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GastkommentarDie Grünen irren mit ihrer Fundamentalkritik an Reiche

Der Auftrag zum Monitoring der Energiewende treibt das grüne Lager auf die Barrikaden. Eine Re-Ideologisierung der zuletzt pragmatischeren Partei wäre ein Fehler, warnt Friedbert Pflüger. 02.09.2025 - 04:16 Uhr Artikel anhören
Friedbert Pflüger ist Gründungspartner des gemeinnützigen Clean Energy Forum (CEF) und Aufsichtsratsvorsitzender der Gas- und Wasserstoffwirtschaft. Foto: dpa, picture alliance/dpa

Der Energie- und Klimapolitik droht der Verlust des Grundkonsenses, der sie seit Beginn der Ära Merkel prägt. Viel spricht dafür, dass die Grünen und ihre Vorfeldorganisationen die pragmatischen Ansätze Robert Habecks über Bord werfen. Eine neue Polarisierung deutet sich an.

Stein des Anstoßes ist das von Bundeswirtschafts- und Energieministerin Katherina Reiche in Auftrag gegebene „Monitoring“ zum Stand der Energiewende. Schon vor der Veröffentlichung ist etwa für die Deutsche Umwelthilfe (DUH) klar, dass hier „Sabotage an der Energiewende“ betrieben wird. Der frühere grüne Staatssekretär Sven Giegold oder die Kampagnenplattform Compact e.V. wollen die „Fossil-Ministerin“ Reiche stoppen.

Die Aufregung speist sich zunächst daraus, dass das Bundeswirtschaftsministerium das bisher faktische Beratungsmonopol einiger Thinktanks mit traditioneller Nähe zu den Grünen erstmals durchbrochen und stattdessen das Energiewirtschaftliche Institut (EWI) der Universität Köln und die BET-Beratung mit dem Monitoring beauftragt hat.

Da fürchten jetzt manche Platzhalter, dass die Kontrolle über Gang und Narrativ der Energiewende verloren geht. Es könnten unbequeme Wahrheiten zutage treten: dass die bisherige Klimapolitik auf Bezahlbarkeit, Kosteneffizienz oder Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft kaum Wert gelegt hat; dass sowohl der Kohleausstieg wie auch der Wasserstoffhochlauf stockt; dass wir wegen eines verkorksten Heizungsgesetzes keine Wärmewende und wegen des Zickzackkurses bei der E-Mobilität und der Blockade gegen erneuerbare Kraftstoffe keine Verkehrswende geschafft haben.

Man fürchtet, dass offenbar wird, dass die Verkündung ehrgeiziger Klimaziele für sich noch keinen Erfolg darstellt.

Die Aufregung der Grünen ist parteipolitisch motiviert

Auch wenn der Koalitionsvertrag und die Politik von Wirtschaftsministerin Reiche manche Kurskorrektur vornehmen, so wirkt die übergroße Aufregung im grünen Lager doch weit hergeholt und vor allem partei- beziehungsweise machtpolitisch motiviert.

In weiten Teilen gibt es nämlich auch Kontinuität: Die neue Regierung hält am Bau neuer (wasserstofffähiger) Gaskraftwerke und dem Bau von Importkapazitäten bei LNG fest, ganz auf der Linie von Habeck. Das gilt auch für Carbon Capture Storage (CCS), ebenso wie für das Wasserstoffkernnetz, das Wasserstoffbeschleunigungsgesetz und (ganz sicher!) für den weiteren Ausbau von Wind- und Solarenergie, einschließlich der Netze und Speicher.

Der Hinweis, dass es nicht reicht, sich am Zubau zu erfreuen, sondern dass der nur Sinn macht, wo erneuerbarer Strom auch gebraucht und in ein Netz gespeist werden kann, hat nichts mit „Sabotage“ zu tun. Das gilt auch, wenn wohlklingende Forderungen mit einem Preisschild versehen werden.

Es wäre ein großer Fehler, wenn die Grünen und die mit ihnen sympathisierenden NGOs  auf eine Re-Ideologisierung ihrer in den letzten Jahren pragmatischer gewordenen Politik setzen würden.

Das grundlegende gesellschaftliche Paradigma hat sich nämlich gewandelt: Klimathemen werden weniger wichtig genommen, Themen wie Arbeitslosigkeit, Migration, Reform der Sozialsysteme oder die Sicherung von Frieden und Freiheit sind nach vorn gerückt.

Grüner Fundamentalismus gefährdet die Akzeptanz der Energiewende

Früher mag man mit Fundamentalismus erfolgreich gewesen sein, heute würden sich die Grünen damit ins Abseits schießen. Vor allem: Sie würden die Akzeptanz der Energiewende in der Bevölkerung gefährden.

Die erneuerbaren Energien sind und bleiben im Zentrum der Energiewende. Wer wollte das bestreiten? Aber die Konzentration allein darauf ist ein Irrweg.

CCS und die Nutzung von CO2, blauer und türkiser Wasserstoff, synthetisches Methan und E-Fuels (die nichts anderes sind als Erneuerbare aus der Flasche) – warum sollten wir dafür nicht offen sein?Das gilt auch für Kernfusion oder eine neue Generation von Nuklearenergie, die sogenannten „kleinen modularen Atomreaktoren“ (Small Modular Reactors, SMR).

Frau Reiche traf sich im Juni mit Vertretern der Nuklear-Allianz innerhalb der EU, der mittlerweile mehr als die Hälfte der EU-Staaten angehören. Ist es nicht richtig, erst einmal zu beobachten und zu prüfen, was andere Länder vorhaben?

Polen und Kanada haben gerade eine Vereinbarung über eine Partnerschaft bei SMR unterzeichnet – und wir sollen uns so etwas nicht anschauen, was etwa für das Betreiben von KI-Datencentern von entscheidender Bedeutung sein könnte?

Ist ein Rat an die Grünen erlaubt? Sie sollten die Unterstützer der Energiewende in der Wirtschaft mitnehmen – und nicht beschimpfen.

Ich bin seit vier Jahren Aufsichtsratsvorsitzender der Gas- und Wasserstoffwirtschaft, eines Lobbyverbands von 130 Energieunternehmen. Ich kenne dort niemanden, der nicht die Transformation in Richtung Wasserstoff, synthetisches Methan, Biomethan und dergleichen befürwortet.

Wenn die Grünen aber mit Radikalforderungen kommen, notwendige Brücken auf dem Weg zur Klimaneutralität als „Verlängerung fossiler Geschäftsmodelle“ ablehnen, Praxiserfahrungen als Lobbyismus zur Profitmaximierung diffamieren, dann verlieren sie wichtige Partner.

Die Mehrheit in Wirtschaft und Gesellschaft will weiterhin Klimapolitik. Aber sie lehnt Alarmismus, Überehrgeiz, Fundamentalismus, Moralismus und Diffamierung Andersdenkender ab. Energiewende kann man nicht gegen Wirtschaft und Gesellschaft machen.

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Der Autor: Friedbert Pflüger ist Gründungspartner des gemeinnützigen Clean Energy Forum (CEF) und Aufsichtsratsvorsitzender der Gas- und Wasserstoffwirtschaft. 

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