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GastkommentarUS-Sanktionen gegen Nord Stream 2 gefährden die europäische Souveränität

Die Sanktionen gegen die Nordstream-Pipeline könnten sich weiter verschärfen. In der Energiepolitik darf es kein „America First“ geben, das wäre ein Angriff auf die Rechtssicherheit in Europa.Timon Gremmels, Markus Töns 30.06.2020 - 10:41 Uhr

Mit neuen Sanktionen wollen die USA gegen die Fertigstellung der Gaspipeline vorgehen.

Foto: Reuters

Mit einer Anfang Juni vorgestellten Gesetzesinitiative von republikanischen und demokratischen Senatoren rund um den einflussreichen texanischen US-Senator Ted Cruz ist eine neue Eskalationsstufe im Streit um die Fertigstellung der Erdgaspipeline Nord Stream 2 erreicht, die das Potential hat, die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Europa und den USA auf Dauer zu gefährden.
Die US-Senatoren haben sich mit ihrem jüngsten Vorstoß, dem „Klarstellungsgesetz zum Schutz der europäischen Energiesicherheit“, einer Kriegsrhetorik bemächtigt. Sie schreiben von „sofortigen und vernichtenden amerikanischen Sanktionen für alle, die in irgendeiner Weise mit der Installation der Pipeline zu tun haben.“

Konkret heißt das: Sollte dieser Gesetzentwurf beschlossen werden, würden die im Dezember 2019 vom US-Kongress beschlossenen Sanktionen, die sich bislang vor allem gegen die beteiligten Verlegeschiffe richten, massiv verschärft – und auf alle am Bau, dem Betrieb und der Wartung beteiligten Unternehmen ausgeweitet werden. Insgesamt wären dann wohl über 120 Unternehmen aus 12 europäischen Ländern betroffen; selbst deutsche Behörden und Amtsträger könnten zum Ziel von US-Sanktionen werden.

Vorgeblich haben Donald Trump, Ted Cruz und Co. die Sorge, dass sich Europa in eine energiepolitische Abhängigkeit von Russland begibt. Doch das Gegenteil ist richtig: Europa hat seinen Gasbezug in den letzten Jahren stark diversifiziert. Mit über 35 LNG-Terminals, deren Kapazität gut vier Nord Stream 2 Pipelines entspricht, ist Europa heute in der Lage, seinen Erdgasbedarf auch aus weiter entfernten Ländern wie Katar, Malaysia, Indonesien oder Australien zu decken.

MdB aus Kassel, Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Energie, Sprecher für Gaspolitik der SPD-Bundestagsfraktion.

Foto: Susie Knoll

Auch das zweite US-amerikanische Argument, Europa würde die Ukraine alleine lassen, die einen Großteil ihrer Staatseinnahmen durch Erdgastransitgebühren finanziert, ist falsch. Die deutsche Bundesregierung hat sich im letzten Jahr erfolgreich für die Vermittlung einer Neuauflage des russisch-ukrainischen Gastransitvertrags eingesetzt: Der neue Vertrag ist seit Jahreswechsel unter Dach und Fach.

Auch die USA beziehen Öl aus Russland

Grotesk wird das Agieren der Trump-Administration, wenn man bedenkt, dass die USA selbst immer mehr Öl aus Russland beziehen. Aufgrund der Sanktionen gegen Venezuela und den Iran haben die USA Ende 2019 20 Mio. Barrel Öl im Monat aus Russland importiert. Mehr Öl erhalten die USA nur aus Kanada.

Was also steckt hinter dem aggressiven Vorgehen der USA? Es ist der Trump’sche Wahlkampfslogan ‚America first‘ auch in der Energiepolitik gelten soll. Der Fracking-Boom hat die USA zum weltgrößten Öl- und Gasproduzenten gemacht. Nun soll das Fracking-Gas zu LNG komprimiert auch in Europa vermarktet werden.

Doch die Verflüssigung des Erdgases und der Transport von LNG sind vergleichsweise teuer. Der wirtschaftliche Abschwung infolge der Corona-Krise lässt den Preis für konventionelles Gas hingegen sinken. In der neuen US-Doktrin der ‚Energy Dominance‘ liegt der wahre Grund für den neuen Sanktionsvorstoß: Es geht nicht um die europäische Energiesicherheit.

Es geht darum, den Absatz von US-Frackinggas zu erhöhen und sich hierfür des preisgünstigen Wettbewerbers aus Russland zu entledigen. „Freedom Gas statt Pipeline Gas“, wie man in den USA zu sagen pflegt.

MdB aus Gelsenkirchen, Mitglied im Ausschuss für Wirtschafts und Energie, Europapolitik, Sprecher für Handelspolitik der SPD-Bundestagsfraktion.

Foto: Benno Kraehahn

Im Deutschen Bundestag schließt die drohende Verschärfung der extraterritorialen Sanktionen die Reihen. Selbst jene Fraktionen, die dem Pipelineprojekt grundsätzlich kritisch gegenüberstehen, sehen in dem geplanten Gesetz einen Verstoß gegen das Völkerrecht, vor allem aber einen Angriff auf die europäische Souveränität.

Dieser Angriff muss zurückgewiesen werden: Es geht dabei nicht um eine energiepolitische Detailfrage, sondern um eine Grundsatzfrage. Wenn Unternehmen, die in Europa tätig sind und sich an europäisches Recht halten, von den USA quasi willkürlich mit Sanktionen belegt werden können, dann ist das ein Angriff auf die Rechtssicherheit und den Investitionsschutz in Europa – und eine echte Gefahr für die europäisch-amerikanischen Handelsbeziehungen.

Wir sind überzeugt: Die Zeit der diplomatischen Zurückhaltung muss ein Ende haben. Zum Schutz der europäischen Interessen müssen die deutsche Bundesregierung und die Europäische Union jetzt Gegenmaßnahmen einleiten – und Sanktionen etwa auf US-Frackinggas erwägen. Erst wenn ernstgemeinte Gegensanktionen im Raum stehen, besteht die echte Chance den Konflikt zu befrieden: Donald Trump versteht nur diese eine Sprache.

Gerade in Zeiten der Corona-Krise ist ein Handelskrieg das letzte, was Amerikaner und Europäer gebrauchen können. Eine positive Partnerschaft aber kann nur auf Augenhöhe gelingen. Das schließt den Respekt für die Souveränität des jeweils anderen mit ein.

Mehr: Alexander Nowak verurteilt US-Strafandrohungen als Einmischung in die Souveränität anderer Staaten. Und er hat eine interessante Prognose für den Öl- und Gaspreis.

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