Gastkommentar: Griechenland zeigt, wie mächtig eine mutige Staatsreform ist

Griechenland galt noch vor wenigen Jahren als „kranker Mann Europas“. Heute wächst die Wirtschaft über EU-Schnitt, Investitionen steigen, Arbeitslosigkeit und Schuldenquote sinken. Das liegt auch an der europäischen Solidarität via Wiederaufbaufonds – vor allem aber an konsequenten Staatsreformen. Mit einer Delegation war ich in Athen, um zu verstehen, wie dieses Comeback gelungen ist.
Premier Kyriakos Mitsotakis führt die Reformagenda wie ein Familienunternehmer: klare Prioritäten, Ziele, Fristen, transparente Kommunikation. Natürlich ist nicht alles eins zu eins übertragbar. Aber die Richtung ist klar – und kann eine Blaupause für uns sein.
Denn auch bei uns steht viel auf dem Spiel. Viele Menschen empfinden den Staat als überfordert, das Vertrauen in die Problemlösungskraft der demokratischen Mitte sinkt. Entweder die politische Mitte löst Probleme – oder Probleme lösen die politische Mitte auf.
Griechenland: Vom Problemfall zum Reformlabor
Über das Bürgerportal gov.gr lassen sich in Griechenland fast alle wichtigen Verwaltungsleistungen per App erledigen – rechtssicher, ohne Papier und ohne Gang zum Amt. Ein digitaler Zugangspunkt, „mobile first“, mit Once-only-Prinzip: Daten werden einmal erfasst, Behörden arbeiten im Hintergrund zusammen.
Deutschland wirkt im Vergleich wie ein Hochtechnologieland mit analogem Betriebssystem. Die wirtschaftliche Substanz ist (noch) stark, aber der Staatsapparat läuft mit Reibungsverlusten. Wer bauen, investieren oder eine Fabrik erweitern will, kennt die Realität: Jahre für Genehmigungen, Aktenordner, Zuständigkeits-Pingpong. Bürokratie ist zur Wachstumsbremse und zum Standortrisiko geworden.
Baden-Württemberg spürt das besonders. Als Exportland Nummer eins ist Tempo eine wichtige Standortbedingung. Doch das ist derzeit oft nicht vorhanden. Viele Unternehmerinnen und Unternehmer sagen uns: Die größte Unsicherheit sind nicht die Märkte, sondern die Verfahren in Deutschland. Mittelmaß bei Investitionsfreundlichkeit und Genehmigungsgeschwindigkeit reichen aber nicht.
Daraus folgt: Staatsmodernisierung muss Chefsache werden. Unser Ziel ist, die Landtagswahl im März zu gewinnen und dann im Staatsministerium von Baden-Württemberg schnell einen Plan vorzulegen, der Digitalisierung, Bürokratieabbau und Planungsbeschleunigung bündelt – mit klaren Zielen, Zeitplänen und Erfolgskontrolle. Die Regierungszentrale soll dabei zur Reformzentrale werden und jede Behörde wissen, woran sie gemessen wird.
Wir waren beim Staatsumbau zu vorsichtig
Wir haben in der Landesregierung vieles richtig gemacht, waren beim Umbau des Staates aber viel zu vorsichtig: zu viel Flickwerk, zu wenig Systemwechsel. Großprojekte wie Stuttgart 21 zeigen, wohin Planungswirrwarr und fehlender Mut führen: zu Verzögerungen, Kostenexplosionen, Vertrauensverlust. Wir brauchen einen Neustart im Maschinenraum des Staates – einen Re-Staat für unser Land.
Unser Plan sieht vor, dafür die besten Köpfe aus Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Tech-Branche zu holen. Eine Taskforce Staatsmodernisierung denkt dabei vom Nutzer her: vom Familienunternehmen, vom Start-up und von Bürgerinnen und Bürgern, die ihre Anliegen digital regeln wollen. Verwaltungskarrieren wollen wir stärker auf Umsetzung und Service ausrichten.
Ein zweiter Baustein ist die Kooperation mit unseren Global Playern wie SAP, Bechtle und vielen Mittelständlern. In Partnerschaften auf Augenhöhe entstehen gemeinsame Plattformen und standardisierte Schnittstellen – das digitale Rückgrat der Verwaltung. Statt bestehende zu komplexe Abläufe eins zu eins zu digitalisieren, wollen wir Prozesse auf der grünen Wiese neu bauen und alte Verfahren abschaffen.
Eine Schlüsselrolle soll Künstliche Intelligenz spielen. KI kann Prozesse vorhersagbar machen, Aktenberge reduzieren, Ressourcen steuern, Entscheidungen vorbereiten – vom digitalen Zwilling der Verwaltung bis zur automatisierten Genehmigung einfacher Standardfälle. Wer KI ernst nimmt, muss bereit sein, die größte Staatsreform seit Freiherr vom Stein zu denken – ohne Denkverbote.
Die alten griechischen Stadtstaaten waren Keimzellen politischer Innovation. Heute können die deutschen Bundesländer mutige Reformzentren sein. Wir setzen uns für eine revitalisierte „Südschiene“ ein, in der Baden-Württemberg mit Bayern und Hessen enger zusammenarbeitet.
Geplant sind im Fall unseres Wahlsiegs gemeinsame Initiativen im Bundesrat zur Planungsbeschleunigung, größere Freiräume der Länder bei Steuern und Investitionen, abgestimmte Digitalstandards in der Verwaltung sowie länderübergreifende Reallabore für Zukunftstechnologien.
Ziel ist, dass Wachstum und Innovation dort entstehen, wo die Wertschöpfung erwirtschaftet wird. Wenn wir hier entschlossen vorangehen, setzen wir einen neuen Standard, an dem sich auch der Bund orientieren muss.
Wir haben heute noch die Chance, Reformen aus einer Position der Stärke heraus zu gestalten. Die alten Griechen haben uns die Demokratie gebracht. Heute können sie uns den Mut zur Staatsreform lehren. Es muss alles auf den Prüfstand – und wir brauchen den Willen, es wirklich zu tun.






Der Autor: Manuel Hagel ist Fraktionsvorsitzender der CDU im Landtag von Baden-Württemberg und Spitzenkandidat bei der Landtagswahl 2026.
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