Gastkommentar: Europa muss seine Rolle im Technologiekrieg zwischen USA und China finden
Der Autor war von 2013 bis 2017 Opel-Chef und ist Aufsichtsrat beim Start-up Cartica AI.
Foto: picture alliance / Juerg ChristaEuropäische Vorstände diskutieren nicht nur in Davos, sich als Worst Case zwischen den USA und China entscheiden zu müssen. Ein anderes Szenario ist aber realistischer: Globale Anbieter brauchen bald grundverschiedene Produkte, um die sich jeweils ausschließenden regulatorischen Vorgaben beider Märkte zu erfüllen.
Die US-Strategie eines Stellvertreterkriegs gegen Huawei beschleunigt den Aufbau riesiger Markteintrittsbarrieren. Dass dies keine Verschwörungstheorie ist, belegt, dass China gerade angeordnet hat, bis Ende 2022 alle westlichen Computer und die zugehörige Software aus staatlichen Büros zu verbannen.
Man mag sagen: keine große Überraschung, da der Plan, zunehmend auf chinesische Komponenten und Technologien zu setzen, ja spätestens seit der Veröffentlichung der Strategie „Made in China 2025” aus dem Jahre 2015 klar war.
Aber: Hier haben wir, sicher beschleunigt durch die aktuelle Krise zwischen den USA und China, eine neue Qualität. Zwar hat China noch nicht in allen Bereichen eigene Technologie verfügbar, um eine so schnelle Ablösung umzusetzen. Und derzeit basieren noch fast alle von chinesischen Firmen für den lokalen und zunehmend auch für den Weltmarkt produzierten Mobiltelefone auf dem Google-Betriebssystem Android.
Ich gehe jede Wette ein, dass in fünf Jahren fast kein chinesisches Mobiltelefon mehr auf Android basieren wird, sondern dass China seine eigenen Systeme hervorbringen wird. Das Gleiche gilt für das Internet of Things (IOT).
Das Betriebssystem ist sicher die Schlüsseltechnologie, wenn es um Plattformökonomie und den Umgang mit Daten geht. Hier treffen die Applikationen mit der physikalischen Welt der Hardware und mit den Daten in der Cloud zusammen. Wer diese Systeme dominiert, sitzt an entscheidender Stelle im Eco-System.
Es wird eine Welt der zwei Systeme geben, die nur bedingt miteinander kompatibel sein werden. Dieses sogenannte „Decoupling” haben die USA mit ihrem Entzug von Android gegenüber Huawei massiv beschleunigt und sich damit aus meiner Sicht einen wahren Bärendienst erwiesen. Was bedeutet dieses „Decoupling“ für die deutsche Industrie?
In der Autoindustrie werden gerade zahlreiche Infotainmentsysteme auf Android umgestellt – natürlich auch für den chinesischen Markt. Autonome Technologien für fortschrittliche Fahrerassistenzsysteme und das Robotaxi werden mit maximalem Aufwand entwickelt. Alle diese Systeme enthalten US-Chips und -Software und bauen auf die neuesten Entwicklungen im Bereich der Cloud-Speicherung und Kommunikation sowie künstliche Intelligenz.
Wir wären sehr naiv, immer noch zu glauben (oder zu hoffen), dass es auch nur die geringste Chance gibt, dass ein autonomes Fahrzeug mit einer Technologie wie etwa Googles Waymo oder GMs Cruise je auf den Straßen Pekings herumfahren darf. Diese Fahrzeuge haben zahlreiche Kameras und Sensoren, um ihre Umwelt zu erfassen, und speichern riesige Datenmengen in der Cloud. Das Gleiche gilt auch für die autonome Technik, die Volkswagen mit Ford oder Mercedes mit Bosch entwickelt.
Damit wird ein grundsätzliches Neu-Denken der Unternehmensstrategien erforderlich. Das gilt für alle Firmen, die im weitesten Sinne IoT-Produkte in China anbieten wollen.
„Kalter Technologiekrieg“
Die Welt hat sich nachhaltig verändert. Leider sehen wir hier gerade erst den Anfang eines „kalten Technologiekrieges“ zwischen den USA und China, der sicher das nächste Jahrzehnt andauern wird. Europas Rolle zwischen diesen Fronten ist dabei völlig unklar.
Unsere globalen Spieler, wie die Autoindustrie, müssen Strategien entwickeln, wie sie beide Weltregionen bedienen können. Dazu ist zunächst dringend eine Erweiterung der bisherigen globalen Strategie um einen speziellen China-Ansatz notwendig. Man wird sich zunächst zweibeinig aufstellen müssen.
Dann müssen wir uns klar darüber werden, in welchen Feldern wir unbedingt auch unsere eigenen Technologien brauchen und wie wir unsere Datensouveränität global sichern wollen. Nur wer nicht von einer der beiden Welten abhängig ist, wird auch Verhandlungsmasse haben, eigene Interessen und Marktzugang durchzusetzen.
Neutralität heißt in dieser Gemengelage, zerrieben zu werden. Sich auf eine Seite zu schlagen hieße, die andere auf lange Zeit aufzugeben. Der dritte Weg kann daher nur lauten, selbstbewusst den eigenen Weg suchen und eigene Standards zu setzen. Davon sind wir zwar sehr weit entfernt, aber es ist deswegen nicht unmöglich.
Deutschland hat hier aufgrund seiner Wirtschaftskraft, seiner Freundschaft zu den USA und seiner Verflechtung mit China den Auftrag, eine Vorreiterrolle einzunehmen.