Asia Techonomics: Warum Elon Musk mit seinem Versprechen der Meinungsfreiheit in Indien scheitert


In der wöchentlichen Kolumne schreiben Handelsblatt-Korrespondenten im Wechsel über Innovations- und Wirtschaftstrends in Asien.
Twitter-Chef Elon Musk wird nicht müde, sich als ultimativer Verteidiger der Redefreiheit zu inszenieren. Selbst wenn er wegen umstrittener Äußerungen auf seiner Plattform Gelder von Anzeigenkunden verliere, wolle er Inhalte nicht einschränken, sagte er diese Woche auf der Bühne einer Marketingkonferenz in Florida. „Freie Meinungsäußerung ist oberstes Gebot“, betonte der Multimilliardär.
Doch in einem der wichtigsten Wachstumsmärkte seines Social-Media-Unternehmens ist Musk von diesem Grundsatz weit entfernt: In Indien, gemessen an der Nutzerzahl dem drittwichtigsten Land für Twitter, wurden beim Kurznachrichtendienst zuletzt regelmäßig Inhalte entfernt und Nutzer ausgeschlossen.
In den vergangenen Wochen folgte das Unternehmen der Aufforderung der indischen Regierung, mehr als 120 Accounts zu sperren – unter anderem von Journalisten, Politikern und Aktivisten. Anfang des Jahres blockierte Twitter – ebenfalls auf Geheiß der Regierung in Neu-Delhi – Tweets mit Links zu einer BBC-Dokumentation, die sich kritisch mit Regierungschef Narendra Modi auseinandersetzte.
Während sich Twitter unter seiner alten Führung gegen ähnliche Zensurforderungen der indischen Regierung lautstark zur Wehr setzte und die Anweisungen in vielen Fällen zurückwies, folgt das Unternehmen nun unter dem selbsternannten „Free Speech Absolutist“ Musk offenbar bereitwillig den Löschwünschen der Behörden.
In einem Interview vergangene Woche verteidigte Musk diese Schritte. „Die Regeln in Indien für das, was in den sozialen Medien erscheinen darf, sind ziemlich streng. Und wir können nicht über die Gesetze des Landes hinausgehen“, sagte er. „Wenn wir vor der Wahl stehen, entweder unsere Leute ins Gefängnis zu stecken oder uns an die Gesetze zu halten, werden wir uns an die Gesetze halten.“
Regierungsbehörde startet den Faktencheck
Tatsächlich hat Indiens Regierung in den vergangenen Jahren den Druck auf Medien, Aktivisten und Kritiker deutlich verstärkt – das hat nichts mit Twitter oder Elon Musk zu tun. Indischen Aktivisten reichen die Erklärungen des Managers dennoch nicht.
Sie bewerten zumindest einen Teil der Löschbefehle, die die Regierung an Social-Media-Konzerne verschickt, als Verstoß gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung, das auch in der indischen Verfassung verankert ist. Von Unternehmen wie Twitter erwarten sie, in solchen Fällen Widerstand zu leisten – und einen Rechtsstreit durchzustehen.
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Dabei dürften Social-Media-Nutzer und Medienhäuser in Indien künftig noch stärker auf Unterstützung der Tech-Unternehmen aus den USA angewiesen sein, wenn es darum geht, sich gegen illegitime Sperrungen zu verteidigen.
Denn neue Regeln, die Indiens IT-Ministerium Anfang des Monats vorgestellt hat, sollen die Zugriffsmöglichkeiten der Regierung noch weiter vergrößern: Der Plan dient laut Ministerium dazu, die Verbreitung von „Fake News“ über die Regierungsarbeit zu unterbinden. Was „Fake“ ist und was nicht, wird aber künftig von einer staatlichen „Fact checking“-Behörde entschieden werden.
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Journalistenvertreter warnen, dass dies die Pressefreiheit untergrabe und staatliche Zensur ermögliche. Auch eine lokale Lobbygruppe von Tech-Konzernen wie Facebook, Twitter und Google, die Asia Internet Coalition, schlägt Alarm. Bei den Regeländerungen fehle es an Garantien, die Grundrechte der Menschen auf Zugang zu Informationen zu schützen, teilte die Organisation mit.
Indiens Regierung wies die Bedenken zurück. IT-Minister Rajeev Chandrasekhar sieht keine Gefahr für die Redefreiheit, da Social-Media-Konzerne als „Fake News“ gekennzeichnete Nachrichten nicht zwingend entfernen müssten, wenn sie diese Einstufung nicht teilten. In diesem Fall droht ihnen aber ein Rechtsstreit, bei dem die Unternehmen selbst für die beanstandeten Posts verantwortlich gemacht werden können.
Aus Sicht indischer Regierungsgegner und kritischer Medien ist nun die Frage, ob die Tech-Konzerne bereit sind, solche rechtlichen Risiken einzugehen – oder ob sie den einfachen Weg wählen und alles löschen, was die Regierung als „Fake“ ansieht.






Twitter-Chef Musk gab bereits zu verstehen, dass er einer Auseinandersetzung um die Redefreiheit in Indien keine allzu hohe Priorität einräumt. Auf einen Bericht über Twitters Umgang mit den Löschanordnungen in Indien antwortete er Anfang des Jahres: „Es ist mir nicht möglich, jeden Aspekt von Twitter weltweit über Nacht zu reparieren, während ich auch noch Tesla und SpaceX leite.“
In der Kolumne Asia Techonomics schreiben Nicole Bastian, Sabine Gusbeth, Dana Heide, Martin Kölling und Mathias Peer im wöchentlichen Wechsel über die spannendsten technologischen und wirtschaftlichen Trends in der dynamischsten Region der Welt.
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