1. Startseite
  2. Meinung
  3. Kommentare
  4. Kommentar: Wofür braucht es die Grünen eigentlich noch?

KommentarWofür braucht es die Grünen eigentlich noch?

Die Grünen haben das Denken und Debattieren wiederentdeckt. Aber wofür sie stehen, wird auch nach dem Parteitag kaum deutlich. Dabei könnte die Antwort so nahe liegen.Julian Olk 30.11.2025 - 17:16 Uhr
Artikel anhören
Grünen-Co-Parteichef Felix Banaszak: Mutige, aber komplizierte Klimaidee. Foto: Michael Matthey/dpa

Über Hannover existiert der alte Scherz: Das einzige, wofür diese Stadt bekannt ist, ist das einwandfreie Hochdeutsch der Bewohner. Langeweile als Credo. Die Grünen, eine Oppositionspartei in der Selbstfindungsphase, schienen schon mit der Auswahl des Ortes für ihren Bundesparteitag Erwartungsmanagement zu betreiben.

Der erste Parteitag nach der Ära von Robert Habeck und Annalena Baerbock schien auch zuerst dieser Langeweile gerecht zu werden. Aber das sollte sich ändern.

Die Parteispitze hat sich der Frage angenommen, wofür es die Grünen noch braucht. Aber eine Antwort, die auch außerhalb der Messehalle in Hannover durchdringen wird, hat sie nicht geliefert.

Zuerst die gute Nachricht: Die orientierungslosen Grünen sind nicht mehr orientierungslos. Nach der Niederlage bei der Bundestagswahl Anfang des Jahres und dem Gang in die Opposition war jeder kleinste verbale wie auch programmatische Schritt vermieden worden. In den Jahren des Personenkults um Habeck und Baerbock hatten die Grünen das Denken verlernt.

Jetzt aber haben sie gezeigt, dass sie dazu wieder in der Lage sind. Die Grünen können wieder offen debattieren und haben auch verstanden, dass eine freche Oppositionsrhetorik sie nicht gleich zu Populisten werden lässt. „Scheiße“ und „Mittelfinger“ nahmen die Parteichefs Franziska Brantner und Felix Banaszak bei ihren Reden in den Mund. Oha.

Parteitag

Die Grünen vollziehen den rabiaten Neuanfang beim Klimaschutz – nur einer macht nicht mit

Brantner und Banaszak betonten zu Recht, dass die Debatte, ob die Grünen als Antwort auf die Wahlniederlage noch mehr in die Mitte oder zurück nach links rücken müssten, die falsche ist. Weder der niederländische Wahlsieger Rob Jetten, der mit Ökoliberalismus punktete, noch New Yorks neuer Bürgermeister Zohran Mamdani, der auf Ökosozialismus setzt, sind passende Vorbilder für die deutschen Grünen. Die sind schließlich zwischen Linkspartei auf der einen sowie Union und SPD auf der anderen Seite eingeklemmt.

Der einzige Weg für die Grünen ist es zu zeigen, wofür Grün tatsächlich steht.

Grüne trauen sich nicht, eine klare Richtung vorzugeben

Jetzt aber die schlechte Nachricht: Das wird auch nach dem Parteitag kaum einer verstehen. Die Grünen haben die Methode Habeck verändert, aber nicht abgeschüttelt.

Der frühere Vizekanzler wurde beliebig, weil er sich zu fast allen Positionen kompromissbereit zeigte. Jetzt legen sich die Grünen in Detailfragen zwar deutlich fest. Aber sie trauen sich nicht, sich eine echte Richtung zu geben, wo sie bei welchem Thema stehen.

Klimaschutz: Die Grünen haben ihr Kernthema wieder laut gestellt. Klimaschutz mag gerade keine Konjunktur haben, aber ohne das Thema braucht es die Grünen nicht. Banaszak war mutig und legte ein kreatives, neues Narrativ vor: Einerseits sollen die Grünen den Leuten nicht vorschreiben, wie viel sie zu fliegen oder Auto zu fahren haben, sondern durch soziale Maßnahmen Ökologie für alle möglich machen. Andererseits sollen die Kosten dafür stärker von „Superreichen“ getragen werden.

Klimaschutz nicht mehr als Wirtschaftswunder, sondern als Kostenfaktor anzuerkennen, ist richtig. Es ist die einzige, kleine Chance, das Thema aus dem Kulturkampf herauszulösen. Aber es jetzt mit dem Klassenkampf zu verbinden, könnte das Thema genau wieder dorthin bringen. Der englische Grünen-Chef Zack Polanski hat damit nur Erfolg, weil dort die komplette politische Linke verwaist ist.

Rente: Das aktuelle Großthema wurde auf dem Parteitag gar nicht behandelt. Dafür hatte die Bundestagsfraktion der Grünen kürzlich ein Papier vorgelegt: weg mit der abschlagsfreien Frühverrentung, dafür Rentenniveau-Haltelinie gleich einmal bis 2039. Damit ist es den Grünen gelungen, die SPD gleichzeitig rechts und links zu überholen.

Wehrdienst: Vor dem Parteitag gingen die Meinungen weit auseinander, von einer Verpflichtung bis zur vollständigen Freiwilligkeit. Der Parteitag einigte sich auf Freiwilligkeit beim Wehrdienst, aber auf eine verpflichtende Musterung.

Generationengerechtigkeit als große Chance

In der Summe entsteht keine Gesamterzählung für die Grünen. Dabei läge diese so nahe: Union, SPD und Linkspartei lassen alle Türen offen, sich als die Partei für die jungen Leute zu positionieren. Rhetorisch haben das die Grünen beim Parteitag getan.

Aber das ist eben nicht programmatisch unterlegt. Der Teil der Jugend, der auf Klassenkampf steht, wird kaum von Heidi Reichinnek wegzuholen sein, auch nicht mit Klimaschutz. Bei der Rente bräuchte es einen echten Reformvorschlag, der nicht die eine Zumutung (Frühverrentung) mit dem Gegenteil dessen (Haltelinie) aufwiegt. Auch die berechtigte Kritik an der Bundesregierung wegen der Zweckentfremdung der neuen Schulden für Infrastruktur und Verteidigung könnte die Partei noch viel mehr als Generationsfrage erzählen.

Verwandte Themen Felix Banaszak SPD Die Linke Franziska Brantner Bundestagswahl

Bei den Grünen kommt dann gern das Argument, die Gesamterzählung brauche es gar nicht, man könne unterschiedliche Milieus auch unterschiedlich ansprechen. Das ist ein Irrglaube. Welche Botschaft wo in der Bevölkerung ankommt, ist kaum zu steuern.

Mehr: „Steuererhöhungen unvermeidbar“: Ökonomen warnen vor hohen Kosten des Rentenpakets

Mehr zum Thema
Unsere Partner
Anzeige
remind.me
Jetziges Strom-/Gaspreistief nutzen, bevor die Preise wieder steigen
Anzeige
Homeday
Immobilienbewertung von Homeday - kostenlos, unverbindlich & schnell
Anzeige
IT Boltwise
Fachmagazin in Deutschland mit Fokus auf Künstliche Intelligenz und Robotik
Anzeige
Presseportal
Direkt hier lesen!
Anzeige
STELLENMARKT
Mit unserem Karriere-Portal den Traumjob finden
Anzeige
Expertentesten.de
Produktvergleich - schnell zum besten Produkt