Gastbeitrag: Warum die junge Generation Staatsschulden nicht fürchten muss

Wie stark sich der Staat verschulden soll, ist unter Ökonomen umstritten.
Kopenhagen, Frankfurt. Die Coronakrise stellt für weite Teile der Bevölkerung eine große wirtschaftliche Herausforderung dar. Die junge Generation scheint aber doppelt betroffen. Zum einen beeinträchtigt die Krise jetzt ihre Berufs- und Einkommenschancen, weil die Bedingungen an Schulen und Universtäten schwierig, und die Suche nach einem angemessen Arbeits- oder Ausbildungsplatz zur Geduldsprobe oder womöglich ganz aussichtlos wird.
Zum anderen kommt in der Zukunft die immense Schuldenlast hinzu, die allein von der jungen Generation zu schultern ist, während wir – die alte Generation – von den Maßnahmen gegen die Krise, vor allem dem Konjunkturpaket, profitieren.
Der Haken ist: während die erste Beobachtung richtig ist, ist die Schuldenlast für die junge Generation als Ganzes kein Grund zum Stöhnen. Denn sie erbt nicht nur die Schulden des Staates, sondern auch die Forderungen an ihn. Damit zahlen morgen die jungen Leute von heute an sich selbst zurück. Und da der Jargon der Ökonomen bei der Verdeutlichung dieser Zusammenhänge vermutlich eher hinderlich ist, haben wir die Zusammenhänge in ein Beispiel, eine Analogie gekleidet.
Franz ist dreizehn Jahre alt und geht in die siebte Klasse. Sein Vater ist Handwerksmeister und die vergangenen zehn Jahre lief der Betrieb gut. Ein Teil des Bankkredits, den der Vater vor Jahren aufnehmen musste, wurde zurückgezahlt und in den Sommerferien ging es mit dem Camper durch Kanada.
Jetzt aber hat sich die Mutter mit einem Virus infiziert und muss über Wochen in stationäre Behandlung. Der Vater kümmert sich um sie und schließt vorübergehend den Betrieb. Dadurch verliert nicht nur er sein Einkommen, sondern auch seine beiden Angestellten, denn er muss sie entlassen.
Auf der Mitgliederversammlung des Sportvereins erzählt der Vater von seiner Notlage. Dabei erfährt er, dass das Virus auch anderen Vereinsmitgliedern schwer zu schaffen macht. Wieder andere dagegen sind nicht betroffen und haben bislang sichere Jobs. Sie sparen sogar mehr als zuvor, weil die Zeiten unsicher sind und man ja nicht weiß, was die Zukunft noch alles bringen wird.
Vertrauenswürdige Kreditnehmer
Da hat jemand aus der Versammlung eine Idee: Jene Mitglieder, die von der Krise nicht betroffen sind, leihen Franz‘ Papa und den anderen von der Krise Gebeutelten Geld, statt es auf dem Girokonto zu halten. Damit kann der Vater Miete, Löhne und andere Ausgaben finanzieren und so durch die Krise kommen. Das würde auch Franz und den Kindern der Angestellten seines Vaters helfen, denn so müssen sie nicht auf die Nachhilfestunden und – noch wichtiger – auf das Taschengeld verzichten.
Dennoch überlegen der Vater und seine Freunde, ob sie das Angebot annehmen sollen, weil sie nicht wissen, ob sie in der Zukunft die Zinsen zahlen und die Schulden zurückzahlen können. Auch einige Familien, die Kredit geben könnten, zögern, weil sie unsicher sind, ob sie ihr Geld wiederbekommen.
Die nächste Idee kommt von der Vereinsführung. Vereinsvorsitzender Merker und Kassenwartin Schlitz achten stets darauf, dass der Verein solide finanziert ist. Jetzt schlagen sie vor, dass nicht einzelne Mitglieder anderen Geld leihen, sondern der Verein sich Geld bei seinen Mitgliedern leiht. Mit dem Geld soll endlich die marode Sporthalle modernisiert werden. Damit können die Angestellten der Handwerksbetriebe weiterhin ihr Gehalt bekommen und der Verein eine moderne Sporthalle.
Dies finden alle gut: die Sparer, weil der Verein kreditwürdiger ist als jedes einzelne Mitglied; die von der Krise betroffenen Familien, weil sie auf die Solidarität der Vereinsmitglieder setzen können; und jene, die weder Geld aufnehmen noch stärker sparen wollen, weil sie wissen, dass nun ihr Einkommen nicht mehr so stark durch den Rückgang der Nachfrage von Sparern und Kreditnehmern bedroht ist, den das Virus auslöst. Als in der Mitgliederversammlung um Zustimmung gebeten wird, reckt daher Nachhilfelehrer Müller seine Hand besonders hoch.
So sind alle zufrieden. Nur Franz wird plötzlich nachdenklich. Er hat im Fernsehen gehört, dass Schulden immer die junge Generation belasten, also auch ihn. Ihm ist auch sofort klar: wenn er Mitglied des Vereins bleibt, muss er sich künftig an der Rückzahlung der Schulden beteiligen.
Belastungen nicht wahrgenommen
Jugendwartin Kerstin, die gerade ihr erstes Semester Volkswirtschaftslehre hinter sich hat, beruhigt ihn aber: ja, Vereinsmitglieder müssen später die Schulden zurückzahlen; aber diese Zahlung geht wieder an Vereinsmitglieder.
Franz schüttelt verständnislos den Kopf. Aber Kerstin erklärt: Franz, Du und alle anderen jungen Vereinsmitglieder, ihr erbt zum einen das, was der Verein besitzt, z.B. das Vereinsheim, die renovierte Sporthalle, die Bankkonten; zum anderen erbt ihr die Schulden des Vereins, die aber für einige von Euch auch Forderungen an den Verein darstellen.
Was Du in Zukunft zahlst, hängt also davon ab, wieviel Du verdienst (denn daran wird der Vereinsbeitrag bemessen) und davon, was der Verein Dir schuldet (also ob Du Forderungen an den Verein hast). Das gilt für alle anderen jungen Leute auch. In der Zukunft zahlen also Vereinsmitglieder an andere Vereinsmitglieder. Das Geld bleibt in der jungen Generation, sie wird als Ganzes also nicht belastet.
Jetzt ist auch Franz zufrieden. Denn er kann sich auf eine bessere Sporthalle freuen, bekommt wieder Taschengeld und kann weiter den Nachhilfeunterricht besuchen. Damit kann er die Schule besser absolvieren und seine Chancen steigen, später mehr Geld zu verdienen. Und er ahnt, wem er dies zu verdanken hat: dem Verein, der Vereinsführung und allen Vereinsmitgliedern. Wenn er also in Zukunft einen höheren Vereinsbeitrag leisten muss, um die Schulden des Vereins zu bedienen, ist dies in Ordnung.
Die Schulden werden für die künftige Generation nur dann zum Problem, wenn die Modernisierung der Sporthalle scheitert, der Traum von der besseren Ausbildung platzt oder die reicheren Vereinsmitglieder in Zukunft nicht mehr zum Wohle des Vereins beitragen wollen. In diesem Fall leiden darunter jene, die per Mitgliedsbeitrag die Schulden bedienen und zurückzahlen sollen, und jene, die Forderungen an den Verein halten.
Damit endet unser Beispiel. Und wie bei jedem Beispiel stellt sich die Frage, wie weit es trägt. Vielleicht hilft da die Perspektive der jungen Generation unter den Bundeskanzlern Schmidt und Kohl. Deren Regierungen verschuldeten sich zwar in keinem Jahr so stark wie die Bundesregierung nun 2020. Aber damals lag die Neuverschuldung über mehrere Jahre hinweg bei über drei Prozent des BIP, und entsprechend groß waren die Warnungen wie sehr wir, die Autoren dieses Beitrags, in Zukunft belastet würden.
Wir haben diese Belastungen nicht wahrgenommen. Die Modernisierung des Landes funktionierte, die Ausbildungsbedingungen waren gut und Krisen die Ausnahme. Und ja, wir haben Steuern gezahlt, damit der Bund Zinsen zahlen und Schulden begleichen konnte. Aber da diese Mittel wiederum an unsere Generation ausgezahlt wurden, hat sie insgesamt durch die damalige Verschuldung nicht gelitten.
Holger Sandte ist Dozent am DIS Copenhagen. Adalbert Winkler ist Professor für International and Development Finance an der Frankfurt School of Finance & Management.





