Prüfers Kolumne: E-Mails, die auf E-Mails starren

Tillmann Prüfer ist Mitglied der Chefredaktion des „Zeit-Magazins“.
Ich habe in der „Financial Times“ gelesen, dass E-Mails ein Problem sind: Es gibt zu viele davon. Ich selbst nenne sehr viele mein Eigen. Jeden Tag kommen massenhaft neue hinzu. Aber ich habe den Eindruck, dass die meisten von ihnen gar nicht mir gelten. Ich bin nicht gemeint, ich kann nicht gemeint sein, aber nur für den ganz unwahrscheinlichen Fall, dass ich trotzdem etwas damit anfangen könnte, werde ich angeschrieben.
Wenn ich mir den Menschen anschaue, an den sich diese Werbemails wenden sollen, ist das jemand, der ständig neue Computerbauteile braucht und gern Muskelaufbaunahrung kaut. Ich interessiere mich demnach auch für Werkzeug, und außerdem brauche ich Geld. Deswegen werden mir dauernd todsichere Investmenttipps aufgedrängt. Und das sind nur die Spammails, die ich bekomme.
Noch verwirrender sind die Mitteilungen von Kollegen, die von irgendwelchen Meetings künden und Protokolle liefern, die ihrerseits von Besprechungen handeln. Ich habe von vielen Dingen, die da vor sich gehen, keine Ahnung. Manchmal frage ich mich, ob ich überhaupt in meinem Unternehmen arbeite.
Aber dann wird mir wieder klar, dass ich wirklich dort angestellt sein muss, denn ich werde gefragt, warum ich noch nicht darauf geantwortet habe. Ich denke dann: Oje, auf welche der Hunderten von Mails hätte ich antworten sollen? Und ständig heißt es, „…wollte fragen, ob Sie unsere E-Mail vom soundsovielten erhalten haben…“. Ja, sicher habe ich sie erhalten. Aber mit E-Mails verhält es sich so: Meistens bekommt man sie heute auf dem Smartphone. Und sobald sie eintreffen, gibt es einen Zeithorizont von etwa sechs Minuten. Danach sind sie vom Display verschwunden, verdrängt von neuen E-Mails.
Nicht nur ich leide darunter, es ist ein Massenphänomen. Laut „FT“ verschickt und erhält der durchschnittliche Angestellte 126 E-Mails täglich, und viele benötigen mehr als drei Stunden am Tag, damit fertig zu werden. Cal Newport, der Autor des Buchs „Eine Welt ohne E-Mail“, sagt, E-Mails würden uns deswegen so terrorisieren, weil unsere Denkstruktur so gebaut sei, dass wir es als Stress empfänden, wenn wir sozialen Verpflichtungen nicht nachkämen. Und jede unbeantwortete Mail sei eine solche.
Man bekommt eine Mail, empfindet die Verpflichtung, darauf zu reagieren, und schreibt wiederum eine E-Mail, die wieder ein Problem für andere ist. Verschicken kostet halt nichts. Im Ergebnis besteht unsere Arbeit nur noch aus Mails, die von anderen E-Mails handeln.
Dabei gibt es eine Lösung, wir müssten sie nur alle gleichzeitig anwenden. Wir sollten alle den automatischen Antwortassistenten aktivieren und ihn mitteilen lassen: „Danke für Ihre E-Mail, ich werde sie unter keinen Umständen lesen. Bitte drucken Sie sie aus und schicken sie per Post.“





