Asia Techonomics: Datenschützer verhindern staatliche Zwangs-App in Indien

Auf den ersten Blick wirkt die App, die Indiens Regierung auf Hunderte Millionen Smartphones bringen möchte, durchaus sinnvoll: Mit der Anwendung können Nutzer ihre gestohlenen oder verlorenen Smartphones sperren und schon beim Kauf herausfinden, ob das Gerät echt ist oder eine Fälschung. Außerdem können indische Bürger damit prüfen, ob Datendiebe unerlaubt SIM-Karten auf ihren Namen registriert haben.
Doch trotz des unbestrittenen Nutzens löste die App mit dem Namen Sanchar Saathi („Kommunikationsbegleiter“) in Indien eine heftige Kontroverse aus. Denn die Regierung von Premierminister Narendra Modi kündigte an, dass die App künftig von allen Smartphone-Herstellern für den indischen Markt vorinstalliert werden muss.
Die entsprechende Anweisung des Telekommunikationsministeriums wurde in dieser Woche öffentlich. Darin schreibt die Regierung Unternehmen wie Apple, Samsung und Xiaomi nicht nur vor, Sanchar Saathi auf allen Geräten vorzuinstallieren.
Die Hersteller müssten auch „sicherstellen, dass die App während der Ersteinrichtung des Geräts leicht zugänglich ist und dass keine Deaktivierung oder Einschränkung ihrer Funktionen möglich ist“. Auf bereits verkaufte Smartphones müsse die Regierungs-App binnen drei Monaten per Software-Update aufgespielt werden.
Der Widerstand gegen die Zwangs-App zeigt Wirkung
Bei Datenschützern und Oppositionspolitikern löste der Plan einen Sturm der Entrüstung aus: Die App könne der Regierung weitgehende Zugriffsmöglichkeiten auf die Smartphones sämtlicher Inder geben. „Eine vorinstallierte Regierungs-App, die sich nicht deaktivieren lässt, ist ein dystopisches Instrument zur Überwachung aller Inderinnen und Inder“, sagte K.C. Venugopal, Generalsekretär der Kongresspartei. Er nannte das Vorhaben verfassungswidrig.
Aktivisten der indischen Internet Freedom Foundation sprachen von einer „zutiefst beunruhigenden Ausweitung exekutiver Kontrolle über persönliche digitale Geräte“. Die Zeitung „Times of India“ warnte angesichts des Zwangseingriffs in private Smartphones vor weitergehenden Übergriffen.

Der öffentliche Aufschrei zeigte Wirkung: Am Mittwoch zog die Regierung die Anordnung zur verpflichtenden Installation der App zurück. Datenschützer freut die Entscheidung. Doch für Indiens Digitalwirtschaft ist der Schaden bereits angerichtet.
Mit der nun aufgehobenen Anordnung zeigte die Regierung in Neu-Delhi, dass sie das Onlineleben der Bevölkerung intensiv überwachen und kontrollieren will. Das Vertrauen der indischen Nutzer, dass ihre Privatsphäre im Netz geschützt ist, dürfte darunter weiter leiden.
X wirft Indiens Behörden Zensur vor
Die Regierung beschädigte dieses Vertrauen bereits mehrfach. Während der Coronapandemie machte sie eine Kontaktnachverfolgungs-App für Staatsbedienstete und Angestellte im privaten Sektor zur Pflicht. Auch in diesem Fall wurde die Zwangsmaßnahme erst nach öffentlicher Kritik gelockert.
Im vergangenen Jahr musste die Regierung – ebenfalls wegen breiten Widerstands – den Entwurf für ein neues Mediengesetz zurückziehen. Es hätte aus Sicht von Kritikern den Behörden mehr Möglichkeiten gegeben, politische Inhalte auf Plattformen wie Youtube zu regulieren.
Auch ihre aktuellen rechtlichen Möglichkeiten schöpft die Regierung mit ihren Eingriffen voll aus. Elon Musks Plattform X klagte in diesem Jahr gegen die Inhaltskontrolle der indischen Behörden wegen angeblich verfassungswidriger Zensur. Das Unternehmen erhielt laut Gerichtsdokumenten innerhalb von etwas mehr als einem Jahr rund 1400 Anordnungen, Posts zu löschen – darunter auch regierungskritische Beiträge.
Die indische Regierung sprach von Maßnahmen gegen Hassbotschaften, X von einer Beeinträchtigung der Redefreiheit. Das Unternehmen konnte sich aber zunächst nicht durchsetzen. Das Gericht wies die Klage im September als unbegründet ab. Mit der Rücknahme der geplanten Zwangs-App vermeidet die Modi-Regierung nun, auch mit Tech-Konzernen wie Apple in einen ähnlichen Konflikt zu geraten.




Die Debatte um Sanchar Saathi zeigt, dass Indien mit seinen Kontroll- und Überwachungsversuchen zwar kein zweites China ist. Doch in der größten Demokratie der Welt müssen die Bürger um ihre Grundrechte im Netz immer wieder kämpfen.
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