Personalstrategie: Die neue Feedback-Kultur schadet Unternehmen

Bei der Feedback-Methode „360 Grad“ beurteilen sich Vorgesetzte und Kollegen gegenseitig.
Als fortschrittlich und modern glorifiziert, hat das 360-Grad-Feedback Einzug in unsere Unternehmen gefunden. Danach wird nicht nur durch Vorgesetzte, sondern auch durch hierarchisch gleichgestellte Kollegen, die eigenen Mitarbeiter sowie ausgewählte Kunden beurteilt. Rundum eben. Mehr Richtungen erzeugen mehr Objektivität – so lautet die hiermit verbundene Hoffnung.
Die Hoffnung wird allerdings enttäuscht. Sie hat mit praktischer Vernunft und betrieblicher Realität nichts zu tun. Warum?
Zunächst ein Blick auf die Beurteilung unter Kollegen. Es ist weltfremd anzunehmen, dass sich Kollegen wohlwollend beurteilen, denn schließlich konkurrieren sie um das knappe Gut Karriereaufstieg. Wer seinen Kollegen gut bewertet, bringt sich genau damit möglicherweise um seine eigenen Aufstiegschancen. Und das nach einem erfolgreichen Jahr harter Arbeit.

Torsten Schumacher ist Berater und schreibt regelmäßig für das Handelsblatt. Sie erreichen ihn unter gastautor@handelsblatt.com.
Sodann die Kunden: Was soll die Basis eines solchen Feedbacks sein? Die letzte Verhandlung, in der der zu Beurteilende die Interessen des eigenen Unternehmens gut vertreten hat? Als Kunde werde ich das kaum zum Anlass einer guten Bewertung nehmen, obwohl es gerechtfertigt wäre. Wer allerdings übertriebene Preisnachlässe gewährt, kann mit guten Noten rechnen.
Ein Problem ist die Anonymität
Ebenso interessant ist die Beurteilung durch die eigenen Mitarbeiter; sie wird – wie auch die anderen Spielarten – anonym durchgeführt. Denn ansonsten würde es, so die gängige Rechtfertigung, das notwendige Maß an Offenheit nicht geben. Das ist das Problem: Beurteilungsinstrumente wie das 360-Grad-Feedback setzen eine Offenheit voraus, die durch sie erst geschaffen werden soll.
„Aber das können wir ja niemandem zumuten!“ Dem Mitarbeiter nicht, der bei namentlicher Kritik um genau einen Kopf kürzer gemacht würde, und dem Chef auch nicht, denn der würde ja bloßgestellt. Reale Fälle: „Wenn ich die wichtigsten Beispiele beim Namen nenne, weiß mein Chef, wer das geschrieben hat. Dann kann ich mich auf was gefasst machen.“ Oder: Die Mitarbeiter einer sichtbar schlechten Führungskraft bewerten diese positiv, weil sie fürchten, die Existenz der Abteilung sei ansonsten gefährdet.
Es wird inszeniert, weil wir nicht ausreichend in Kontakt mit unseren Leuten sind; sie nicht wirklich kennen. Wer anonyme Bewertungsmonstren benötigt, um sein eigenes Führungshandeln zu reflektieren und zu verbessern, der sollte sich selbst, seinem Team und dem Unternehmen einen Gefallen tun und sich um eine Fachkarriere ohne Führungsverantwortung bewerben.
Fakt ist: 360-Grad-Beurteilungen bringen nicht nur keine positiven Effekte für die Führungsqualität im Unternehmen, sie schädigen und unterwandern die Führungsverantwortung des Einzelnen. Also weg damit!





