Gastkommentar: Wie Deutschland seine Zukunft noch retten kann

Deutschland gibt so viel Geld für Soziales aus wie kaum ein anderes europäisches Land. Gleichzeitig ist es bei Zukunftsthemen wie Bildung und Investitionen schwach und beim Wachstum abgeschlagen.
Rund 41 Prozent unserer staatlichen Gesamtausgaben fließen inzwischen in die sozialen Sicherungssysteme. Fast die Hälfte davon geht allein in die Renten, dazu kommen Kranken- und Pflegeversicherung. Gleichzeitig muss der Staat an vielen Stellen sparen, um den bestehenden Sozialstaat zu finanzieren.
Die Nettoinvestitionen des Staates liegen seit rund zwei Jahrzehnten nahe null. Das heißt: Zieht man den Verschleiß unserer Straßen, Brücken und Schulen ab, wird im Grunde nichts Neues geschaffen. Auch bei den Bildungsinvestitionen hält sich Deutschland im Vergleich zu seinen europäischen Nachbarn auffällig zurück.
Die Quittung kam mit den jüngsten Pisa-Ergebnissen: In allen Kompetenzbereichen ist Deutschland zurückgefallen. So schlecht wie zuletzt waren die Ergebnisse noch nie seit Beginn der Erhebungen im Jahr 2000.
Der Handlungsspielraum der Politik wird dabei immer enger. Nur über etwa 16 Prozent des Bundeshaushalts kann die Politik derzeit noch frei entscheiden, Tendenz sinkend. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm hat es im aktuellen Jahresgutachten drastisch formuliert: Ab 2029 wird voraussichtlich der gesamte Bundeshaushalt für Soziales, Verteidigung und Zinsen verbraucht. Für die Zukunftsgestaltung: null Euro.
Die Politik hat in der Rente Vertrauen verspielt
Die fehlende Zukunftsorientierung des Landes spiegelt sich schon heute in der wichtigsten volkswirtschaftlichen Kennziffer wider. Beim Wachstum ist Deutschland seit zwei Jahren Schlusslicht der großen Industrienationen und steht als einziges G7-Land ohne nennenswertes Wirtschaftswachstum für 2025 da.
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In der Diskussion um die Finanzierung des Sozialstaats kommt ein Aspekt viel zu kurz: die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft. Fakt ist: ohne Wirtschaftswachstum keine steigenden Reallöhne. Ohne steigende Reallöhne keine stabilen Renten. Ohne wirtschaftliche Leistungsfähigkeit kein Sozialstaat.
Dabei trifft die aktuelle wirtschaftliche Schwäche auf eine fatale langfristige Entwicklung: Der demografische Wandel war absehbar, jetzt kommt er an. In den kommenden Jahren wird die Zahl der Menschen im Rentenalter in Deutschland um etwa vier Millionen auf mindestens 20 Millionen steigen.
Und dank gestiegener Lebenserwartung beziehen Menschen heute deutlich länger Rente als die Generation vor ihnen. Das Ergebnis: Während Anfang der 1960er-Jahre noch rund sechs Beitragszahler die Rente eines Altersrentners finanzierten, werden es bald weniger als zwei sein.
Trotzdem wurden über Jahre immer neue Leistungen versprochen, Rentenniveau-Zusagen gemacht und Frühverrentungsanreize geschaffen. Finanziert nicht aus wachsendem Wohlstand, sondern zunehmend aus Steuermitteln und Schulden. Das Ergebnis: ein dramatischer Vertrauensverlust.
Aktuelle Umfragen zeigen, dass mehr als 80 Prozent der Deutschen nicht mehr an die Stabilität der gesetzlichen Rente glauben. Viele erwarten nur noch eine Art Grundsicherung. Besonders fatal ist der Blick der jungen Generation: Bei den 18- bis 29-Jährigen hat die große Mehrheit die Hoffnung aufgegeben, im Alter noch auf die gesetzliche Rente bauen zu können. Dabei sind gerade sie es, von denen wir heute Höchstleistungen verlangen.
Mut muss sich lohnen
Die Antwort kann nicht sein, immer mehr Geld in ein wankendes System zu pumpen. Die Antwort muss sein: konsequent auf Leistung, Innovation und Eigenverantwortung setzen. Das heißt: kapitalgedeckte Elemente stärken und das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung koppeln. Aber auch alle Potenziale am Arbeitsmarkt heben: durch mehr Frauen in Vollzeit und eine bessere Integration von Zuwanderern. So wird der Sozialstaat zukunftsfähig gemacht.
Was es noch braucht: Bürokratie abbauen, damit Investitionen sich lohnen. Öffentliche Investitionen in Infrastruktur, Digitalisierung und Bildung priorisieren, statt immer neue konsumtive Versprechen zu machen. Und den Staat wieder stärker auf seine Kernaufgaben fokussieren.
Wir brauchen eine Gesellschaft, die Mut belohnt, nicht eine, die vor allem Bürokratie aufbaut. Die Zukunft gestaltet, nicht Vergangenheit verwaltet. Die auf Leistung setzt, nicht auf die Illusion endloser Verteilbarkeit.





Schon Ludwig Erhard wusste, dass Wohlstand erst erwirtschaftet werden muss, bevor man ihn genießen kann. Die „Sozialisierung des Fortschritts“ nannte er es. Es ist Zeit, dass Deutschland diesen Geist wiederfindet. Nicht, weil es nostalgisch ist, sondern, weil wir ohne ihn die Zukunftsfähigkeit unseres Landes verspielen.
Der Autor: Sebastian Dettmers ist CEO von Stepstone.





