Gastkommentar: Die Wirtschaft muss sich auf ein weiteres Jahr Achterbahnfahrt einstellen

Prof. Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin).
Selten in den vergangenen Jahrzehnten haben wir auf ein neues Jahr mit so viel Unsicherheit, Sorge und auch Angst geschaut wie heute. Wir befinden uns mitten in der vierten Welle der Coronapandemie, und niemand weiß, ob sie im neuen Jahr endlich nachhaltig oder wieder nur vorübergehend abklingen und neue Katastrophen hervorrufen wird. Diese Unsicherheit ist Gift für die Wirtschaft. Alle Prognosen werden wieder einmal nicht das Papier wert sein, auf dem sie geschrieben stehen.
Wir müssen uns zumindest für die Wirtschaft auf ein weiteres Jahr Achterbahnfahrt einstellen – es wird Aufs und Abs geben, unerwartete Wendungen, Hoffnungsschimmer und auch Rückschläge. Die Wirtschaftsprognosen der vergangenen zwei Jahre lagen fast immer völlig daneben, mal waren sie viel zu pessimistisch, dann wieder zu optimistisch. Am Anfang der Pandemie im Frühjahr und Sommer 2020 befürchtete man das Schlimmste, auch für die Wirtschaft. Viele erwarteten, die Wirtschaft würde um bis zu zehn Prozent einbrechen.
Der erstaunlich gute Neustart im Sommer 2020 führte dann zu einer verfrühten Euphorie und viel Optimismus. Man konnte sich im Sommer und Herbst 2020 schlichtweg nicht vorstellen, dass es eine zweite, dritte und vierte Welle geben könnte, und vor allem nicht, dass kein Weg an erneuten Coronarestriktionen vorbeiführen würde. So wuchs die deutsche Wirtschaft im Jahr 2021 nicht um bis zu fünf Prozent, wie im ersten Halbjahr 2021 noch erhofft, sondern nur um knapp die Hälfte.





