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GastkommentarStart-ups sind systemrelevant – so könnte die Politik sie retten

Der Rettungsschirm wird das Sterben der Start-ups nicht aufhalten können, warnt Investor Markus Müschenich. Er fordert ein drastisches Umdenken.Markus Müschenich 30.03.2020 - 11:21 Uhr

Kapital ohne operative Unterstützung ist hier wie die Behandlung einer Blinddarmentzündung mit Schmerzmitteln, aber ohne Chirurgen: mit einem Überleben kaum zu vereinbaren.

Foto: Getty Images Creative

Die Politik hat es verstanden: Viele Start-ups sind systemrelevant. Lässt man sie jetzt in der Coronakrise allein, wird das zu einem massenhaften Sterben führen. Deshalb sind Start-ups kurzfristig noch Teil des Corona-Rettungsschirms geworden, der vergangene Woche verabschiedet wurde. In der Begründung des Gesetzespakets heißt es zurecht, dass Start-ups ‚für die technologische Souveränität Deutschlands von hoher volkswirtschaftlicher Bedeutung werden‘ können.

Nur ist es absurd, sich der Systemrelevanz im Klaren zu sein, aber nicht so zu handeln. Der Corona-Rettungsschirm ist nur für Start-ups geöffnet, die eine Bewertung von mindestens 50 Millionen Euro haben. Mindestens neun von zehn deutschen Start-ups sind also ausgeschlossen. Bei Digital-Health-Start-ups sind es nochmal mehr, denn der Markt ist bisher noch kleiner, weil funktionierende Marktzugänge noch kaum vorhanden sind.

Die Verantwortlichen haben bereits angekündigt, für kleinere Start-ups nach Lösungen zu suchen. Ein sogenannter Matching-Fonds steht dabei im Mittelpunkt der Überlegungen. Dabei werden die für die Start-ups wichtigen Bestandsinvestoren zu weiteren Finanzierungen ermuntert, indem sich der Staat über den Fonds mit einem Wandeldarlehen beteiligt. Ein Wandeldarlehen ist ein Kredit an ein Start-up, bei dem es die Möglichkeit gibt, über eine Unternehmensbeteiligung zu tilgen.

Das klingt zur Überbrückung der Krise sinnvoll – reicht aber nicht. Denn ein Matching-Fonds ist darauf angewiesen, dass die bestehenden Investoren tatsächlich weiter investieren. Von vielen Risikokapitalgebern und Business Angels ist jetzt schon zu hören, dass sie die Krise nun erst einmal aussitzen wollen.

Das ist kein Zeichen von mangelnder Solidarität in der Krise, sondern Bestandteil einer Investment-Logik: Risikokapital ist Kapital, das ein Investor nicht für die eigene Existenzsicherung benötigt. Gleichzeitig braucht es den großen Exit, der in der Rezession, die einer Krise folgt, unwahrscheinlicher wird.

Der Autor ist Mitgründer und geschäftsführender Gesellschafter von Eternity.Health und des Inkubators Flying Health sowie Vorsitzender des Bundesverbands Internetmedizin. Zuvor war er Vorstand der Sana-Kliniken.

Foto: Flying Health

So kann und muss Risikokapital im Zweifel lange auf eine krisensicheres Investment warten. Dieses Verhalten ist aus vorangegangenen Krisen wohlbekannt. Corporate-Kapital dürfte auch knapp werden, weil die geldgebenden Konzerne vielfach selbst in der Krise stecken.

Staatliche Unterstützung bei einem Investment nutzt nichts, wenn es keine Investments mehr gibt. Hinzu kommt, dass reine Kapitalgeber nicht operativ in das Management einsteigen dürfen. Das wäre gerade bei unerfahrenen Unternehmern dringend geboten, weil vielen die Erfahrung fehlt, um sich selbst aus einer Krise heraus zu manövrieren.

Kapital ohne operative Unterstützung ist hier wie die Behandlung einer Blinddarmentzündung mit Schmerzmitteln, aber ohne Chirurgen: mit einem Überleben kaum zu vereinbaren. Ein Matching-Fonds wird insbesondere die vielen jungen Digital-Health-Start-ups nicht retten können.

Es ist vorauszusehen: Fällt eines der Start-ups in die Insolvenz, wird eine Kettenreaktion ausgelöst, indem auch die letzten Investorengelder aus diesem Markt abgezogen werden. Die Folgen sind klar: Deutschland verliert den Anschluss an den weltweiten digitalen Gesundheitsmarkt, um den es gerade erfolgreich gekämpft hat.

Die Aussage der Politik, Start-ups seien von hoher Bedeutung für die ‚technologische Souveränität Deutschlands‘ gilt in besonderem Maße für Digital-Health-Start-ups. Diese bilden mit ihren Lösungen nicht nur das Rückgrat der aktuellen Gesundheitsreform.

Vielmehr sind digitale Gesundheitstechnologien gerade in der Coronakrise existenziell, indem sie die Versorgung über Online-Sprechstunden und Fernüberwachung sicherstellen. Und die nach der Krise zu erwartenden massiven Kostensenkungsprogramme im Gesundheitswesen werden ohne digitale Lösungen ganz sicher nicht erfolgreich sein.

Besser lässt sich Systemrelevanz kaum feststellen. Systemrelevanz aber erfordert einen Perspektivwechsel. Weg vom Blickwinkel, der Start-ups als Bittsteller klassifiziert, die sich um Hilfe bewerben können, hin zur aktiven Fürsorge des Staates.

Der Perspektivwechsel bietet außerdem eine große Chance. Nämlich dann, wenn ein Finanzierungsmodell mehr als nur den Kapitalbedarf in Notzeiten sicherstellt oder die Restlaufzeiten von Investment-Fonds überbrückt. Ein Modell, dessen Ziel nicht ein renditereicher Investoren-Exit ist, sondern zu einer echten unternehmerischen Nachhaltigkeit führt. Warum nicht das Ziel verfolgen, aus der Krise heraus einen digitalen Mittelstand in Deutschland zu etablieren?

Wir haben unsere Eternity.Health-Holding nachhaltig und mit der Zielrichtung, einen relevanten digitalen Mittelstand in Deutschland zu etablieren, aufgebaut. Ab 2022 war es geplant, auch Firmenzukäufe vorzunehmen. Unser Beitrag zur Bewältigung der Krise wird es sein, bereits heute systemkritische Technologien und Digital-Health-Unternehmen fortzuentwickeln und für den Wirtschaftsstandort Deutschland zu sichern – eine Art Intensivstation für Digital-Health-Start-ups im aktuellen Marktumfeld.

Wir sind der Überzeugung, dass der Corona-Rettungsschirm für Start-ups zu einem aktiven Instrument mit einem Dachfonds für die Kapitalausstattung von Auffanggesellschaften werden muss. So wird die Krise gemeistert und gleichzeitig der Nukleus für einen neuen digitalen Mittelstand geschaffen.

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Wie zynisch wäre es außerdem, das ewige Versprechen der politisch Verantwortlichen, den Digital-Health-Standort Deutschland fördern zu wollen, um nicht von daten- oder staatsgetriebenen Geschäftsmodellen in der Gesundheitsversorgung aus den USA oder China überrollt zu werden. Lässt die Politik die deutschen Digital-Health-Start-ups mit den bisherigen Lösungen nun durch das Raster fallen, würde genau das passieren.

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Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem exklusiven Fachbriefing Handelsblatt Inside Digital Health. Zweimal in der Woche analysieren wir dort die neuesten Entwicklungen im Bereich digitale Gesundheit.

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