Gastkommentar: Wie Deutschland die KI-Chance verspielt und was sich ändern muss
2022 kehrte ich dem Silicon Valley den Rücken, um in Berlin ein KI-Unternehmen zu gründen. Für diese Heimkehr wurde ich in den USA belächelt. Vielleicht zu Recht, erscheint Deutschland im internationalen KI-Wettbewerb doch irrelevant.
Während die USA 2023 rund 65 Milliarden Dollar privates Kapital in KI investierten und mit Stargate weitere 500 Milliarden ankündigten, lag Deutschland mit rund zwei Milliarden Dollar weit dahinter.
Fehlt uns also das Geld? Tatsächlich wurden seit 2019 stattliche 67 Milliarden für Digitalisierung im Bundeshaushalt bereitgestellt. Dennoch liegt Deutschland nur auf Platz 23 im World Digital Competitiveness Ranking. Statt technologische Souveränität zu fördern, flossen die Mittel in kleinteilige Digitalausgaben oder externe Berater – fruchtbarer Boden für Doppelinvestitionen.
Die deutsche Innovationskraft ist zwar vorhanden, befindet sich aber in einem skurrilen Zustand: Wir haben die finanziellen Mittel, geben diese jedoch falsch aus. Talente sind da, wandern jedoch ab. Spitzenforschung und leistungsstarke Modelle existieren, doch der Transfer in die Wirtschaft scheitert.
Was ist los mit uns – alle Voraussetzungen vorhanden, aber ohne Umsetzungskompetenz? Welche Schritte sind nun zu gehen, um technologische Souveränität zurückzuerlangen? Und ich verrate vorab: Mehr Schulden (oder nennen wir es romantisiert: Sondervermögen) auf unser Unvermögen zu werfen, wird unsere Probleme schwerlich lösen.
Sieben Punkte, die Deutschland mit KI nach vorne bringen
Unser Weg zu technologischer Souveränität sollte sieben Punkte beinhalten.
- Ganzheitliches Verständnis: Innovationscluster florieren nicht in Einzelteilen, sondern im Ganzen. Die Politik muss dies begreifen und gleichzeitig die Forschung, den Wissenstransfer und den Zugang zu (internationalen) Talenten fördern. Zudem sollte sie leistungsfähige Infrastruktur und Risikokapital für Früh- und Wachstumsphasen bereitstellen.
- Durchgriffskompetenz: Ein Digitalministerium ist grundsätzlich zu befürworten, doch die Institution allein ändert noch nichts. Entscheidend ist die Priorisierung und Bündelung relevanter Digitalisierungsaufgaben mit entsprechenden Entscheidungskompetenzen.
- Forschungstransfer: Nur sieben Prozent der deutschen Universitäten verankern Unternehmertum als Säule ihres Studienplans. Die Integration birgt jedoch Potenziale von bis zu drei Billionen Euro der europäischen Wirtschaftsleistung und mehr als sechs Millionen zukunftsfähiger Arbeitsplätze.
- Pragmatismus: Das europäische KI-Gesetz (AI Act) ist eines der größten Innovationshemmnisse europäischer Regulatorik: Es reguliert nicht nur anwendungsbezogen, sondern die Basistechnologie selbst – so als würde der Computer selbst reguliert. Bleibt der AI Act unverändert, haben klare Umsetzungsrichtlinien Priorität, um Entwickler und Anwender nicht den Unsicherheiten eines Verstoßes auszusetzen.
- Anwendung: Unsere Chance besteht in dem profunden Expertenwissen der etablierten Wirtschaft und der engen Verzahnung mit innovativen Technologien. So gedeiht nicht nur das Wachstum junger Tech-Unternehmen, sondern auch die Transformation der etablierten Wirtschaft und des Staates, der als Ankerkunde starke Signale für Technologieoffenheit und Progressivität senden kann.
- Finanzierung: Dass Ressourcen bereitgestellt werden müssen, ist unstrittig. Während jedoch die Politik versucht, Entwicklung und Einsatz von KI mit Subventionen zu fördern, sollten die Mobilisierung von zehn Prozent der Pensionsfonds für den Risikokapitalmarkt und Public-Private-Partnerships mit nachhaltigen Investmentstrategien durch professionelle Entscheidungsträger im Vordergrund stehen.
- Europäische Integration: Innovationen müssen wachsen dürfen, doch wenn deutsche Start-ups an die Börse gehen, tun sie das lieber im Ausland. Die Unternehmen der EU mit ihren zahlreichen nationalen Kapitalmärkten weisen nur einen Bruchteil der Marktkapitalisierung ihrer Wettbewerber in den USA auf. Die Vollendung eines digitalen Binnenmarktes und eine Kapitalmarktunion könnten Europa für Börsengänge und Wachstum wieder attraktiv gestalten.
Wo also liegen unsere Chancen?
Der Kampf um technologische Souveränität wird knallhart
Der Kampf um die technologische Souveränität Europas ist nicht verloren, wird jedoch knallhart. Sich der Illusion hinzugeben, Geld auf einen Berg dysfunktionaler Innovationsprogramme zu werfen, sei die Lösung, ist nicht nur unklug, sondern auch kurzsichtig.
Stattdessen sollten wir uns auf die einmalige Chance Europas fokussieren: die enge Verzahnung innovativer Technologien mit der etablierten Wirtschaft für einen fairen Wettbewerb leistungsstarker KI-Systeme.
Die Autorin: Annika von Mutius ist Vorstandsmitglied im KI-Bundesverband und Mitgründerin des HR-Startups Empion.