdstationär überquellenden Verkehrs, der aktuellen CO2-Bilanz von Weltraumflügen und des allgemeinen Wunsches zu überleben sagen.

Auf der anderen Seite gibt es durchaus eine Menge Ideen aus Science-Fiction-Geschichten, die wir heute für ganz selbstverständlich halten: In seinem 1984 erschienenen Roman „Neuromancer“ zeichnet William Gibson eine Vision dessen, was das heutige Internet ist. Der Tricorder, den Captain Kirk in Star Trek benutzt, ist mit seinen drei Funktionen Scannen, Aufnehmen und Verarbeiten ein Vorläufer unseres Smartphones, das demnach eigentlich Multicorder heißen müssten.

Im jahrelang vor Gerichten ausgefochtenen Patentstreit zwischen Samsung und Apple, wer nun wirklich das Tablet erfunden hat, führten die Anwälte von Samsung an, in Wahrheit habe nicht Steve Jobs, sondern Stanley Kubrick in seinem Filmklassiker „2001: Odyssee im Weltraum“ das erste Tablet präsentiert. Und wer ein bisschen enttäuscht war, dass es 2015 immer noch kein „echtes“ Hoverboard zu kaufen gab, wie Marty McFly es in „Zurück in die Zukunft“ benutzte, der konnte sich immerhin mit einem erdgebundenen Elektro-Hoverboard auf zwei Rädern trösten.

Die Behauptung, Science-Fiction-Autor*innen seien die tatsächlichen Urheber dieser oder jener technischen Innovation ist natürlich nicht zu halten. Sich ein interstellares Raumschiff auszudenken und es wirklich in die Tat umzusetzen sind zwei völlig verschiedene Dinge. Dennoch entstünde das eine ohne das andere vielleicht nie.

Sagen sie die Zukunft voraus? Jein!

Als Jules Verne 1870 in „20.000 Meilen unter dem Meer“ die Abenteuer auf der Nautilus beschrieb, hatten sich – seit der britische Mathematiker William Bourne 1578 zum ersten Mal ein Unterseeboot konzipiert hatte – schon Dutzende Erfinder*innen an der Idee abgemüht.

Aber es war trotzdem Verne, der ein luxuriös ausgestattetes U-Boot und die damit zu erlebenden Abenteuer unter Wasser so attraktiv erscheinen ließ, dass sich Personen, Firmen und sogar das US-Militär namentlich dazu bekannten: John P. Holland, der das erste in Dienst gestellte U-Boot der US-Marine baute, nannte eine seiner ersten Firmen die Nautilus Submarine Boat Company. Die US Navy gab nicht weniger als sechs ihrer Schiffe den Namen Nautilus, darunter 1954 das erste nuklearbetriebene U-Boot der Welt.

Wenn Science-Fiction-Autor*innen heute wie damals also keine direkten Erfindungen machen, blicken sie dann in die Zukunft? Sagen sie sie vielleicht sogar voraus? Jein!

Science-Fiction-Autor*innen haben Augen und Ohren für den Zeitgeist. Es ist ihr Beruf, ihre Kunst, das jetzt Aktuelle in die Zukunft zu extrapolieren und daraus eine Vielzahl möglicher Zukünfte zu erschaffen. Welche Leser*innen sich von welcher Zukunftsvision dann inspirieren lassen, ist hingegen tatsächlich ausschlaggebend für die Entwicklung der Menschheit. So machen SF-Autor*innen also möglicherweise selbst erfüllende Prophezeiungen.

Theresa Hannig
Die Autorin
Die Bücher

Denn die Geschichten, die Menschen konsumieren – sei es in Form von Literatur, Film oder Computerspiel, prägen ihre Vorstellungswelt, das Spektrum dessen, was gedacht werden kann. Und je breiter die Rezeption der Geschichten, desto leichter fällt es, sich über die Ideen mit anderen Menschen auszutauschen. Science-Fiction-Geschichten können dabei der initiale Funke einer eigenen Idee werden, die im Laufe der Zeit zu einer neuen Erfindung reift.

Wenn die SF der Vergangenheit also unsere Gegenwart beeinflusst hat, so kann getrost davon ausgegangen werden, dass die SF der Gegenwart nicht ohne Folgen für die Zukunft bleibt, und zwar insofern, als sie Ideen und Möglichkeiten aufzeigt, auf Gefahren hinweist, Hoffnungen macht und das Gedankenblatt der Menschen mit neuen Trümpfen füllt.

Wer sich mit aktueller SF beschäftigt, hat damit auf jeden Fall einen Vorteil: Er wird von der Zukunft nicht so leicht überrascht!

Nach den Unternehmen fängt nun auch langsam die Politik an, diesen Vorteil für sich zu nutzen. Unternehmen lassen SF-Autor*innen über zukünftige Kunden und deren Wünsche schreiben, um sich selbst besser darauf einstellen zu können. Regierungen beauftragen Zukunftsforscher*innen für Foresight und Technikfolgenabschätzung. Und in jüngster Vergangenheit werden auch immer wieder SF-Autor*innen direkt engagiert, um bestimmte Szenarien zu entwerfen oder auszuformulieren.

2019 bis 2021 hat die Phantastische Bibliothek Wetzlar das EFRE geförderte Projekt „Future Life“ entwickelt, das die in der Science-Fiction-Literatur vorhandenen Ideen exzerpiert, systematisiert und bewertet. Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hat 2021 das Projekt „Future Work“ durchgeführt, bei dem unter anderem SF-Autor*innen für zuvor von den Forschenden definierte Szenarien Geschichten zur Zukunft der Arbeit verfassten. Auch das BMBF beschäftigt sich in seinem Foresight-Prozess mit der Zukunft.

Die Stärke der Science-Fiction

Neben wissenschaftlich arbeitenden Zukunftsforscher*innen wurde hier 2021/22 auch über ein Dutzend SF-Autor*innen und -Zeichner*innen für die Entwicklung von Szenarien und dazugehörigen Geschichten herangezogen. Das Besondere dabei ist das Zusammenspiel zwischen wissenschaftlichem und künstlerischem Arbeiten. Denn je wissenschaftlicher die Beschäftigung mit der Zukunft, desto enger wird der Blick.

Theresa Hannig: Pantopia. Fischer Tor Frankfurt 2022 464 Seiten 16,99 Euro Foto: Handelsblatt

Es ist eben nur sehr wenig mit absoluter Sicherheit über das Morgen zu sagen – und je weiter man in die Zukunft blickt, desto größer ist das Möglichkeitsspektrum. Die Stärke der SF ist es nun, aus der Vielzahl der von der Wissenschaft als möglich definierte Zukünfte einige herauszugreifen und sie mit Ideen, Menschen, ihren Konflikten und Bedürfnissen zu füllen und daraus Geschichten zu stricken.

So erhalten die Lesenden – seien es Politiker*innen, Unternehmer*innen oder jedes andere Publikum – einen viel unmittelbareren, emotionaleren Zugang zu den Problemen und Möglichkeiten der Zukunft und können sich mehr damit identifizieren, als würden sie nur einen faktenbasierten, wissenschaftlichen Bericht lesen.

Verwandte Themen Samsung Steve Jobs Apple

Es lohnt sich also, den SF-Autor*innen zuzuhören! Es lohnt sich, ihre Geschichten zu lesen, zu sehen und zu erleben. Manchmal als warnende Stimme, die uns die Vulnerabilität unserer jetzigen Sicherheit und Freiheit vorführt, manchmal als Ideengeber für eigene Innovationen.

Heutzutage aber ganz besonders als Stimme der Hoffnung. Denn es gibt sie noch, die Utopien. Die Geschichten, die aufzeigen, wie auch alles gut werden könnte. Es lohnt sich, diese Geschichten zu lesen. Denn sie machen in der aktuellen Situation, in der sich Klimakrise und Coronapandemie selbst wie eine seit Jahren andauernde Dystopie anfühlen, Hoffnung. Hoffnung auf ein Leben nach der Katastrophe. Und wo Hoffnung ist, da ist auch Zukunft.

Mehr: Diese zehn Trends werden im nächsten Jahrzehnt unser Leben verändern.

Mehr zum Thema
Unsere Partner
Anzeige
remind.me
Jetziges Strom-/Gaspreistief nutzen, bevor die Preise wieder steigen
Anzeige
Homeday
Immobilienbewertung von Homeday - kostenlos, unverbindlich & schnell
Anzeige
IT Boltwise
Fachmagazin in Deutschland mit Fokus auf Künstliche Intelligenz und Robotik
Anzeige
Presseportal
Direkt hier lesen!
Anzeige
STELLENMARKT
Mit unserem Karriere-Portal den Traumjob finden
Anzeige
Expertentesten.de
Produktvergleich - schnell zum besten Produkt