Gastkommentar: Deutschland wird nur mit höheren Steuern verteidigungsfähig

Investitionen in die Sicherheit Europas und Deutschlands sind alternativlos. Wir sollten uns aber ehrlich eingestehen: Die jährlich notwendigen 140 Milliarden Euro für Deutschland zur Erreichung des angestrebten Nato-Ziels sind nur dann nachhaltig zu stemmen, wenn wir heute auf Wohlstand verzichten. Und der einzige Weg, dies zu erreichen, geht über höhere Steuern – ein bisher von der Bundesregierung gepflegtes Tabu. Durch den Rückgang der Verteidigungsausgaben in den vergangenen Jahrzehnten hat Deutschland über die eigenen Verhältnisse gelebt. Die Erhöhung der Verteidigungsausgaben um 3,5 Prozentpunkte der Wirtschaftsleistung – also 140 Milliarden Euro jährlich für Deutschland – bedeutet zwangsläufig, dass wir Verzicht üben müssen und der Wohlstand sinken wird, im Schnitt etwa um 1800 Euro pro Kopf jährlich. Im Gegenzug erhalten wir mehr Sicherheit. Mit der Entscheidung, diese Ausgaben über Schulden zu finanzieren, hat der Bundestag die Last primär auf künftige Generationen abgewälzt. Das ist weder sozial noch ökonomisch oder politisch gerechtfertigt. Es ist ein eklatanter Bruch des Generationenvertrags. Verteidigungsausgaben sind größtenteils wie Konsumausgaben: Sie erhöhen das Wachstumspotenzial nicht. Im Gegenteil: Im Vergleich zu alternativen Verwendungen, insbesondere zu öffentlichen Investitionen, senken sie es. Studien belegen einen Multiplikator von knapp 0,7. Ein zusätzlicher Euro für Verteidigung schafft im Schnitt nur 70 Cent an zusätzlicher Wirtschaftsleistung, nicht zuletzt weil ein erheblicher Teil der Ausgaben ins Ausland fließt – zu Recht, da dies effizienter ist. Schließlich muss das Ziel die bestmögliche Sicherheit sein und nicht die Förderung heimischer Rüstungsunternehmen. Die Hoffnung, Verteidigungsausgaben könnten Innovationsschübe auslösen, wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit als Illusion erweisen. » Lesen Sie auch: 15 EU-Länder nutzen Schuldenregel-Ausnahme für die Aufrüstung Bei einem nominalen Wachstumspotenzial von 2,5 Prozent und einem Verteidigungsausgabenwachstum von fünf Prozent ergibt sich ein jährlicher Anstieg der Schuldenquote um etwa 2,5 Prozentpunkte. Eine schuldenbasierte Finanzierung – wie sie nun erlaubt ist – wird also nicht nachhaltig sein. Sie ist zudem ein eklatanter Bruch mit den europäischen Fiskalregeln und unterstreicht die Bigotterie Deutschlands: Allzu häufig ermahnen wir unsere Nachbarn, sich an die gemeinsamen Regeln zu halten, selbst sehen wir uns jedoch durch diese nicht gebunden. Bei einem Bundeshaushalt von rund 500 Milliarden Euro ist es illusorisch, die zusätzlichen Ausgaben allein durch Kürzungen zu finanzieren. Zumal Deutschland dringend höhere öffentliche Investitionen benötigt. Deren Multiplikator liegt mit rund zwei deutlich über dem für Verteidigungsausgaben. Eine Ausnahme von der Schuldenbremse zugunsten der Verteidigung ist also nicht tragfähig. Eine Reform der Schuldenbremse, die gezielt Investitionen erlaubt, wäre hingegen finanzpolitisch sinnvoll und würde die Schuldenquote langfristig sogar senken. Die Entscheidung, die Ausgaben über Schulden zu finanzieren, ist letztlich ein Sieg der Union. Denn die Union hat Steuererhöhungen kategorisch ausgeschlossen. Mit diesem Tabu muss die Bundesregierung brechen, wenn sie Deutschland sicher und zugleich wirtschaftlich zukunftsfähig machen will. Die Eckpunkte einer überfälligen Steuerreform liegen auf der Hand: Würde der deutsche Staat Vermögen genauso stark besteuern wie Frankreich, Großbritannien oder die USA, würde er bis zu drei Prozent des BIP oder 120 Milliarden Euro an zusätzlichen Einnahmen pro Jahr generieren und könnte dadurch die Finanzierungslücke für Verteidigung schließen. Zudem muss die Bundesregierung dringend die gemeinsame Verteidigungsfähigkeit Europas in den Mittelpunkt stellen, statt eine nationale Strategie zu verfolgen. Dafür ist ein gemeinsamer europäischer Einkauf im Verteidigungsbereich essenziell. Die 27 EU-Staaten geben derzeit zusammen mehr für Verteidigung aus als Russland – verfügen aber nur über einen Bruchteil der Fähigkeiten. Die Finanzierung gemeinsamer Verteidigungsausgaben Europas rechtfertigt auch europäische Schulden. In Deutschland ist die Aversion dagegen groß. Eine Finanzierungsgrundlage über gemeinsame europäische Steuern könnte diese Ablehnung reduzieren. Deutschland und Europa erkennen nun schmerzlich die Defizite ihrer Verteidigungsfähigkeit. Die Politik darf die Folgen ihres Versagens aber nicht künftigen Generationen aufbürden, sondern muss jetzt volle Verantwortung übernehmen. Sicherheit erfordert zwingend einen Verzicht auf Wohlstand. Dieser Verzicht kann primär nur über höhere Steuern – insbesondere für große Vermögen – finanziert werden. Der Autor: Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) Mehr: 100 Milliarden Euro für Investitionen – So plant Schwarz-Rot den Deutschlandfonds