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Gastkommentar Herbert Diess: „Der Wandel wird sich in zehn Jahren vollziehen – mit oder ohne Volkswagen“

Der größte Autobauer der Welt befindet sich mitten in der größten Transformation seiner Geschichte. Wie der Volkswagen-Konzern den Wandel Schritt für Schritt umsetzt.
27.11.2020 - 04:00 Uhr 1 Kommentar
Der Autor ist Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG. Quelle: dpa
Herbert Diess

Der Autor ist Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG.

(Foto: dpa)

Volkswagen ist ein einzigartiger Konzern: groß und komplex – eine große Führungsaufgabe. Über elf Millionen Fahrzeuge jährlich, zwölf Marken, 670.000 Beschäftigte weltweit, über 50 Prozent der Aktien im Familienbesitz, 20 Prozent gehören dem Land Niedersachsen, hoher Einfluss der Gewerkschaft, teilweise unterschiedliche Interessenlagen der Anteilseigner. Das Management ist konditioniert auf internen Wettbewerb, geprägt von Ferdinand Piëch.

Die Größe, die Historie, der Wert der Marken und auch die herausragenden Fähigkeiten im klassischen Automobilbau schützen nicht, können in einer Zeit dramatischen Wandels sogar zur Bürde werden. Der größte Autobauer der Welt befindet sich inmitten der größten Transformation der Wirtschaftsgeschichte. Ich sehe es als meine Aufgabe bei VW, diesen Tanker erfolgreich in die Zukunft zu führen. Die Konzern-Pkw-Flotte verursacht heute rund ein Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes. Schon deshalb tragen wir eine besondere Verantwortung, vor allem bei der Bekämpfung der Klimakrise.

Der Wandel wird sich in den nächsten zehn Jahren vollziehen, mit oder ohne Volkswagen. Der Klimawandel erfordert eine Elektrifizierung unserer Antriebsstränge. Der Fortschritt bei der Künstlichen Intelligenz, insbesondere bei der Situationswahrnehmung, ermöglicht es bald, den Fahrer durch ein lernendes, weltweites neuronales Netz zu ersetzen. Individuelle Mobilität wird dadurch nachhaltig, sicher und komfortabel.

Volkswagen muss sich wandeln: von einer Sammlung wertvoller Marken, einem Hersteller faszinierender verbrennungsmotorisch angetriebener Produkte, die mit höchster Ingenieurkunst Kunden begeistern, hin zu einem Digitalunternehmen, das Millionen Mobilitätsdevices weltweit zuverlässig betreibt, mit Kunden immer in Kontakt bleibt und Dienste, Komfort und Sicherheit ständig verbessert.

Die entscheidende Frage für mich als CEO, das Vorstandsteam und die Führungskräfte, die die Situation erkennen: Wie bringen wir den Konzern mit all seinen Stakeholdern trotz aktueller Erfolge dazu umzudenken, radikal umzupriorisieren und neue Fähigkeiten zu erlernen? Wir sind kein Start-up, wir haben über Jahrzehnte gewachsene Strukturen und Prozesse. Viele verkrustet und kompliziert. All diese Widerstände sollten uns anspornen und zusätzlich motivieren.

Was wir schon bei meinem Amtsantritt vor fünf Jahren nicht hatten, ist Zeit. Damals war Volkswagen spät dran bei der Elektrifizierung und vor allem der Digitalisierung. Wir mussten die Strategie radikal neu denken, die Weichen neu stellen. Breit implementieren kann man eine Strategie nur, wenn sie von allen Führungskräften und Stakeholdern getragen wird.

Schon in der Vergangenheit habe ich in solchen Situationen auf ein wirksames Management-Tool zurückgegriffen: die „Syntegration“ von Professor Fredmund Malik. Mit ihr schafft man es, komplizierte Themen in großen und komplexen Unternehmen mit den entscheidenden Stakeholdern zu durchdringen und effizient zu bearbeiten.

Startrampe in die automobile Zukunft

Die Methode von Professor Malik ist aus meiner Sicht einzigartig und effektiv. Zwei Beispiele aus dem VW-Konzern verdeutlichen das: Direkt nach meinem Antritt organisierten wir für den Herbst 2015 einen ersten Strategieworkshop der Marke VW-Pkw. Der Dieselskandal war Verstärker und Beschleuniger des Veränderungsprozesses.

Neben Belastungen in Milliardenhöhe im Zusammenhang mit den Dieselmanipulationen gab es schwerwiegende Probleme in der Kernmarke VW-Pkw: Das Fahrzeugportfolio war in Regionen wie Lateinamerika veraltet, in anderen wie den USA passte es nicht. Die Rendite lag bei unter zwei Prozent, nicht ausreichend, um das laufende Geschäft zu refinanzieren, geschweige denn wichtige Zukunftsinvestitionen zu tätigen.

Am Workshop nahmen damals 42 Top-Führungskräfte der Marke VW teil. Bei der Malik-Methode geht es immer mit einer Eröffnungsfrage los. In diesem Fall: „Was müssen wir in den nächsten drei bis sechs Monaten sichtbar tun, um unsere Krise als Startrampe in unsere neue automobile Zukunft zu nutzen?“ Um diese Frage bestmöglich zu beantworten, wurden die Führungskräfte unterschiedlich vernetzt. Malik sagt, dass mit seinen Zusammensetzungen die kollektive Intelligenz der Teilnehmer optimal freigesetzt wird. So kommt man nicht – wie mit konventionellen Verfahren – auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern auf das optimale gemeinsame Ergebnis.

Ich habe selten erlebt, dass im Rückblick so viele der erarbeiteten Maßnahmen auch tatsächlich umgesetzt wurden wie in diesem Fall. Eine entscheidende: Statt des Baukastens MQB, der technischen Säule des Konzern-Pkw-Geschäfts, sollte eine eigene Elektroplattform entstehen, um die Vorteile der E-Mobilität vollständig zur Geltung zu bringen. Ergebnis: Allein im nächsten Jahr kommen zehn Modelle von fünf Marken auf Basis unseres Modularen-E-Antriebsbaukastens (MEB) auf den Markt, zudem lässt Ford auf dem Baukasten ein Fahrzeug produzieren. Auch eine neue Elektronikarchitektur – updatefähig und mit direktem Kundenzugang – wurde entwickelt und läuft jetzt mit den E-Autos an.

In Wolfsburg wurden Hierarchien geschliffen und dezentralisiert. Die Regionen bekamen deutlich mehr Handlungsspielraum, um schneller und marktnäher zu entscheiden. Durch den Zukunftspakt mit den Arbeitnehmervertretern wurde ein Personalabbau ohne betriebsbedingte Kündigungen vereinbart. So konnten wir die Fixkosten nachhaltig senken. Die Strategie wurde in drei Zeitabschnitte gegliedert. Den ersten schließen wir gerade ab, mit der Rückkehr zur nachhalten Profitabilität der Kernmarke und der Einführung des ersten elektrischen, voll vernetzten und nachhaltigen Volkswagens, des ID.3.

Die Transformation wird durch ambitioniertere Klimaziele beschleunigt. Auch die Konkurrenz IT-getriebener Unternehmen setzt neue Maßstäbe. Deshalb müssen wir die Konzernstrategie nachjustieren, um mit Wettbewerbern wie Tesla mitzuhalten. Im April 2020 haben wir einen zweiten Workshop mit Professor Malik organisiert. Für die „Mission T“ kamen 31 Top-Führungskräfte von Volkswagen, Audi und Porsche zusammen. Es ging um die Frage, wie wir Tesla einholen können – ein Unternehmen, das sich ohne traditionelles Geschäft ausschließlich auf die Zukunft konzentriert. Und das Teil eines durch Softwarefähigkeiten, Technologiefokus und Risikokultur geprägten Ökosystems an der Westküste der USA ist.

Wie Tesla technisch einholen?

Dieses Mal war die Eröffnungsfrage: „Was müssen wir in den nächsten sechs Monaten erreicht haben, damit wir Tesla bis 2024 technisch einholen?“ Die Ergebnisse: nochmals forcierter Ausbau der Softwarekompetenz, Bündelung der Kräfte bei Audi für Software und Hardware sowie das Projekt „Artemis“ mit einer Organisation außerhalb der Konzernstrukturen. Bei der Einführung des MEB hatten wir erkannt, dass wir innerhalb unserer Strukturen nicht das Tempo und die Durchschlagskraft erreichen können, um mit einem risikobereiten Start-up wie Tesla beim Entwicklungstempo mithalten zu können.

Ich bin mir sicher, dass wir auch diesmal die Vereinbarungen aus dem Malik-Workshop ins Ziel bringen werden. Die Wirkung und Bedeutung der Methode ist dabei nicht zu unterschätzen, weil sie Verbindlichkeit – klare Commitments – schafft. Mit Artemis und der Softwareorganisation legen wir ein Fundament, auf dem die Digitaltechnik für den gesamten Konzern erarbeitet wird. Die Autos werden zum „Digital Device“.

Ich bin fest davon überzeugt, dass uns die Transformation gelingen wird. Trotz der starken Unternehmenskultur von Volkswagen. Bei meinem Amtsantritt in Wolfsburg hatte ich mir fest vorgenommen, das System VW zu verändern. Heißt: alte, verkrustete Strukturen aufzubrechen und das Unternehmen agiler und moderner aufzustellen. Das ist mir gemeinsam mit vielen Weggefährten mit gleicher Motivationslage an vielen Stellen gelungen, an einigen nicht, allen voran in unserer Konzernzentrale in Wolfsburg noch nicht.

Mit meiner gelegentlich konfrontativen Art, die Missstände und Handlungsbedarfe sehr konkret anspricht und adressiert, habe ich in meiner beruflichen Laufbahn bisher viel verändert und gute Ergebnisse erzielt. Ich habe meinen Führungsstil hinterfragt und für Wolfsburg angepasst, um die besten Ergebnisse zu erzielen.

Denn es lohnt sich, beim Wandel voranzugehen. Die Zukunft des Autos wird spannend und faszinierend – in rund zehn Jahren werden wir autonom fahren können. Neue Geschäftsmodelle werden entstehen. Auf welche wir uns bei Volkswagen konzentrieren, werden wir mit der Malik-Methode erarbeiten. Das wertvollste Unternehmen der Welt wird in zehn Jahren wieder ein Mobilitätsunternehmen sein.

Mehr: Deutschland wird zum Batteriezentrum Europas – Das sind die fünf Gründe

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  • Die Parität der Aufsichtsratsbesetzung ist zu oftmals eine Fessel für die Transformation des Unternehmens. Die Arbeitnehmerseite will die Gesamtverantwortung nicht sehen, schützt oftmals nur mittelfristig Arbeitsplätze und Pfründe und gefährdet damit das Unternehmen.
    Zu erkennen ist dies bei mehreren aktuellen bzw. ehemaligen Industrieunternehmen und Banken im DAX.

    Erst wenn die wirtschaftliche Not deutlich wird entsteht Bewegung, oft zu spät.
    Als Aktionär und Kunde des VW Konzerns hoffe ich, dass Hr. Diess die volle Unterstützung für eine erfolgreiche Neuausrichtung des Unternehmens erhält.

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