Finanzmarkt Abschied vom Papierbogen – Deutsche Börse digitalisiert das Wertpapiergeschäft

Der Verkauf von Wirecard-Anteilen ist ab dem 15. November deutlich erschwert.
Frankfurt Der Börsenhandel in Deutschland läuft schon lange überwiegend elektronisch ab. Investoren und Banken setzen dabei Hochleistungsrechner ein, die innerhalb von Nanosekunden Handelsaufträge in die Systeme der Deutschen Börse schießen.
Die dahinterliegende Infrastruktur zur Registrierung und Aufbewahrung von Wertpapieren wirkte dagegen bislang wie aus der Zeit gefallen. Das wird sich nun jedoch ändern.
Die Deutsche Börse hat eine neue digitale Plattform aufgebaut, auf der ab November erstmals digitale Wertpapiere in Deutschland begeben werden können. „Das Wertpapiergeschäft in Deutschland wird so deutlich effizienter und schneller“, sagte Deutsche-Börse-Vorstand Stephan Leithner dem Handelsblatt. „Das ist ein wichtiger Schritt bei der Digitalisierung Deutschlands und erhöht die internationale Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Kapitalmarkts.“
Emittenten müssen bislang Urkunden von Wertpapieren in Papierform bei der Deutsche-Börse-Tochter Clearstream hinterlegen. Clearstream-Mitarbeiter überprüfen die Urkunden, heften sie in Ordnern ab und bewahren diese dann in einem großen Safe auf.
Die Tage für das antiquierte Vorgehen sind jedoch gezählt. Grundlage für die Neuerung ist das Gesetz über elektronische Wertpapiere (eWpG), das im Juni in Kraft getreten ist. Es erlaubt erstmals, dass Unternehmensanleihen, Zertifikate, Warrants und andere Optionsscheine, Pfandbriefe sowie bestimmte Fondsanteile als digitale Wertpapiere emittiert werden.
Die Deutsche Börse hat bei der Entwicklung der sogenannten D7-Plattform eng mit großen Emittenten wie der Deutschen Bank, der DZ Bank, der Deka, BNP Paribas und Vontobel zusammengearbeitet. Auch die DWP Bank, die österreichische Raiffeisen Bank International und große US-Institute wie Goldman Sachs waren beteiligt. Technologische Unterstützung kam unter anderem von Microsoft, der Digitalfirma VMware sowie von den auf Blockchain-Technologie spezialisierten US-Firmen Digital Asset Holdings und R3.
Anleger können auf niedrigere Kosten hoffen
Börsen-Vorstand Leithner ist überzeugt, dass die Einführung elektronischer Wertpapiere für alle Akteure am Finanzmarkt positiv ist. „Über die Zeit wird die höhere Effizienz im Finanzsystem zu niedrigeren Kosten führen“, sagt der österreichische Manager des Dax-Konzerns. „Die Finanzinstitute können diese Ersparnisse an Privatanleger und institutionelle Investoren weitergeben.“
Zudem wird nach Leithners Einschätzung das Angebot an strukturellen Produkten größer und besser werden. „Emittenten können künftig noch schneller neue Produkte auflegen, die die aktuellen Börsenkurse reflektieren.“ Heute dauert es bei den meisten Wertpapieren ein bis zwei Tage, bis sie zum Handel zugelassen werden. „Bei digitalen Wertpapieren schaffen wir das künftig innerhalb eines Tages, bei einigen sogar innerhalb weniger Minuten“, sagt Leithner.
Das ist gerade bei zeitkritischen Wertpapiertypen wie Zertifikaten wichtig, denen zum Beispiel ein bestimmter Dax-Kurs zugrunde liegt. Heute werden viele dieser Zertifikate nie gehandelt, weil sich der Dax-Kurs während des Zulassungsprozesses spürbar geändert hat.
Ab November können Emittenten bei Clearstream zunächst einfache Wertpapiere digital emittieren – beispielsweise einen dreijährigen Schuldschein mit einem festen Zinssatz. „Bis Juli 2022 kommen dann schrittweise immer komplexere Finanzinstrumente dazu, beispielsweise Knock-out-Zertifikate“, erklärt Leithner. Dabei handelt es sich um Hebelprodukte, die wertlos werden, wenn der Kurs einer Aktie oder eines anderen Basiswerts eine vorher festgelegte Schwelle durchbricht.
Bei allen Finanzprodukten soll digital gespeichert werden, was im Lebenszyklus eines Wertpapiers passieren kann – zum Beispiel, ab wann eine Anleihe gekündigt werden kann oder unter welchen Bedingungen ein Wertpapier fällig oder wertlos wird. Wenn diese Fälle eintreten, wird das bei digitalen Wertpapieren vollautomatisch verbucht.

Der Börsenhandel in Deutschland läuft schon lange überwiegend elektronisch ab. Bei der Emission von Wertpapieren müssen Firmen bisher aber nach wie vor Urkunden in Papierform bei der Deutsche-Börse-Tochter Clearstream hinterlegen.
Die vom eWpG erfassten Finanzprodukte entsprechen laut Leithner etwa 80 Prozent aller in Deutschland handelbaren Wertpapiere. Etwa 80 bis 90 Prozent davon sollen bis Sommer 2022 bei Clearstream in elektronischer Form emittiert werden können. „Mitte nächsten Jahres kann also der Großteil des deutschen Wertpapiergeschäfts digitalisiert werden“, erklärt Leithner.
Aktien sind vom elektronischen Wertpapierhandelsgesetz allerdings nicht erfasst und müssen somit fürs Erste weiterhin in Papierform bei Clearstream hinterlegt werden. „Sollten die gesetzlichen Regelungen geändert werden, würden wir aber natürlich auch die Emission elektronischer Aktien unterstützen“, betont Leithner.
Auch bei den Wertpapieren, die künftig digital begeben werden können, wird die Deutsche Börse parallel weiterhin eine analoge Registrierung und Verwahrung anbieten. Bei Neuemissionen haben Banken aus Leithners Sicht aber „einen hohen Anreiz, auf elektronische Wertpapiere zu setzen, weil die Abwicklung der Geschäfte für sie dadurch einfacher und schneller wird“. Der 55-Jährige erwartet zudem, dass lang laufende Unternehmensanleihen und Fondsanteile von analogen in elektronische Wertpapiere umgewandelt werden.
Bisher werden aus der Urkunde in Papierform bestimmte Stammdaten des Wertpapiers in die Abwicklungssysteme der Deutschen Börse übertragen. Die Emittenten arbeiten in der Regel mit einer anderen Auswahl an Daten. Da es sich dabei jeweils um nicht vollständige, elektronische Abbilder von Wertpapieren handelt, müssen immer wieder Abgleiche zwischen den Datensätzen und den Originalurkunden in Papierform gemacht werden.
„Das ist offensichtlich ineffizient“, sagt Leithner. Künftig ist deshalb das digitale Exemplar eines Wertpapiers das Original. „Diesen Datensatz können alle Beteiligten jederzeit in unserem digitalen Register abfragen. Der Abgleichungsbedarf, der heute kontinuierlich besteht, fällt weg.“
Deutsche Börse will Konkurrenz Marktanteile abnehmen
Ab dem Jahr 2022 soll es zudem möglich sein, börsengehandelte Finanzprodukte bei Clearstream zu registrieren, die auf der Blockchain-Technologie basieren. „Deshalb wollen wir Verbindungen zur Fondsplattform FundsDLT in Luxemburg aufbauen sowie zu unserer Partnerfirma HQLAX, die Wertpapierleihen auf Blockchain-Basis anbietet“, kündigt Leithner an.
Deutschland hat mit dem eWpG mit anderen EU-Staaten wie Luxemburg und Irland gleichgezogen, wo die Emission elektronischer Wertpapiere schon länger möglich ist. Mit dem neuen Regelwerk und der D7-Plattform von Clearstream ist die Bundesrepublik aus Sicht von Leithner nun aber gut aufgestellt – und der Manager hofft, mithilfe von D7 Marktanteile in Europa zu gewinnen.
„Wir sind zuversichtlich, dass wir dank der neuen digitalen Plattform mehr Geschäfte aus anderen europäischen Ländern nach Frankfurt locken können“, sagt der Börsen-Vorstand. In Frankreich oder Italien gebe es ein digitales Angebot wie das von Clearstream schließlich noch nicht.
Für die Deutsche Börse hat das D7-Projekt große Bedeutung, schließlich ist Clearstream nach der Derivatebörse Eurex die zweitwichtigste Sparte des Konzerns. Im ersten Halbjahr fuhr Clearstream Nettoerlöse von 428 Millionen Euro und einen Betriebsgewinn (Ebitda) von 242 Millionen Euro ein.
Perspektivisch sieht Leithner die Chance, mit der neuen Plattform auch in „zusätzliche Wertpapierklassen“ vorzudringen, die bisher nicht bei Clearstream registriert und verwahrt werden. Dazu gehören beispielsweise große Teile des Derivategeschäfts und bilaterale Kreditvereinbarungen.
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