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Stressexperten Krömer und Diehm „Burn-out ist keine Krankheit“

Sie sind Experten für Stress – und für die Marotten von Managern. Psychiaterin Susanne Krömer und Internist Curt Diehm sprechen im Interview über Fitnesswahn, Schlaflosigkeit und als „Erschöpfung“ getarnte Depressionen.
15.04.2016 - 11:58 Uhr Kommentieren
Neue Erkenntnisse in der Stressforschung. Quelle: PR
Susanne Krömer und Curt Diehm

Neue Erkenntnisse in der Stressforschung.

(Foto: PR)

Körper und Psyche lassen sich nicht trennen: Gemäß dieser Maxime wollen der Internist Curt Diehm und die Psychiaterin Susanne Krömer, beide Spezialisten für die Behandlung von Führungskräften, das Gespräch über neue Erkenntnisse in der Stressforschung gerne gemeinsam führen. Dabei sparen sie auch ihren eigenen Umgang mit Stress nicht aus. Krömer entspannt ganz klassisch beim Yoga. Diehm hält sich mit Rasenmähen fit – und hat Freude an schönen Autos. Sein Traumwagen wäre eigentlich ein Bentley, aber mit dem will er dann doch nicht im Hof der Klinik parken.

Frau Doktor Krömer, Herr Professor Diehm ...
Diehm: Entschuldigung, darf ich Ihnen zunächst eine Frage stellen? Haben Sie letzte Nacht durchgeschlafen?

Ja, danke der Nachfrage.
Diehm: Dann haben Sie schon einmal eine ganz wichtige Voraussetzung erfüllt, um nicht stressbedingt zu erkranken. Meine Nächte sehen in der Regel aus wie die vieler Manager: Die schlafen abends vor Erschöpfung rasch ein, dann muss man nachts um zwei, halb drei auf die Toilette, und dann stellt sich die bange Frage: Schaffe ich es, wieder einzuschlafen? Mir gelingt das nicht ohne Weiteres, und damit bin ich nicht allein. Ich hatte letzte Woche einen Bundesrichter hier, der über seine Schlafstörungen klagte. Wissen Sie, was der gemacht hat? Der hat nachts Malbücher ausgemalt. Den Einschlaftipp hatte er im „Stern“ gelesen.

Und was machen Sie?
Diehm: Ich höre mir im Bett auf Youtube Übungen zum autogenen Training an. Die richtige Menge Schlaf ist wichtig. Rund sieben Stunden sollten es sein. Weniger ist auf Dauer gesundheitsschädlich. Aber auch wer regelmäßig mehr als sieben Stunden schläft, verkürzt seine Lebenserwartung.

Zauberberg für Führungskräfte Quelle: PR
Max-Grundig-Klinik in Baden-Baden

Zauberberg für Führungskräfte

(Foto: PR)

Ist das Schlafbedürfnis nicht auch eine Typfrage? Gerade Topmanager prahlen ja gerne damit, wie wenig Schlaf sie benötigen und wie früh sie aufstehen.
Diehm: Das ist in den allermeisten Fällen ein Mythos. Das Schlafbedürfnis verringert sich zwar mit dem Lebensalter etwas, und auch die Reaktionen auf vorübergehenden Schlafmangel mögen unterschiedlich sein. Aber das ändert nichts daran: Rund sieben Stunden sind das gesundheitliche Optimum.

Frau Doktor Krömer, welcher Mythos zum Thema Stress begegnet Ihnen bei der Behandlung von Managern am häufigsten?
Krömer: Das sind zwei Mythen, die sehr eng zusammenhängen: „Stress gibt es gar nicht“ und „Stress hat nichts mit mir zu tun“. Viele Manager kommen mit körperlichen Beschwerden zu uns, und wir müssen ihnen dann sagen, dass ihre körperlichen Beschwerden stressbedingte Ursachen haben.
Diehm: Die schlagen zum Beispiel bei mir als Internisten mit Herzbeschwerden auf, und ich merke im Gespräch: Da stimmt etwas nicht, und ich ziehe dann Frau Krömer hinzu.

Herr Professor Diehm, wie hat sich der typische Stresspatient in den über 40 Jahren Ihrer Berufspraxis verändert?
Diehm: Vor 40 Jahren galt der stressbedingte Herzinfarkt als typische Managerkrankheit – und geradezu als Statussymbol, als Nachweis der eigenen Leistungsfähigkeit. So richtig gestimmt hat das eigentlich nie. Manager sind sehr lösungsorientiert, wenn die ein körperliches gesundheitliches Problem haben, gehen sie es an, versuchen zum Beispiel, ihren Blutdruck und damit ihr Infarktrisiko zu senken. Heute wissen wir: Herzinfarkt und Schlaganfall sind eher typische Erkrankungen der niedrigeren sozialen Schichten. Was aber in den vergangenen Jahrzehnten enorm zugenommen hat, sind die schon erwähnten stressbedingten somatischen Diagnosen, also die körperlichen Beschwerden, deren Ursache eigentlich in der Psyche liegt.

Woher kommt dieser Anstieg?
Krömer: Die Digitalisierung hat zu einer Entgrenzung von Beruf und Privatleben geführt. Wir kommunizieren heute häufig über mehrere Zeitzonen hinweg und glauben, ständig erreichbar sein zu müssen. Zudem hat die Globalisierung den Wettbewerbs- und Effizienzdruck in vielen Berufen erhöht. Es hat sich in der Geschichte schon häufiger gezeigt, dass rasche gesellschaftliche Veränderungen Menschen irritieren und zu Erschöpfungssymptomen führen. Nur die Bezeichnungen ändern sich. Was wir heute als Burn-out bezeichnen, nannte man zur Zeit der Industrialisierung Neurasthenie. Hinzu kommt, dass solche psychischen Diagnosen heute weniger stigmatisiert sind. Wer glaubt, davon betroffen zu sein, begibt sich deshalb eher in Behandlung als früher.

Diehm: Burn-out ist noch keine Erkrankung. Das merken Sie schon daran, dass das Wort nahezu ausschließlich in Deutschland, Österreich und der Schweiz verwendet wird. In Wahrheit verbirgt sich hinter dem, was wir als Burn-out bezeichnen, fast immer eine Depression. Aber im Unterschied zur Depression ist Burn-out als Diagnose heute fast so sexy wie früher der Herzinfarkt. Soll mir recht sein. Wenn jemand dem Arzt sagt, er hat einen Burn-out, kommt er wenigstens in fachkundige Hände. Während ein Manager sich vielleicht früher nicht zum Arzt getraut hätte, weil er die stigmatisierende Diagnose einer Depression fürchtete. Der hätte dann immer weitergemacht und gelitten wie ein Hund.

Wie bitte? Gefühlt halb Deutschland hat Burn-out, und Sie sagen, die Krankheit gibt es gar nicht?
Krömer: Ein Burn-out ist ein Risikozustand. Wenn man sich erschöpft fühlt, die Leistungsfähigkeit abnimmt und Persönlichkeitsveränderungen auftreten, zum Beispiel plötzliche Reizbarkeit und Zynismus, dann kann man von einem Burn-out sprechen. Das ist aber noch keine Krankheit. Wenn man sich in diesem Zustand Erholung gönnt, verschwinden die Symptome meist rasch wieder. Nur wenn man über Monate weitermacht, entwickeln sich aus dem Risikozustand echte Krankheiten: Depressionen, Herzkrankheiten oder auch Alkoholismus. Tatsächlich kommen oft Menschen zu uns, die sagen, sie hätten Burn-out, und in Wahrheit stecken sie längst in einer Depression – die übrigens in den meisten Fällen sehr gut behandelbar ist.

Zu den bekanntesten Topmanagern, die sich zu ihrem Burn-out bekannt haben, gehört der ehemalige Bertelsmann-Chef Hartmut Ostrowski. Ist die oberste Führungsetage besonders gefährdet, in eine stressbedingte Erkrankung zu rutschen?
Krömer: Stressbedingte Erkrankungen sind eher ein Phänomen der zweiten und dritten Führungsebene. Diese Mittelmanager tragen auch viel Verantwortung, haben aber wenig Entscheidungsspielraum. Sie müssen durchsetzen, was andere beschlossen haben, und mit dem Druck ihrer Vorgesetzten wie auch dem Unmut ihrer Mitarbeiter klarkommen.

Diehm: Ich gehe sogar so weit zu sagen: Der Job alleine macht Sie in der Regel nicht krank, und wenn er noch so fordernd ist. Als ansonsten gesunder Mensch können Sie mit einer ganzen Menge beruflichem Druck klarkommen. Sie brauchen sogar ein gewisses Maß an Druck, um ihre volle Leistung abrufen zu können. Schwierig wird es, wenn auch die anderen Lebensbereiche Stress machen. Und das ist bei Managern besonders häufig der Fall. Die Ehefrau ist sauer, weil der Gatte nie zu Hause ist. Die Geliebte wäre gern die neue Ehefrau. Die Kinder sieht man eh viel zu selten. Auch eine narzisstische Persönlichkeitsstörung kann bei Managern zu Stresserkrankungen führen.

Vom Narzissmus zum Burn-out, wie geht das?
Krömer: Narzisstische Persönlichkeiten sind auf permanente Anerkennung durch andere angewiesen. Wenn sie meinen, diese Anerkennung nur durch Leistung erlangen zu können, gehen sie ständig an ihre Grenzen und darüber hinaus. Das ist dann sehr belastend.

Der selbst gesetzte Zwang zur Höchstleistung setzt sich bei Managern ja inzwischen in der Freizeit fort. Früher reichte es, gelegentlich mal joggen zu gehen. Heute ist der jährliche Marathon Standard. Und um beim Small Talk zu glänzen, muss es schon der Triathlon sein. Hat diese Fitnesswelle aus Ihrer Sicht auch etwas Narzisstisches?
Diehm: Absolut! Am deutlichsten wird dieses narzisstische Element an den unnatürlich vergrößerten Brustmuskeln, die sich neuerdings viele meiner männlichen Patienten antrainiert haben. Die braucht keiner von denen. Klar, auch wir empfehlen unseren Patienten, sich eine Stunde am Tag körperlich zu bewegen, aber bitte mit Augenmaß. Ein Marathon ist eine Schinderei für den Körper und erhöht das Risiko, an einer Herzrhythmusstörung zu erkranken. Den Fitnesswahn der Manager halte ich für eine psychopathologisch höchst bedenkliche Entwicklung.

Krömer: Das hat bei Managern auch viel mit ihrem stark ausgeprägten Wettbewerbsgeist zu tun: mein Haus, mein Auto, mein Pferd, meine Pferdetrainerin ...

... meine Marathonzeit.
Krömer: Genau. Dabei handelt es sich aber nicht gleich um eine Persönlichkeitsstörung, zu der gehört schon mehr, sondern um Persönlichkeitsmerkmale.
Diehm: Dass es bei dem Fitnesskult der Manager nicht nur um die körperliche Gesundheit geht, sehe ich allein schon daran, dass ich in meiner Sprechstunde Triathleten erlebe, die rauchen wie ein Schlot.

Rauchende Manager, gibt’s die noch? In Gesprächen kriegt man eher den Eindruck, dass Zigaretten und Alkohol für Manager inzwischen fast ein Tabu sind.
Diehm: Da ist unsere Erfahrung ganz anders, das zeigen auch Studien, die wir durchgeführt haben. Gerade Alkohol ist unter Managern immer noch sehr verbreitet als Entspannungshilfe am Abend ...
Krömer: ... die sehr leicht und sehr oft in die Abhängigkeit führt.

Vielen Dank für das Interview.

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