Gastkommentar: Die Friedensdividende ist verbraucht: Putin, Russland und die verspätete Nation

Wladimir Putins Angriff auf die Donbass-Gebiete der Ukraine führt uns deutlich vor Augen, dass die Friedensdividende des Endes des Kalten Krieges endgültig aufgebraucht ist. Wie bis zum Jahr 1990 sehen wir uns nun erneut durch einen „Wettstreit der großen Mächte“ (Global Power Competition) herausgefordert, und zwar politisch und ökonomisch. Die Hoffnungen, die vor gut dreißig Jahren berechtigt erscheinen mochten, haben sich nicht erfüllt.
Und das gilt nicht nur hinsichtlich Russlands, für das man seinerzeit auf eine ökonomische und sicherheitspolitische Integration gesetzt hatte, sondern ebenso mit Blick auf die Volksrepublik China, für die man auf Basis der Modernisierungshypothese eine durch Freihandel und wirtschaftliche Integration ermöglichte Demokratisierung des Systems erwartet hatte. Der Systemkonflikt, der aus dem Wettbewerb unterschiedlicher Ordnungsmodelle und volkswirtschaftlicher Strukturen entstanden ist, fordert den transatlantischen Westen heraus, neue Positionen zu beziehen.
Diese sind aber angesichts schwindender Bindung zwischen den USA und Europa oder unterschiedlicher Bewertungen der notwendigen Verteidigungsleistungen nicht einfach zu formulieren. Die gemeinsame Sicherheit ist ebenso herausgefordert wie das Verständnis politischer und ökonomischer Identität, kurzum: Demokratie und Marktwirtschaft als zwei Seiten einer Medaille zu verstehen. Das führt zu grundlegend veränderten Aussichten für die Globalisierung, die bereits seit der Finanz- und Wirtschaftskrise in den Jahren 2008/09 deutliche Tendenzen einer Erschöpfung zeigt.





