Gastkommentar: Wie in Deutschland mehr Wagniskapital generiert werden kann

Das aktuelle Ringen um das Wachstumschancengesetz geht weit über eine bloße Haushaltsdebatte hinaus. Es steht symbolhaft für die Frage, wie es gelingen kann, den Wirtschaftsstandort zukunftssicher zu machen. Dabei gäbe es einen Weg, der der Bundesregierung erlauben würde, beträchtlich mehr Wachstumskapital zu fördern, ohne eigene Mittel in die Hand zu nehmen: Der Staat nutzt seine Bonität, um Investitionen für institutionelle Anleger attraktiver zu machen, und vervielfacht damit das Investitionsvolumen auf einen Schlag.
Nur sieben Milliarden Euro Wachstumskapital
Ob bei Infrastruktur, Bildung, Verteidigung oder eben Wachstumsunternehmen: Wir haben in Deutschland über viele Jahre von der Substanz gelebt und systematisch zu wenig investiert. Ein Blick auf das Wirtschaftswunder in den 1950er- bis 1970er-Jahren verdeutlicht das Problem: Damals haben wir in Deutschland jährlich drei bis vier Prozent des Bruttosozialproduktes in Wachstumsunternehmen gesteckt.
Übertragen auf die heutige Zeit entspricht das 100 bis 150 Milliarden Euro an jährlichen Investitionen in Wachstumsunternehmen. Im Vergleich dazu: In 2023 wurden in Deutschland gerade mal sieben Milliarden Euro an Wachstumskapital investiert.
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Während zur Zeit des Wirtschaftswunders das Wachstumskapital in Form von Krediten der Mittelstandsbanken an das damals aufstrebende produzierende Gewerbe investiert wurde, erfordern die heutigen, auf Wissen und Technologie basierenden Wachstumsunternehmen aufgrund mangelnder Sicherheiten neue, eigenkapitalorientierte Finanzierungslösungen.
Anders gesagt: Um mehr erfolgreiche Start-ups in Deutschland zu entwickeln, brauchen wir ein Vielfaches an Eigenkapitalinvestitionen. Klar ist, unser zukünftiger Wohlstand hängt an dieser Herausforderung.
Hoher Anteil an Eigenkapital gefordert
Dabei stünde in Deutschland mehr als genug privates Investitionskapital zur Verfügung. Allein die Versicherungsbranche investiert jedes Jahr über 300 Milliarden Euro – zu einem großen Teil in Staats- und Unternehmensanleihen. Eine Umlenkung nur eines Teils dieser Gelder in Wachstumsunternehmen könnte das Volumen an Wachstumskapital vervielfachen. Und natürlich gibt es jenseits der Versicherungsbranche viele andere private Investoren, die man ebenfalls gewinnen könnte.
Es ist wichtig zu verstehen, dass es keineswegs an dem Chancen-Risiko-Verhältnis von Wachstumsinvestitionen scheitert. Das eigentliche Problem liegt in den starren Regulierungsvorschriften der EU-Richtlinie Solvency II, die institutionelle Investoren dazu zwingen, ihre Investitionen mit einem hohen Anteil an Eigenkapital abzusichern – obwohl das Gesamtausfallrisiko nahezu bei null liegt.
Dadurch werden derartige Investitionen für die Anleger kostspielig und unattraktiv, während beispielsweise Staatsanleihen ganz ohne Eigenkapitalunterlegung möglich sind und daher bevorzugt werden.
Eine Änderung von Solvency II ist sicher notwendig, aber aufgrund der erforderlichen internationalen Einigung langwierig – Wartezeit, die wir uns nicht leisten können.
Die Lösung wäre denkbar einfach: Der Staat könnte seine Triple-A-Bonität nutzen, um eine Ausfallbürgschaft für ein weitgehend ausfallsicheres Portfolio von Wachstumsfonds zu übernehmen.
Begrenztes Risiko
Angesichts des niedrigen Teilverlustrisikos und einer Renditeerwartung beispielsweise im kleineren zweistelligen Prozentbereich wäre das nicht nur kostenlos, sondern würde dem Staat sogar eine zusätzliche Einnahmequelle liefern.
Denn die Differenz der nötigen Rendite zur Gewinnung von privaten Investoren für ein staatlich ausfallgesichertes Wachstumsportfolio und der Renditeerwartung steht als Kompensation für die Übernahme der Ausfallbürgschaft zur Verfügung.
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So entsteht eine Win-win-win-Situation: Der Staat nutzt seine Kreditwürdigkeit für zusätzliche Einnahmen ohne neue Schulden. Investoren wie die Versicherungsbranche erhalten Zugang zu einer attraktiven Anlageklasse, und der Wirtschaft fließen notwendige Investitionen in Wachstumsunternehmen zu. Die Ausfallbürgschaft müsste auch nicht auf die Schuldenbremse angerechnet und könnte äußerst schnell umgesetzt werden.


Schon drei aufeinanderfolgende Jahre mit einer Ausfallbürgschaft von jeweils zehn Milliarden Euro würden der Bundesregierung zusätzliche Einnahmen von 15 Milliarden Euro – 1,5 Milliarden pro Jahr für 30 Milliarden Ausfallbürgschaften über zehn Jahre Fondslaufzeit – und unserer Volkswirtschaft ungefähr eine Verdreifachung der jährlichen Investitionen in Wachstumsunternehmen bescheren.
Der Autor:
Hendrik Brandis ist Mitgründer und Partner von Earlybird Venture Capital.





