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AnlagestrategieNachhaltige Investments: Die grüne Illusion
Bei den großen deutschen Fondshäusern genügt bisher nur ein Bruchteil des verwalteten Kapitals ESG-Kriterien. Aber was ist wirklich nachhaltig? Anleger könnten bald besser durchblicken.
Bei genauerem Hinsehen investieren große Fondsanbieter bisher eher einen kleinen Anteil ihres Vermögens wirklich nachhaltig
(Foto: nosorogua - stock.adobe.com [M])
Frankfurt Nachhaltigkeit ist einer der Megatrends für die Vermögensverwalter. Jedes Fondshaus möchte möglichst „grün“ in seiner Anlagestrategie sein, denn damit lässt sich viel Geld verdienen. Viele Fondshäuser haben lautstark den Megatrend zu ihrem strategischen Schwerpunkt erklärt.
Allerdings zeigen Anfragen des Handelsblatts bei den vier großen Anbietern in Deutschland: Bei DWS, Deka, Union Investment und Allianz Global Investors werden gerade einmal acht bis maximal 20 Prozent des Fondsvermögens nach den Kriterien Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung (ESG) investiert.
Die Deutsche-Bank-Tochter DWS muss sich sogar Untersuchungen der Finanzaufsichten in den USA und Deutschland gefallen lassen. Deren ehemalige Nachhaltigkeitschefin wirft dem Fondshaus vor, sogenanntes Greenwashing zu betreiben, also bei den Angaben zu ihren nachhaltigen Anlagen übertrieben zu haben.
„Das wirft ein Schlaglicht auf die ganze Branche. Ein Teil von dem, was als grün gilt, ist vielleicht eine grüne Illusion“, sagt Henry Schäfer, ESG-Experte und früherer Finanzprofessor an der Universität Stuttgart.
Kriterien sind unübersichtlich
Die Unsicherheit bei Fondshäusern und Investoren ist Branchenvertretern zufolge groß. Was auch daran liegt, dass die Kriterien für grüne Geldanlagen unübersichtlich sind und die Anbieter viel Spielraum bei der ESG-Klassifizierung haben.
Das Geschäftspotenzial ist enorm: Allein in den deutschsprachigen Ländern erwartet die Strategieberatung des Wirtschaftsprüfers PWC eine knappe Verfünffachung des nachhaltig gemanagten Kapitals in den nächsten drei Jahren auf 3,8 Billionen Euro.
Bei solchen Prognosen kommt der DWS-Vorfall zur Unzeit. Die Gesellschaft habe der ganzen Fondsindustrie „einen Bärendienst“ erwiesen, klagt ein großer Konkurrent. Die Frage, wie nachhaltig die eigenen Anlagen sind, treibt die Branche schon länger um. Unter den Anbietern weltweit gebe es einen regelrechten „Wettlauf“, wer in diesem Bereich am fortschrittlichsten sei, sagt ein Vertreter eines großen Anbieters. Jetzt kämen mutmaßlich noch Untersuchungen der Behörden hinzu.
Kritik bei Blackrock
Kritik war allerdings auch schon vor der SEC-Überprüfung der DWS laut geworden. Sie kommt von Tariq Fancy. Der frühere Chef-Anlagestratege für ESG beim weltgrößten Vermögensverwalter Blackrock prangert im US-Fernsehen „nachhaltiges Investieren als ein gefährliches Placebo“ an, das das öffentliche Interesse gefährde.
In Deutschland zählt ESG-Experte Henry Schäfer zu den Kritikern der Branche: „Etliche Produkte mit Nachhaltigkeitsanspruch dürften vor einem Glaubwürdigkeitsproblem stehen, denn zu schnell werden heutzutage konventionelle in nachhaltige Produkte umetikettiert.“
Handelsblatt-Nachfragen zeigen nun: Beim genaueren Hinsehen investieren große Fondsanbieter bisher eher einen kleinen Anteil ihres Vermögens wirklich nachhaltig, indem sie beispielsweise bestimmte schmutzige oder anrüchige Anbieter wie Kohleförderer, Glücksspielunternehmen oder schlecht geführte Firmen aus solchen Portfolios herauslassen.
Unter den großen deutschen Häusern investiert die DWS nach eigener Angabe rund acht Prozent ihres Fondsvermögens nachhaltig, die Deka gut zehn Prozent, die genossenschaftliche Union Investment gut 17 Prozent und die Allianz-Tochter Allianz Global Investors rund ein Fünftel.
Auch der weltgrößte Anbieter Blackrock investiert in Europa rund ein Fünftel seines Vermögens wirklich nachhaltig. Bei Europas Nummer eins, Amundi, ist es nach Firmenangaben knapp die Hälfte des Gesamtkapitals.
Anbieter sortieren sich ein
Die Klassifizierung des ESG-Vermögens läuft damit meist ähnlich: So gibt es nach der seit März gültigen EU-Offenlegungsverordnung (SFDR) die Verpflichtung, dass die Anbieter ihr Fondsvermögen einsortieren in nachhaltig und weniger nachhaltig gemanagtes Vermögen.
Das macht die DWS, die das Thema Nachhaltigkeit in der Öffentlichkeit gern besonders stark hervorhebt, nicht anders als andere, meint ein Anbieter. Unter den in Deutschland angebotenen Privatanlegerfonds rangiert die DWS mit 63 Produkten nur auf Rang acht (siehe Grafik). Vorn liegt Amundi mit 133 Angeboten und einem entsprechenden Kapital von 162 Milliarden Euro.
Das Durcheinander auch für Anleger entsteht aber nicht durch die formale Eingruppierung der Assets in solche „Schubladen“, sondern durch die unterschiedliche Auslegung, was Nachhaltigkeit bedeutet. „Das Thema ist sehr komplex, und es gibt eine enorme Regulierungsgeschwindigkeit“, sagt Ingo Speich, der das Thema ESG bei der Deka verantwortet. „Es gibt nicht die eine Nachhaltigkeit.“
Jeder Investor habe seine eigene Sichtweise, so wie er auch seinen eigenen Investmentansatz verfolge. So investieren die einen eben noch in Anleihen aus Weißrussland, andere nicht mehr. Und es gibt strengere und weniger strenge Ausschlusskriterien.
Waffen und Tabak raus
Im einfachsten Fall schließen Anbieter kontroverse Branchen wie Waffen, Tabak und Glücksspiel aus. Andere suchen in Branchen die jeweils besten Unternehmen etwa nach CO2-Emissionen heraus. Wieder andere nehmen auch Firmen auf, die beim Klimathema ein schlechtes Profil haben, aber eine glaubwürdige Strategie für einen zukunftsfähigen Umbau des Geschäftsmodells vorgelegt haben.
Blackrock verfolgt insgesamt fünf Ansätze. Ein Firmenvertreter erläutert, sie reichten vom Ausschluss von Unternehmen mit kontroversen Geschäftsaktivitäten bis hin zur Positivauswahl von Firmen, mit denen eine messbare nachhaltige Wirkung erzielt werden könnte.
Für den größten europäischen Anbieter Amundi sagt die ESG-Chefin Elodie Laugel, dass der größte Teil des Nachhaltigkeitsgeldes in einem bestimmten Ansatz stecke: „Bei allen aktiven Strategien in klassischen Anlageklassen suchen wir branchenspezifisch die Unternehmen mit besserem Nachhaltigkeitsprofil.“
Regulierung mit Widersprüchen
Die Regulierer versuchen seit Jahren, des Themas Herr zu werden. So existieren laut Speich inzwischen in der EU und einzelnen Ländern mehrere Ebenen der Regulierung, die sich zum Teil widersprechen. Es gebe enorme Intransparenz durch die unterschiedlichen ESG-Ansätze, fehlende Einordnung und Messbarkeit, klagt ein anderer großer Investor. „Eine echte inhaltliche Diskussion dazu wäre jetzt hilfreich.“
Ab dem Sommer nächsten Jahres könnte mehr Klarheit und Übersicht in das Thema kommen, wenn die EU-Vorschriften über Produktkategorisierungen in Kraft treten und Anlageberater dann verpflichtet werden, mit ihren Kunden über deren Nachhaltigkeitspräferenz zu sprechen.
Bis dahin muss etwa die deutsche Finanzaufsicht Bafin noch die EU-Vorgaben in nationales Recht gießen. Dafür müssten sich die Regulierer überlegen, ob sie das Thema spitz etwa auf Umwelt zuschneiden, was dann vermutlich dazu führt, dass Fonds mit breiten Investmentansätzen nicht nachhaltig sein könnten, fürchtet ein großer Fondsinvestor.
Vergleich mit dem Automarkt
Ihm und vielen anderen in der Branche gefiele die Alternative deutlich besser: einen breiteren ESG-Ansatz zuzulassen und den Fondsanbietern dann die Möglichkeit zu geben, Unternehmen in Sachen ESG unter Druck zu setzen, um sie nachhaltiger zu machen.
Letztlich dürfte am Ende ein Markt entstehen, der mit dem Kfz-Markt zu vergleichen ist. Das ist jedenfalls die Hoffnung von Deka-Mann Speich: Wie Autos würden auch die Fonds unterschiedlich „gebaut“, gebe es unterschiedliche Modelle je nach Nachhaltigkeitsansatz eines Anbieters. Aber alle Produkte müssten – vergleichbar der Kfz-Zulassung – regulatorisch konform sein und nach den ab kommenden Sommer erforderlichen ESG-Kategorien eingeordnet werden.
Wust von Regeln
Seit März 2021 müssen in der EU nach der Offenlegungsverordnung (SFDR) beispielsweise Fondsanbieter ihre Produkte nach eigenem Ermessen einer von drei Gruppen zuordnen. Jene mit keinem oder geringem Nachhaltigkeitsanspruch (Art. 6), solche mit Merkmalen auf diesem Feld (Art. 8) und die mit schärfstem Anspruch, die „nachhaltige Anlageziele verfolgen“ (Art. 9). Bisher fällt das Gros des angelegten Kapitals bei den Anbietern in die Gruppe nach Art. 6.
Ab Sommer 2022 gilt die EU-Vermittlerrichtlinie (Mifid) mit zwei wichtigen neuen Vorgaben. Dann müssen Anlageberater ihre Kunden aktiv nach ihren Vorlieben bei Nachhaltigkeit fragen. Außerdem liefert die Verordnung eine Produktkategorisierung, die Fonds genauer nach ihrem ESG-Grad einteilt. ESG steht für die Berücksichtigung von Kriterien aus den Bereichen Umwelt (Environmental), Soziales (Social) und verantwortungsvolle Unternehmensführung (Governance). Die staatlichen Aufsichten, in Deutschland die Bafin, müssen die Vorgaben noch in nationales Recht umwandeln. Branchenvertreter kritisieren, die sich abzeichnenden Vorstellungen der Bafin seien nicht mit denen der EU konform.
Die EU-Vorgaben definieren, ob eine wirtschaftliche Aktivität nachhaltig ist. Dazu muss sie zu mindestens einem von sechs Umweltzielen beitragen. Die Vorgaben zu den zwei Teilthemen Klimawandel und Klimaanpassung sind ausgearbeitet und liegen vor. Die restlichen vier fehlen noch, ebenso die entsprechenden weiteren Einstufungen, insbesondere die zu sozialen Aspekten innerhalb des ESG-Spektrums.
Die Erwartung von Deka-Mann Speich: Dann wird es zwar keinen einheitlichen ESG-Standard geben, aber eine klare Einordnung für Anleger, welches Produkt wie nachhaltig ist. „Und dann wird am Markt entschieden, welche Produkte sich durchsetzen.“ Dies erwartet auch Amundi-Expertin Laugel: „Die neuen Regeln werden die Lage hoffentlich verbessern.“
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