Gastkommentar: Nicht das Fliegen ist „der Feind“, sondern die Emissionen
Der Autor ist Generaldirektor der International Air Transport Association (Iata).
Foto: HandelsblattDer Klimawandel ist ein globales Problem. Jede Branche steht heute unter dem Druck, ihre Nachhaltigkeit nachweisen und Umweltfolgen reduzieren zu müssen. Protestaktionen an Flughäfen oder die Entscheidung des Deutschen Bundestags für höhere Steuern auf Flugtickets rücken vor allem die Luftfahrtindustrie in den Fokus. Und Greta Thunberg erteilt dem Fliegen generell eine Absage.
Sollen wir also noch fliegen oder nicht? Eine schwierige Frage – und in dieser Form auch nicht fair. Die meisten von uns wollen weiterhin fliegen. Wir lieben das Reisen, denn es verbindet uns mit Familie und Freunden. Wir entdecken neue Länder, Menschen und Kulturen.
Während es uns das Fliegen einerseits ermöglicht, unseren individuellen Horizont zu erweitern, ist die Luftfahrtindustrie andererseits auch ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor und unterstützt die Realisierung der Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung (UN SDGs).
Eines vorweg: Fluggesellschaften stellen sich ohne Wenn und Aber der Diskussion um den Klimawandel. Sie begreifen, dass es an ihnen liegt, Lösungen für den Schadstoffausstoß zu finden und sie umzusetzen. Wir sollten nicht vergessen, dass sich die Fluggesellschaften bereits vor mehr als einem Jahrzehnt ambitionierte Ziele für die Emissionssenkung gesetzt haben – lange vor der Politik oder den Aktivisten, die heute Schlagzeilen machen.
Meine Zielsetzung ist einfach: Wir als Luftfahrtindustrie müssen unseren CO2-Ausstoß senken. Nur dann können wir alle weiterhin die Vorteile einer globalisierten Welt genießen. Dafür müssen wir uns jedoch über eines im Klaren sein: Nicht das Fliegen an und für sich ist „der Feind“, sondern die Emissionen.
Im Vergleich zu früheren Jahren ist das Fliegen heute schon um ein Vielfaches nachhaltiger geworden. Ein durchschnittlicher Flug verursacht 2019 nur halb so viele Emissionen, wie es noch 1990 der Fall war.
Dass wir mehr tun und schneller handeln müssen, steht außer Frage. Davon bin ich überzeugt, und das fordere ich auch von allen Entscheidern. Ich weiß, dass die Menschen in den Führungsetagen der Airlines und des gesamten Luftfahrtsektors diese Entschlossenheit teilen.
Fluggesellschaften, Flugzeughersteller und Flughäfen arbeiten seit Langem an Problemlösungen. Wir haben definitiv die Fähigkeiten, eine technologische und operative Transformation für nachhaltigeres Fliegen systematisch anzugehen und zu meistern.
Wie im Pariser Klimaabkommens festgelegt, wollen wir gemeinsam bis 2050 die CO2-Bilanz der Luftfahrtbranche im Vergleich zu 2005 halbieren. Ab dem Jahr 2020 streben wir dafür ein klimaneutrales Wachstum an. Das erreichen wir auch und vor allem durch die Einführung des weltweit ersten industrieweiten CO2-Reduktionsprogramms Corsia (Carbon Offset and Reduction Scheme for International Aviation).
Wie von der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation der Vereinten Nationen (ICAO) vereinbart, werden wir durch dieses Programm zwischen 2021 und 2035 2,5 Milliarden Tonnen an Treibhausgasemissionen einsparen und gleichzeitig 36 Milliarden Euro in Klimainitiativen zum Ausbau erneuerbarer Energien und zur Wiederaufforstung der Wälder investieren.
Natürlich spielen auch neue Technologien eine immens wichtige Rolle. Sie sind für uns der Schlüssel zum Erfolg. Fluggesellschaften investieren Milliarden in leichtere Flugzeuge und effizientere Triebwerke. Gemeinsam mit der Politik arbeiten wir an besseren Flugverkehrskontrollsystemen.
Und allein der vermehrte Einsatz von nachhaltigen Kraftstoffen kann unsere CO2-Bilanz um bis zu 80 Prozent senken. Jede dieser Maßnahmen macht einen großen Unterschied, selbst wenn unsere Fluggäste davon nicht immer etwas mitbekommen.
Die größte Hürde für emissionsfreies Fliegen liegt allerdings woanders: Es ist die Herausforderung, die erzielten Fortschritte tatsächlich weltweit einzusetzen. Und dafür sind wir auf die Politik angewiesen. Die deutsche Regierung muss die Produktion nachhaltiger Kraftstoffe fördern und das Flugverkehrsmanagement effizienter gestalten. Es braucht eine nationale Luftraumstrategie – eine Initiative, die derzeit von der Industrie getragen wird.
Ich repräsentiere eine Branche, die sich vollends bewusst ist, dass sie ihren Teil zum Klimaschutz beitragen muss – durch den Einsatz technischer Innovation, menschlichen Einfallsreichtum und wissenschaftlichen Fortschritt. Was wir schaffen wollen, ist eine Zukunft, in der Menschen nachhaltig fliegen können, und eine Welt, die offener ist als je zuvor. Watch us!
Mehr: Tui-Chef Fritz Joussen glaubt nicht, dass die Klimadebatte den Menschen die Reiselust verdirbt. Er blickt optimistisch auf das kommende Jahr.