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GastkommentarSonderwirtschaftszonen als Probelauf für den Strukturwandel

Eine mutige Wirtschaftspolitik in Deutschland sollte auch Neues ausprobieren. Sonderwirtschaftszonen an den Küstenländern könnten als Benchmark fürs ganze Land dienen. Von Uwe Cantner, Andreas Freytag und Jan Cernicky 28.10.2024 - 17:43 Uhr Artikel anhören
Die Autoren: Uwe Cantner, Andreas Freytag, Jan Cernicky (v.l.) Foto: dpa, privat (3)

Der Klimawandel macht es notwendig, eine Transformation der Wirtschaft zu klimaneutraler Produktion vorzunehmen. Dies beinhaltet einen weitgehenden Um- und Aufbau verschiedener Strukturen und Prozesse und führt so zu einem gravierenden Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft. Beispiele für Transformationen sind die Digitalisierung, die Energiewende, die Bioökonomisierung, die Mobilitätswende, die Transformation der Landwirtschaft.

Eine zielgerichtete Wirtschaftspolitik sollte auf Bewährtes und auf Neues setzen

In einer Studie für die Konrad-Adenauer-Stiftung haben wir mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW) am Beispiel Schleswig-Holsteins untersucht, wie norddeutsche Küstenländer diesen Transformationsprozess bewältigen können. Interessanterweise ist Schleswig-Holstein in einer ambivalenten Ausgangsposition. Es gehört nämlich nicht zu den wirtschaftsstärksten Bundesländern, könnte aber durch die reichlich vorhandene erneuerbare Energie einen Schub bekommen und Investitionen in neue Strukturen anlocken.

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Den Kern von Transformationen machen Innovationen aus. Damit diese erfolgreich eingeführt und umgesetzt werden können, brauchen wir eine mutige und zielgerichtete Wirtschaftspolitik. Diese sollte nicht nur auf Bewährtes setzen, sie sollte auch Neues ausprobieren. Die Studie argumentiert für eine Reihe von Maßnahmen – von der Missionsorientierung der Wirtschaftspolitik über eine Neuorganisation des Strommarktes und bildungspolitische Offensiven bis hin zur Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen (SWZ). Auf den SWZ soll hier besonderes Augenmerk liegen.

Für die norddeutschen Küstenländer wäre es eine Alternative zu prüfen, ob und inwieweit SWZ und die vermehrte Einrichtung von Reallaboren („regulatory sandboxes“) eine Option sind. In einer SWZ könnten besonders regulatorische und bürokratische Regelungen von den allgemein gültigen Regeln abweichen – nicht aber Steuersätze, technische Normen oder Einfuhrregelungen, weil solche Ausnahmen eine Art Zollgrenze nötig machen würden.

Sonderwirtschaftszonen könnten eine Antwort auf die aktuelle bürokratische Selbstblockade sein

Das IW hat 2020 die Möglichkeiten der SWZ anhand der Kohleregionen in Deutschland untersucht und ist zu dem Schluss gekommen, dass diese eine Alternative darstellen, um den Rechtsrahmen kreativ auszulegen und im Standortwettbewerb erfolgreich zu sein. Es gilt natürlich zu prüfen, ob und inwieweit es rechtlich möglich ist, solche Auslegungen des Rechtsrahmens regional differenziert vorzunehmen.

In Fragen des Berichtswesens oder des Datenschutzes, bei Regelungen in Bezug auf Baurecht, Einsprüche, Haftung oder Umweltprüfungen, aber auch bei so konkreten Fragen wie der Abschaffung der Notarspflicht sollten abweichende Regelungen mit geringen gesetzlichen Änderungen aber möglich sein. Angesichts der gegenwärtig zu beobachtenden bürokratischen Selbstblockade in Deutschland fänden wir es mehr als sinnvoll, diese Möglichkeit genau zu prüfen – und im Idealfall in die Praxis umzusetzen.

Um ihr wohlfahrtssteigerndes Potenzial voll auszuschöpfen, sollte das Konzept der SWZ die Hayek’sche Idee der Erzeugung neuen Wissens durch Wettbewerb übernehmen. Danach besteht der Grundgedanke einer SWZ darin, neue Governance-Strukturen zu testen und die Breite der politischen Maßnahmen zu erkunden, die die Transformation unterstützen.

In diesem Zusammenhang könnten auch die Konsumenten durch vereinfachte Regelungen für die private Beteiligung an Infrastruktur besser eingebunden werden. Sozusagen als „Prosumers“ (am Produktionsprozess beteiligte Konsumenten), was oft am Beispiel der Stromerzeugung diskutiert wird – von der Energiegenossenschaft bis zum Balkonkraftwerk.

Länder wie Irland und Litauen haben bereits sehr gute Erfahrungen mit der Einführung von Sonderwirtschaftszonen gemacht. Warum sollen wir nicht auch in Deutschland in kleinem Maßstab neue Lösungen erproben?
Uwe Cantner, Andreas Freytag und Jan Cernicky

Auf diese Weise werden im überschaubaren Rahmen politische und administrative Maßnahmen erprobt, um Wissen und Erfahrung zu generieren, die als Benchmark für andere Regionen verwendet werden können. So können sie als Experiment für langfristige politische Maßnahmen auf nationaler Ebene dienen. SWZ sind ein ausdrücklicher Schritt weg von Einheitslösungen: Gibt es mehrere SWZ, konkurrieren sie mit unterschiedlichen Instrumenten um Investoren aus dem In- und Ausland.

In Europa haben Länder wie Irland und Litauen bereits sehr gute Erfahrungen mit der Einführung von SWZ gemacht. In Deutschland dagegen findet die eigentlich vorgesehene Konkurrenz der Bundesländer um kreative und wohlfahrtssteigernde Lösungen kaum statt, was die nötige Transformation der Wirtschaft blockiert. Warum daher also nicht auch in Schleswig-Holstein oder anderen Bundesländern in kleinem Maßstab neue Lösungen erproben?

Verwandte Themen Deutschland Wirtschaftspolitik Digitalisierung

Die Autoren:
Uwe Cantner ist Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre und Mikroökonomik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und Vorsitzender der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI).
Andreas Freytag ist Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftspolitik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Jan Cernicky ist Leiter Wirtschaft und Innovation bei der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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