Gastkommentar: Weltwirtschaft zwischen Skylla und Charybdis

Volker Wieland ist geschäftsführender Direktor des Institute for Monetary and Financial Stability an der Goethe-Universität Frankfurt.
Wie einst die zwei mythischen antiken Ungeheuer an der Straße von Messina bedrohen zurzeit Finanzkrise und Hochinflation das Schiff der Weltwirtschaft. Odysseus folgte dem Rat der Zauberin Circe und wich dem Sog von Charybdis so weit wie möglich aus. So kam er aber Skylla zu nahe, die sechs seiner Gefährten verschlang.
Heute sind die wichtigsten Notenbanker – vorneweg Jerome Powell von der US-Notenbank und Christine Lagarde von der Europäischen Zentralbank (EZB) – gefordert, dem Sog der Inflation zu entkommen, ohne eine Bankenkrise auszulösen.
Lagarde erklärt auf den Spuren der Circe, zwischen Preis- und Finanzstabilität gebe es gar keinen Konflikt. Mit höheren Leitzinsen bekämpfe man die Inflation. Zugleich könne strauchelnden Banken mit umfangreicher Liquidität und weiteren Instrumenten geholfen werden. Der Zins soll also das Steuer sein, um den Strudel zu umschiffen. Darüber hinaus hat das Schiff Wasserwerfer, die Skylla auf Distanz halten.
Den Notenbanken dürfte es nach den jüngsten Leitzinserhöhungen jedoch schwerfallen, das notwendige Tempo beizubehalten. Der schnelle Zinsanstieg seit dem vergangenen Sommer macht den Banken schwer zu schaffen.
Steigende Renditen bedeuten, dass der Wert der Anleihen in den Bilanzen fällt. So verfügte die Silicon Valley Bank (SVB) zwar über einen großen Bestand an Staatsanleihen. Aber die waren fatalerweise nicht zum Marktpreis bilanziert. Um Einlageabflüsse abzufedern, musste die SVB beim Verkauf der Bonds hohe Wertverluste hinnehmen. Das brach ihr das Genick.
Allerdings sind die Zinsänderungsrisiken für Banken schon seit Langem bekannt. So warnten etwa die „Wirtschaftsweisen“ bereits 2016, eine lang anhaltende Niedrigzinspolitik könne die Finanzstabilität gefährden, weil sie Banken dazu treibe, langfristig niedrig verzinste Kredite zu vergeben und höhere Risiken einzugehen – die genau dann durchschlügen, wenn steigende Inflationsraten Zentralbanken zu schnellen Zinserhöhungen zwängen.
Wir erleben eine Krise mit Ansage
Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich stieß ins selbe Horn. Wir erleben also eine Krise mit Ansage. Leider sind die Notenbanken den Empfehlungen vieler Experten nicht gefolgt, Leitzinsen eher früh, dafür aber langsam anzuheben.
Stattdessen setzte die Finanz- und Geldpolitik auf das nach der 2007 ausgebrochenen Weltfinanzkrise geschaffene Geflecht aus neuen Institutionen und strengeren Regelwerken. Sie sollten dafür sorgen, dass Banken ausreichend Eigenkapital und Liquidität vorhalten. Außerdem wollte man das „Too Big to Fail“-Problem lösen, indem auch größere Banken im Ernstfall ohne Ansteckung des Finanzsystems abgewickelt werden könnten. Die Kosten sollten statt der Steuerzahler Aktionäre und Gläubiger tragen.
Die hektische Notfusion der durch massive Geldabflüsse vom Bankrott bedrohten Credit Suisse mit dem Schweizer Erzrivalen UBS hat gezeigt, wie fragil die Situation im Bankensektor derzeit ist. Im Fall der SVB sah die US-Regierung sich sogar genötigt, von der Einlagensicherung nicht gedeckte Milliardeneinlagen zu schützen.
Offenbar war die Angst vor systemischen Auswirkungen groß. Auch in Deutschland sind Bankaktien schwer eingebrochen. Notenbanker und Politiker – im Fall der Deutschen Bank sogar der Bundeskanzler – versichern zwar, die Dämme aus Eigenkapital und weiteren Finanzpuffern seien hoch genug, um eine neue Krise des Finanzsystems zu verhindern.
Tatsächlich wurden im Vergleich zur Weltfinanzkrise deutlich mehr Vorkehrungen für eine solche Situation getroffen. Ob sie aber ausreichen, wird man sehen. Klar ist: Gestresste Banken schränken ihre Kreditvergabe ein. Das verstärkt die Wirkung der Leitzinserhöhungen und bremst die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zusätzlich.
Die Notenbanken müssten also die Zinsen nicht mehr so stark anheben, um die Inflation unter Kontrolle zu bekommen. Aber schärfere Kreditkonditionen können auch das gesamtwirtschaftliche Angebot beeinträchtigen und so die Inflation fördern – die Weltwirtschaft bewegt sich zwischen Skylla und Charybdis.
Die Banken brauchen mehr Eigenkapital
Sollte es doch zu einer ausgewachsenen Bankenkrise kommen, werden die Notenbanken die Zinserhöhungen nicht fortsetzen beziehungsweise die Erhöhungen zum Teil wieder zurücknehmen. Im Zuge der Weltfinanzkrise hat der Wirtschaftseinbruch die Inflation schnell gestoppt. Vor dem Hintergrund der Energiekrise und knapper Arbeitskräfte wäre diesmal aber auch eine Stagflation nicht ausgeschlossen, also wirtschaftliche Stagnation plus Inflation.






Eine Schlussfolgerung für die Zukunft ist: Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen an die Banken müssen noch deutlich erhöht werden, wenn man staatliche Eingriffe zulasten der Steuerzahler vermeiden und Notenbanken ausreichend Spielraum zur Inflationsbekämpfung verschaffen will. Und beim nächsten Mal muss die Geldpolitik das Finanzsystem früher, aber langsamer an ein höheres Zinsniveau gewöhnen.
Der Autor: Volker Wieland ist geschäftsführender Direktor des Institute for Monetary and Financial Stability an der Goethe-Universität Frankfurt.





